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Digitalpolitik

Category: Digitalpolitik

Mehr Digitale Souveränität

Zusammen mit meiner Kollegin Teresa Widlok habe ich einen Beitrag für die liberal der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zu digitaler Souveränität verfasst und warum sie so wichtig für uns in Deutschland und Europa ist.

Am Ende präsentieren wir zehn Punkte für mehr digitale Souveränität:

1️⃣ Digitale Souveränität als Moonshot-Projekt begreifen und europäisch angehen.

2️⃣ Abhängigkeiten im Bereich von Technologien und digitalen Diensten erkennen und ein umfassendes Verständnis von digitaler Souveränität etablieren.

3️⃣ Fähigkeiten-Lücken im Digitalen erkennen und (bestenfalls europäisch) Strategien aufbauen, um diese zu schließen.

4️⃣ Strategische Technologien fördern, um Abhängigkeiten entlang globaler Lieferketten zu verringern und Kompetenzen aufzubauen (z. B. bei Chips, KI, Edge- und Quantencomputing und 5G/6G).

5️⃣ Den Transfer zu marktreifen digi-talen Produkten und Technologien fördern, die das „Made in Germany“ oder „Made in Europe“ des 21. Jahrhunderts werden können.

6️⃣ Die Hoheit über physische und -logische Infrastrukturen beibehalten und fördern.

7️⃣ Weitere globale rechtliche Standardsetzung über digitale Regulierung aus der EU heraus betreiben.

8️⃣ Gemeinsam mit Partnern demokratische und menschenrechtsbasierte Werte in globale technische Standardisierungsprozesse einbringen.

9️⃣ Allianzen mit gleichgesinnten Partnern aufbauen und fördern (z. B. im Rahmen des Trade and Technology Council, TTC).

🔟 Internationale Zusammenarbeit, auch mit dem globalen Süden, auf Augenhöhe betreiben, um Entscheider bei Standards auf unsere Seite zu bringen.

Der gesamte Artikel kann hier nachgelesen werden.

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Internet Governance – Grundlage unserer Demokratien im digitalen Zeitalter

Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben meine Kolleg:innen und ich ein Impulspapier unter dem Titel „Allianzen für Demokratie – Liberale Ansätze für den neuen Systemwettbewerb“ herausgebracht. Bereichert wurde das Papier mit Beiträgen von Johannes Vogel MdB, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Michael Link MdB dem Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, sowie dem Demokratieexperten Dr. Christopher Gohl.

Mein Beitrag handelt über die Bedeutung der Internet Governance als Grundlage von Demokratien im digitalen Zeitalter. Ich argumentiere hier, dass dieses Thema leider zu häufig vergessen wird, bzw. keine Attraktivität hat, um die Stimmen von Wähler:innen für sich zu gewinnen. Dabei wird durch die digitale Infrastruktur im weitesten Sinne (also inkl. Regulierung) das Fundament für unsere Zukunft gelegt; die Straßen und Regeln für unser Zusammenleben auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Daher ist es umso wichtiger, dass hier demokratische und menschenrechtliche Werte verankert werden, denn nur so können wir auch in Zukunft auf Basis dieser und damit in Freiheit leben.

Die Publikation kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

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Gastbeitrag in der WAMS: Die EU-Kommission bedroht unsere Freiheit im Netz

Den folgenden Gastbeitrag habe ich zusammen mit der stv. LOAD Vorsitzenden Teresa Widlok für die Welt am Sonntag verfasst. Dort erschien er am 29. Mai 2022, bzw. in der Frühausgabe vom 28. Mai 2022.

Tempolimit, Veggie-Day, Genderstern – an vielen Stellen sehen wir Deutsche unsere Freiheit, um die wir so leidenschaftlich ringen, bedroht. Allzu oft endet das in leichtliberalen Schlagwortdebatten. Doch an einer Stelle, an der unsere Freiheitsrechte so massiv bedroht sind wie selten zuvor, ist es auffallend still: Mit der sogenannten Chatkontrolle hat die Europäische Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der unsere Kommunikationsfreiheit, unser digitales Briefgeheimnis und unsere Privatsphäre im Kern erschüttern wird.

Sollte der Entwurf verabschiedet werden, dürfte die EU-Kommission Kommunikation im Internet umfassend kontrollieren: Sämtliche Nachrichten und andere Inhalte könnten überwacht werden. Dadurch möchte die EU-Kommission Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen finden. Mit der Intention, Kindesmissbrauch zu verhindern, schafft die EU-Kommission damit aber den krassesten Fall anlassloser Massenüberwachung, den wir seit der NSA-Affäre erleben.

Nur sind es dieses Mal nicht fremde Geheimdienste, die uns bespitzeln, es ist die Europäische Union. Und selbst Kinderschutzorganisationen bezeichnen den Vorschlag zur Chatkontrolle wegen der flächendeckenden Scans privater Kommunikation als unverhältnismäßig.

Von Massenüberwachung ist im Kommissionsentwurf wortwörtlich natürlich nicht die Rede. Die „Verordnung zur Prävention und Bekämpfung der Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellung“ spricht stattdessen lieber von Möglichkeiten, bestimmte Inhalte in digitalen Diensten zu erkennen und zu entfernen.

Dabei geht es nicht nur um Chats, die auf Messengern oder über Direktnachrichten geführt werden – verschlüsselt oder unverschlüsselt. Sondern auch um E-Mails, Chatnachrichten in Online-Games oder Inhalte in App Stores und bei Hosting-Anbietern jeglicher Art, wie zum Beispiel Inhalte in der Cloud.

All diese Anbieter sollen auf Anordnung automatisch bereits bekannte oder neue Darstellungen von Kindesmissbrauch durch das konstante Scannen von Nachrichten entdecken. Auch Text soll durchleuchtet und ausgewertet werden, um Grooming zu erkennen – die Kontaktaufnahme von Erwachsenen mit Minderjährigen, um sexuellen Missbrauch anzubahnen.

Fehlerquote von zwölf Prozent

Es ist allerdings völlig unklar, wie das technisch und im Detail funktionieren soll. Wie kann man bei Bildern unterscheiden, ob es sich um Strandfotos eines Kindes handelt, die aus dem Sommerurlaub in die Familien-WhatsApp-Gruppe gepostet werden – oder um Kinderpornografie? Zwischen Urlaubsfotos, auf denen Kinder nackt am Strand rumlaufen, und Kinderpornografie ist oft ein schmaler Grat. Oder wie bei Textnachrichten, ob es sich um einvernehmliches Sexting zwischen zwei 16-Jährigen handelt – oder um Grooming? Diese fundamentalen Fragen sind ungelöst.

Ohne eine weitreichende Identifizierungspflicht aller Kommunikationsteilnehmer und genaues Wissen um den Kontext, in dem ein Bild verschickt wird, liegt auch der beste Filter oder Scanner in zu vielen Fällen daneben. Der von der EU-Kommission selbst zitierte Industriestandard geht bei der Texterkennung von einer Fehlerquote von zwölf Prozent aus. Bei Milliarden von täglich versendeten Nachrichten summiert sich das schnell.

Debatten im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit finden selten auf einer objektiven Basis statt. Die Frage, ob wir mehr Freiheit oder mehr Sicherheit gewährleisten wollen oder können, lässt sich nie vollständig zufriedenstellend für beide Seiten lösen. Doch die Fraktion der Sicherheitslogik hat es mit diesem Gesetzentwurf übertrieben.

Zwar wird von allen Seiten beteuert, dass verschlüsselte Kommunikation weiterhin verschlüsselt bleiben darf. Private Kommunikation ist aber immer privat, egal ob verschlüsselt oder nicht. Digitale Bürgerrechte sind keine Bürgerrechte zweiter Klasse – auch nicht das digitale Briefgeheimnis. Der Staat dampft schließlich auch keine Briefe auf oder hört massenhaft Telefongespräche ab.

Netzaktivisten wird vorgehalten, es gehe ihnen lediglich um die Privatsphäre und nicht um den Schutz von Kindern. Das ist unfair. Auch, weil die drei üblichen sicherheitspolitischen Narrative für beide Seiten gelten können. Das erste Narrativ: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das bedeutet, dass natürlich das Strafrecht gilt, aber ebenso Freiheitsrechte. Das Zweite: Was im Analogen gilt, muss auch im Digitalen gelten. Das Briefgeheimnis gilt also sowohl auf dem Postweg als auch im Internet.

Das Dritte: Sicherheitsbehörden müssen auf Augenhöhe mit Kriminellen agieren können. Anstatt also Ressourcen damit zu verschwenden, falschen Verdachtsmeldungen nachzujagen und bewegungsunfähig im Datenmüll zu ertrinken, sollten Sicherheitsbehörden präzise und effiziente digitale Hilfsmittel zur Verfügung stehen.

Die Meldungen der vergangenen Wochen, dass immer mehr Missbrauchsdarstellungen im europäischen Teil des Internets gefunden werden, lassen niemanden kalt. Netzaktivisten fordern daher schon seit Jahren, als solche erkannte Missbrauchsdarstellungen zu löschen, anstatt sie zu sperren und Webseiten lediglich mit einem Stoppschild zu versehen. Die Verbreitung von einmal im Netz befindlichen Bildern kann nur durch Löschen aufgehalten werden.

Es geht auch ohne neue Befugnisse

Bei aller Faszination für Technologie und der Hoffnung, dass diese gesellschaftliche Probleme löst, darf die klassische Ermittlungsarbeit nicht vergessen werden. Prominent ist etwa der Fall, den die spezielle Polizeiermittlungsgruppe „Berg“ seit Oktober 2019 in einem weitverzweigten Missbrauchskomplex ermittelt hat. Im Haus eines Mannes aus Bergisch Gladbach waren damals Unmengen kinderpornografischer Daten gefunden worden. Durch ihn stießen die Ermittler auf weitere Täter, die im Netz Videos und Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs austauschten.

Diese Erfolge zeigen, wie handlungsfähig Ermittlungsbehörden auch ohne neue Befugnisse und Meldepflichten sind. Hierfür muss Technologie flächendeckend eingesetzt werden, um etwa bei der psychisch äußerst anspruchsvollen Ermittlungsarbeit zu unterstützen und zu entlasten. Denkbar sind etwa KI-gestützte Tools zur Auswertung von Bildmaterial oder der Erkennung von Netzwerken.

Zu all dem schweigt der Kommissionsentwurf. Stattdessen stellt er private Kommunikation umfassend infrage – und um diesen Kern sollte unsere Freiheitsdebatte kreisen. Denn unsere Freiheitsrechte sind wirklich in Gefahr.

Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende und Teresa Widlok stellvertretende Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik.

Dieser Gastbeitrag erschien zuerst im Print der Welt am Sonntag am 29. Mai 2022 und später online auf welt.de

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Gastbeitrag: Plädoyer für eine wertebasierte Digitalisierung: Resilienz gegen Hatespeech und Trolle

Soll ein Milliardär wie Elon Musk Twitter alleine besitzen dürfen? Welche Macht hat Facebook über den öffentlichen Diskurs und welche Rolle spielt TikTok in Wahlkämpfen? Wir diskutieren in Politik und Gesellschaft häufig über den Einfluss privatwirtschaftlicher Unternehmen auf den öffentlichen Diskurs und die Demokratie im digitalen Raum. Dabei gerät es oft in den Hintergrund, dass wir als demokratische Staaten die Macht haben, diese Plattformen zu regulieren und uns damit für ein offenes, freies und menschenrechtsbasiertes Internet einzusetzen. 

Wie notwendig eine wertebasierte Digitalisierung ist, zeigen uns vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine sowie die Ereignisse in Belarus und Hongkong. Dort gehören staatliche Desinformationskampagnen, Internet-Shutdowns und Netzsperren sowie digitale Überwachung zu den staatlichen Repressionen, die die Bürgerinnen und Bürger dieser autoritären Regime in ihren eigenen Ländern erfahren. Die Einschränkungen von Bürgerrechten im digitalen Raum haben nicht nur Folgen für die eigene Bevölkerung, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus. Folglich bedarf es eine international koordinierte Digitalpolitik, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das Treffen der G7-Digitalminister:innen in Düsseldorf bietet eine hervorragende Plattform für die Abstimmung im Hinblick auf eine globale digitale Weltordnung.

Spätestens seit der Bundestagswahl 2017 diskutieren wir hierzulande die Gefahr, die von Desinformationen ausgeht. Obgleich wir uns bewusster werden, sind wir uns der Gefahren durch gezielte staatliche Desinformationskampagnen und strategische Informationskampagnen noch immer nicht genügend bewusst – geschweige denn dagegen gewappnet. Dennoch wirken wir als Politik und Zivilgesellschaft beständig daraufhin, dass Social-Media-Plattformen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir fordern, dass sie Maßnahmen gegen solche Kampagnen ergreifen und beispielsweise gezielt Netzwerke, die diese Desinformationen verbreiten, ausschalten oder dafür sorgen, dass ihre Algorithmen Desinformationen nicht weiter verbreiten. Wir sind mit den rechtlichen Vorgaben, zum Beispiel durch den Digital Services Act (DSA), noch ganz am Anfang. Doch der bisherige politische und gesellschaftliche Druck zeigte bereits Wirkung und Besuche der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen in europäischen Parlamenten taten ihr Übriges. 

Als Europäer:innen haben wir das Glück, dass wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Relevanz und unseres politischen Gewichts bei diesen Plattformen Gehör finden und entsprechenden Druck ausüben können – nicht nur durch Gesetzgebungen. In Ländern wie Myanmar, Äthiopien oder ganz aktuell den Philippinen, sieht dies leider anders aus. Nicht nur, dass hier seit Jahren Desinformationen, Hate Speech und Trollnetzwerke einen demokratischen Diskurs im Digitalen vollkommen unmöglich machen und dies vor allem autoritären Herrschern und Regimen in die Hände spielt. Schlimmer noch: solche​​ Desinformationen und unkontrollierte Hasssprache schürt und verschärft bestehende Konflikte – bis hin zum Genozid, wie an den Rohingya in Myanmar. All dies passiert auch, weil Plattformen weder auf die dort gesprochenen Sprachen ausreichend trainierte algorithmische Systeme haben, die schädliche Inhalte erkennen und vorsortieren könnten – ein Thema, das auch bei uns in Europa mit unseren vielen kleinen Sprachen von höchster Relevanz ist. Noch beschäftigen sie ausreichend Content-Moderator:innen, die die betreffenden Inhalte entsprechend bewerten und nach den eigenen Community-Richtlinien entfernen könnten. Es sollte in unserem Interesse sein, dass Plattformen nicht nur ihre eigenen Standards weltweit durchsetzen, sondern sich auch für den Schutz von Menschenrechten in ihren Netzwerken einsetzen. Das kann durch legislativen Druck, wie den DSA gehen, der hoffentlich global wirken wird. Das muss aber auch durch gesellschaftlichen Druck passieren. Welche realen Auswirkungen Desinformationen und Hate Speech haben kann, können wir hierzulande nicht nur intensiv seit der Corona-Pandemie sehen. Wir sehen es auch ganz deutlich seit der russischen Besetzung der Krim bis hin zum immer noch andauernden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.  

Russland fördert und verbreitet gezielte Desinformationen und Verunsicherung im Ausland und damit auch bei uns. Eine der größten Fehden im Informationskrieg wird allerdings gegen die eigene Bevölkerung geführt: nebst der Staatspropaganda aus der Duma soll die russische Bevölkerung möglichst keine faktenbasierten Informationen bekommen. Das Putin-Regime zensiert nicht nur die freie Presse, sondern auch ganz das Internet. Facebook und Instagram sind verboten, Twitter ist gesperrt, der Kurzvideodienst TikTok ist in Russland auf dem Vor-Kriegsstand eingefroren. Das russische Regime bereitet schon seit Jahren weitreichendere Maßnahmen vor:  Der Kreml versucht ein eigenes russisches Internet zu kreieren und das Land vom weltweiten offenen und freien Internet abzukapseln. Das gelingt Russland nicht so durchgreifend wie China, das mit seiner Great Firewall die eigene Bevölkerung seit Jahren erfolgreich vom Rest der Welt abschirmt und jegliche Kommunikation, insbesondere Kritik an der Kommunistischen Partei, zensiert. Kritiker:innen werden in Windeseile identifiziert, aufgespürt – und verschwinden. 

Beide Staaten treiben die Zersplitterung des Internets, das sogenannte “Splinternet” intensiv voran. Doch die staatliche Kontrolle des Internets und der digitalen Inhalte ist kein Alleinstellungsmerkmal von autoritären Regimen, die damit das Ziel verfolgen, ihre Bevölkerung komplett zu überwachen. Zu häufig lassen sich demokratische Staaten – auch die Europäische Union – dazu verleiten, Überwachungstechnologien zur Durchsetzung vermeintlich edler Motive zu adaptieren. Nicht umsonst wurden Digitalgesetze auch aus Europa vom früheren UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, scharf kritisiert, was hierzulande allerdings nur auf wenig Gehör stieß. Wenn unser Interesse eine wertebasierte Digitalisierung ist, müssen wir solche Kritik künftig ernster nehmen, um ein Vorbild sein zu können. Denn auch liberale Demokratien sind nicht davor gefeit, Freiheits- und Menschenrechte stückchenweise, und häufig unbemerkt, zu beschränken.

Die Bundesregierung hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie sich für eine aktive digitale Außenpolitik und ein offenes, globales Internet einsetzen will. Damit zeigt die Ampelkoalition, dass sie erkannt hat, dass wir nicht nur Interessen im digitalen Raum haben, sondern diese auch aktiv vertreten werden müssen. Das G7-Digitalminister:innentreffen in Düsseldorf unter der deutschen Präsidentschaft kann nur ein Auftakt sein, um hier als Politik und Gesellschaft entschlossener und strategischer vorzugehen. Der Krieg gegen die Ukraine und die Abstimmungen bei den UN zeigen deutlich, dass Abhängigkeiten gegenüber autoritären Regimen etwas entgegengesetzt werden muss – auch im Digitalen. Das Engagement der G7 oder jener demokratischen Staaten, die jüngst die Erklärung für die Freiheit des Internets unterschrieben haben, ist dafür unerlässlich. Doch schlussendlich braucht es eine Allianz gegen den “digitalen Autoritarismus”, die die Länder des Globalen Südens einschließt und deren Interessen berücksichtigt. Daher ist es sinnvoll – bei aller notwendigen Kritik an der Modi-Regierung – dass Bundeskanzler Olaf Scholz gerade Indien zum G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau eingeladen hat. 

Das Treffen der Digitalminister:innen der G7 muss deutlich machen, dass wir die Gefahr des “digitalen Autoritarismus” ernst nehmen und wir erkennen, dass es nicht nur unser Interesse, sondern auch unsere Verantwortung ist, in Zusammenarbeit mit Partnern des Globalen Südens einen vertrauenswürdigen, sicheren und gleichzeitig offenen und freien digitalen Raum zu kreieren, von dem alle wirtschaftlich und gesellschaftlich profitieren können. Daher ist es richtig, dass im Digital Track der G7 ein Fokus auf die Konnektivität und den fairen Wettbewerb gelegt wird, der Cyber-Kapazitätsaufbau vorangetrieben und Ungleichheiten wie dem “digital divide” entgegengewirkt werden soll. Damit einhergehend ist wichtig, dass der sichere grenzüberschreitende Austausch von Daten gerade mit den Ländern des Globalen Südens möglich gemacht wird. Der Stärkung eines verantwortlichen Verhaltens von Staaten im Cyberraum kommt dieser Tage nochmals eine besondere Bedeutung zu. 

Eine Zeitenwende verlangt, dass Deutschland eine neue Rolle in der Welt einnimmt. Dass wir stärker global Verantwortung übernehmen und uns sowohl dieser, als auch unserer eigenen Interessen bewusst sind. Wir mögen noch eine Weile über uns selber spotten, dass das Internet für uns “Neuland” wäre. Aber das ist es schon längst nicht mehr. Deutschland und die Europäische Union gelten als Vorreiter bei der digitalen Gesetzgebung – die Europäische Datenschutzgrundverordnung baute auf dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz auf, der DSA lernte vom deutschen NetzDG (und wiederholt nicht dessen Fehler) und vom Medienstaatsvertrag. Wir müssen im Interesse aller dazu einladen, gemeinsam für einen besseren – das heißt freien, offenen, demokratischen und menschenrechtsbasierten – digitalen Raum einzutreten. Frei von Überwachung und Zensur. Denn all das ist die Grundlage für Demokratien heute und morgen. Dass die Menschen weltweit danach verlangen und streben, sehen wir an den bewundernswerten Menschen in Hongkong, Belarus und der Ukraine. Demokratie ist uns nicht gegeben, sie ist uns aufgegeben. 

Tobias B. Bacherle MdB ist Obmann für Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss für Digitales.

Armand Zorn MdB ist Mitglied für die SPD im Ausschuss für Digitales.

Ann Cathrin Riedel ist FDP-Mitglied und Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik. 

Dieser Gastbeitrag erschien zuerst bei watson.

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Gastbeitrag zum Liberalismus bei ZEIT Online: Was das Tiananmen-Massaker mit Pornoseiten zu tun hat

Wie macht man Menschen begreifbar, was Freiheit im Netz bedeutet? Warum Bürger- und Menschenrechte die Grundlage für die Digitalisierung sein müssen und nichts drängender ist, als diese auch im Digitalen zu schützen? Auf Warnungen hinzuweisen von UN-Sonderberichterstattern für Meinungsfreiheit, die die Gesetzgebung in Deutschland und Europa, zum Beispiel beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz und der EU-Urheberrechtsrichtlinie kritisieren, habe ich versucht. Mit Verweisen auf die Freiheitskämpferinnen und -kämpfer in Hongkong und Belarus, die auf sichere, verschlüsselte Messenger angewiesen sind, ebenfalls. Aber das Thema, bei dem man plötzlich die volle Aufmerksamkeit hat, ist: Pornos.

Freiheit spürt man erst, wenn sie weg ist
Gleich zwei Pornowebsites sind unter den 25 meistbesuchten Seiten Deutschlands, auch wenn natürlich nie irgendwer drauf geklickt haben will. Pornos und der Zugang zu ihnen haben also eine gesellschaftliche Relevanz. Und gleichzeitig immer noch ein Schmuddel-Image. Deshalb versteht plötzlich an diesem Beispiel jede und jeder, warum Datenschutz, Anonymität und freier Zugang zum Netz so wichtig sind. Denn irgendwie wollen ja doch viele Pornos gucken – und sollen es auch können (unter Einhaltung der Jugendschutzgesetze) –, aber eben ohne, dass irgendjemand weiß, was man gerne guckt, wo und wie lange.

Freiheit spürt man häufig erst dann, wenn sie einem genommen wird. In Russland fiel die Zensur vielen erst auf, als die russische Medienaufsicht Roskomnadzor die zwei beliebtesten Pornoseiten im Land sperrte. In einem Talk auf der Konferenz für Menschenrechte im Digitalen, der RightsCon, veranstaltet von der Friedrich-Naumann-Stiftung, berichtete der russische Journalist Andrej Soldatow, dass die Menschen erst durch diese Sperre bemerkten, wie wichtig und nützlich ein VPN-Zugang ist – und wie wertvoll ein Internet ohne Zensur.


Nun ist Freiheit viel mehr als der Zugang zu Pornografie. Aber Sie merken, worum es geht. Solange Sie nichts Illegales tun, geht es niemanden etwas an, was Sie tun. Freiheit, das bedeutet auch, die Freiheit vor Überwachung, der freie Zugang zu Information und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.


Auch wenn der Datenschutz hierzulande bisweilen nach Bedenkenträgerei klingt: Warum er wichtig ist – und Freiheitsrechte sichert –, zeigt sich im Kleinen und Alltäglichen. Und in der Weltpolitik, im Umgang mit autoritären Systemen.

In der Corona-Pandemie hat Deutschland einiges geleistet, worauf wir stolz sein könnten. Wir haben es beispielsweise geschafft, eine Corona-Warn-App zu entwickeln, die funktioniert. Lassen Sie sich bitte nichts anderes erzählen! Es ist eine App, die eben nicht den einzelnen Menschen und sein Verhalten ganz genau trackt und deren Daten dann doch zu anderen Zwecken verwendet werden, wie es etwa in Singapur passierte. Dort darf nun doch die Polizei auf die Bewegungsprofile der Nutzerinnen und Nutzer zugreifen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, garantiert unter anderem durch die Datenschutzgrundverordnung, ist auch in Zeiten einer Pandemie wichtig.

Ich gebe zu, ich bin in einer privilegierten Situation. Ich habe keine Kinder und musste mich nicht mit nicht funktionierenden Lernplattformen, Schul-Clouds und Videoplattformen, die zwingend DSGVO-konform sein müssen, herumschlagen. Und ich verstehe wirklich jeden, den das alles unglaublich wütend macht. Ehrlich. Nur ist nicht der Datenschutz schuld daran, dass vieles nicht läuft. Es ist die seit 20 Jahren verschleppte Digitalisierung unseres Bildungswesens, des Gesundheitswesens und der Verwaltung. Eine leistungsstarke digitale Infrastruktur geht auch mit Datenschutz.


Chinas Zensur wirkt schon jetzt global
Während wir auf die DSGVO schimpfen, ist uns kaum bewusst, dass sie mittlerweile Vorbild ist. Kenia kopiert sie, auch Chile und Japan haben wie viele andere Länder eine ganz ähnliche Gesetzgebung eingeführt. Auch die USA, insbesondere Kalifornien, setzen immer mehr auf Datenschutz und Privatsphäre. Wer in der Europäischen Union mit seinen digitalen Produkten auf den Markt kommen möchte, muss sich an die DSGVO halten. Europa hat global Strahlkraft. Mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act sind zwei Gesetze in Arbeit, die hoffentlich eine ähnliche Wirkung haben werden.

Freiheit im Netz wird wichtiger. Und datenschutzkonforme Tools in der Schule sind zentral. Denn einmal implementiert, gehen sie nicht mehr weg. Hier geht es nicht um die Schulaufgaben der 5b, die sich die NSA angucken könnte. Hier geht es um biometrische Daten von Kindern, die aufgezeichnet, verarbeitet und gespeichert werden können – ohne dass wir das wissen. Und ohne dass wir das wirklich kontrollieren können, denn wir können sehr häufig nicht in den Quellcode der Software hineingucken. Wir wissen auch nicht, was mit diesen Daten vielleicht irgendwann mal passiert, wo sie landen und welche Restriktionen die Kinder irgendwann mal als Erwachsene erfahren, weil Daten falsch interpretiert oder kombiniert werden.

China darf nicht die Standards setzen
Wir müssen heute Bürger- und Menschenrechte im digitalen Raum schützen, um auch morgen in Freiheit leben zu können. Als Liberale wünsche ich mir möglichst wenig Regulierung. Aber ich sage auch als Liberale deutlich: Es geht nicht ohne. Unsere größte Herausforderung besteht darin, unsere analogen Prinzipien in die digitale Welt zu übertragen. Regulierung zu schaffen, die das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit schützt. Die Märkte fair und sozial macht, zum Beispiel durch die Besteuerung von großen Techkonzernen. Oder den Wettbewerb ermöglicht und Monopolbildungen entgegenwirkt.

Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt in seinem Essay über die Krise des Liberalismus einen Paradigmenwechsel. Der apertistische, also der öffnende, Liberalismus wird zum einbettenden. Dominierten bis zuletzt die Dynamiken der Märkte und der Globalisierung, werden diese nun nicht eliminiert, sondern in neu zu schaffenden Rahmenbedingungen eingehegt. Dem Mangel an Ordnung wird mit neuen Formen der Regulierung begegnet. Das gilt auch fürs Netz.

Wenn wir es nicht machen, setzen global andere die Standards. Vor wenigen Tagen wurde an das Tiananmen-Massaker erinnert, das zweite Jahr in Folge online. Solche Mahnwachen sind in der Volksrepublik China nicht möglich. Auch nicht digital hinter der chinesischen Firewall. 2020 sollten einige Mahnwachen auf der Videokonferenzplattform Zoom stattfinden. Drei davon wurden von Zoom auf Bitten der chinesischen Regierung gecancelt. Das Unternehmen sperrte sogar die Accounts der Veranstalterinnen und Veranstalter, obwohl diese alle außerhalb Chinas ansässig waren; vier von ihnen sogar in den USA.

Das US-Justizministerium leitete eine Untersuchung ein und erhob Anklage. Zoom gestand ein, dass die Zensurvorgaben Chinas keine Auswirkungen auf Menschen außerhalb der Volksrepublik haben dürften und dass das Unternehmen diesbezüglich „versagt“ habe. Dieses Jahr funktionierte die Mahnwache über Zoom. Die Angst, dass wieder unrechtmäßig auf chinesischen Druck zensiert wird, bleibt.

Der Staatstrojaner untergräbt Deutschlands Glaubwürdigkeit
Der Einfluss Chinas ist längst weltweit spürbar. In diesem Jahr klagten Nutzerinnen und Nutzer der Suchmaschine Bing von Microsoft darüber, dass sie am Jahrestag des Massakers unter dem Suchwort „tank man“ kein einziges Bild von dem chinesischen Mann finden konnten, der sich vor die Panzer auf dem Tiananmen-Platz stellte. Bing ist eine der wenigen westlichen Suchmaschinen, die auch in China operieren und sich dort den Zensurvorgaben unterwerfen. Es sei ein „versehentliches menschliches Versagen“ gewesen, dass die chinesischen Filtervorgaben auch außerhalb Chinas griffen. Dass das innerhalb weniger Tage behoben wurde, beruhigt nicht. Schließlich merken wir in vielen Fällen womöglich nicht mal, wenn ein digitales Tool zensiert wird – und sei es aus Versehen.

Europa muss Antworten geben, um die Freiheit in einer digital transformierten Welt zu schützen; um liberale Demokratien an sich zu schützen. „Die größten Demokratien der Welt werden eine hochwertige Alternative zu China für die Modernisierung der physischen, digitalen und gesundheitlichen Infrastruktur bieten, die widerstandsfähiger ist und die globale Entwicklung unterstützt“, schrieb US-Präsident Joe Biden kürzlich in einem Gastbeitrag für die Washington Post. Genau das sollte die gemeinsame Aufgabe sein.

Deutschland ist eine vertrauenswürdige Verteidigerin der Freiheit. Dazu muss aber auch jeder und jede Einzelne den unschätzbaren Wert der Freiheit in allem erkennen – und das nicht nur dann, wenn es um Pornos geht. Glaubwürdig können wir nur bleiben, wenn wir nicht gleichzeitig verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze verabschieden, die die Freiheit im Digitalen unterminieren: den Staatstrojaner etwa, die Vorratsdatenspeicherung oder die Netzsperren. Innovation und Bürgerrechte miteinander in Einklang zu bringen, das kann gelingen. Und dann wird Freiheit – ganz nach Hannah Arendt – auch im Netz weltliche Realität.

Dieser Gastbeitrag erschien am 21. Juni 2021 auf ZEIT Online

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G7-Konferenz der Außenminister –Desinformationen endlich ernst nehmen

Internationale Desinformationskampagnen stehen ganz oben auf dem Themen-Tableau der Außen- und Entwicklungsminister, die heute in London zum Treffen der G7-Staaten zusammenkommen. Im Fokus stehen russische Propaganda und Desinformationen, die unter anderem durch sogenannte Troll-Fabriken wie die Internet Research Agency in St. Petersburg, verbreitet werden. Diese hatte nicht nur versucht, Einfluss auf die US-Wahl 2016 zu nehmen – auch auf europäische Wahlen und gesellschaftliche Diskussionen zielen russische Kampagnen ab. Vorrangiges Ziel hierbei: Deutschland. Das ergab jüngst eine Studie des „EU vs Disinformation Projekts“ des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt, wie Russlands Informationspolitik versucht, die Meinung in Deutschland zu beeinflussen.

Es ist überfällig, dass das Thema Desinformationen in der Runde der G7-Staaten diskutiert wird. Zwar waren Desinformationskampagnen bereits beim Gipfeltreffen 2018 Thema als die Einrichtung eines sogenannten Rapid Response Mechanismuses beschlossen wurde. Doch bei den aktuellen Ankündigungen fällt den Außenministerinnen und -ministern nicht mehr ein, als dass gemeinsame Antworten auf Desinformationen gesucht und kommuniziert werden müssten. Man solle gemeinsam mit „Wahrheit” und „Widerlegung” reagieren, so der britische Außenminister Dominic Raab. Doch das greift zu kurz.

Der Kampf gegen Desinformationen benötigt internationale Zusammenarbeit, insbesondere zwischen demokratischen Staaten. Dass das Thema stärker in der Außenpolitik und in den diplomatischen Beziehungen adressiert werden muss, ist eine der zehn Forderungen gegen Desinformation, die die Friedrich-Naumann-Stiftung jüngst veröffentlicht hat. Diese Forderungen betrachten Maßnahmen gegen Desinformation holistisch. Es genügt bei Weitem nicht, lediglich Forderungen an Social-Media-Plattformen zu stellen, über die gezielte Desinformationen verbreitet werden oder Gesetze gegen “Fake News” zu fordern. Letzteres ist strikt abzulehnen, wird aber immer wieder gefordert – auch aus dem Kreise der G7.

Desinformationen werden nicht nur gegen andere Länder eingesetzt. Gerade autoritäre Regime und populistische Präsidenten verwenden sie auch gegen die eigene Bevölkerung. Neben der Wählerbeeinflussung hat insbesondere die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Desinformationen über Gefahren und Auswirkung des Virus die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen können. Durch die vernetzte Weltgemeinschaft haben Desinformationen zudem Einfluss auf Menschen, die in der Diaspora leben. Gesundheitliche Desinformationen, die zum Beispiel in Indien massiv über Messenger verbreitet werden, haben so auch Einfluss auf die indischstämmige Bevölkerung unter anderem in Großbritannien und den USA.

Die Idee, mit “Wahrheit” auf Desinformationen zu reagieren, verkennt, dass Desinformationen vor allem auf die Emotionen und nicht die Ratio der Menschen abzielen. Die meistens über (audio-)visuelle Medien verbreiteten Desinformationen – wie Videos, Bilder, Grafiken oder Memes – lassen Menschen vor allem Wut, Trauer oder Freude empfinden. Emotionen lassen sich eher selten mit „Faktenchecks” begegnen. Hier braucht es andere Gegenstrategien. Taiwan und Südkorea begegnen Desinformationen beispielsweise mit Humor.

Desinformationskampagnen, Propaganda und Cyberangriffe sind längst Alltag geworden. Sie treten nicht nur während Wahlen auf, sondern kontinuierlich. Sie sind darauf ausgelegt, langsam und schleichend Gesellschaften zu destabilisieren, das Image von Staaten zu ändern (insbesondere im Falle Chinas) und sogar militärische Operationen vorzubereiten, wie im Vorfeld der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Gesellschaften müssen durch geeignete Bildungsmaßnahmen über der Existenz von Desinformationskampagnen informiert werden – hier ist Finnland ein gutes Vorbild. Medienkompetenz ist dafür unerlässlich. Es braucht dahingehend Bildungsangebote für jedes Alter. Aber auch Journalistinnen und Journalisten brauchen ein besseres Verständnis für den Umgang mit Desinformationen. Denn häufig verhelfen klassische Medien durch ihre Berichterstattung Desinformationen zu größerer Reichweite. Vor allem aber kann die Wiederholung der Botschaften – auch in einer Kontextualisierung – dafür sorgen, dass bei den Lesenden Zweifel gesät werden. Eine Untersuchung des Tübinger Leibniz-Instituts zeigte Ähnliches für Verschwörungserzählungen: Schon die Konfrontation mit diesen zöge negative gesellschaftliche Auswirkungen nach sich. Es muss also genau abgewogen werden, über was wie zu berichten ist. Vor allem aber brauchen Journalistinnen und Journalisten Schutz vor denjenigen, die sie – regelmäßig angestachelt durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen – und damit die Pressefreiheit angreifen.

Dass das Thema auf der G7-Konferenz adressiert wird, ist äußerst wichtig. Die Maßnahmen, die gegen Desinformationen ergriffen werden, müssen umfassend sein. Illiberalen Forderungen wie einem Verbot von Desinformationen muss widerstanden werden. Es gibt keine einfache Lösung. Doch gerade weil das demokratische Fundament – nicht nur der G7-Staaten – von Staaten wie Russland und China durch Desinformationskampagnen angegriffen wird, braucht es eine gemeinschaftliche, umfassende und nachhaltige Antwort. Es braucht Lösungen, auf die sich demokratische Staaten einigen und die anschlussfähig für andere Staaten sind. Die Zeit drängt.

Dieser Text erschien zuerst auf freiheit.org.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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Sachverständige im Deutschen Bundestag: Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik wurde ich als Sachverständige in den Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestags geladen. Thema der öffentlichen Anhörung am 24. März 2021 war das wichtige Thema „Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen“.

Die Anhörung kann auf den Webseiten des Bundestags komplett angesehen werden. Dort befindet sich auch ein Nachbericht sowie die Stellungnahmen der anderen geladenen Sachverständigen.

Meine Stellungnahme ist auch hier downloadbar (PDF).

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Gender Data Gap – die unsichtbaren Frauen

Wir leben in einer datengetriebenen Welt. Durch mehr Daten lassen sich deutlich bessere Entscheidungen treffen — politische, ökonomische, persönliche. Dafür müssen Daten nicht einmal einen Personenbezug haben. Und doch ist es wichtig, dass wir wissen, ob die Daten von Männern oder Frauen erhoben wurden.

Wie viel Eigentum besitzen Frauen? Wie viel Einkommen erzielten Frauen in Entwicklungsländern? Wir wissen wenig bis gar nichts über diese Situation von Frauen. Was bedeutet, dass wir ihre ökonomische und gesellschaftliche Partizipation und hoffentlich auch ihre gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft nur schwer messen können. Der Fokus an Daten von Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern liegt vor allem auf ihrer reproduktiven Gesundheit. Also dem Aspekt des Lebens einer Frau, auf den man sie noch immer regelmäßig reduziert: Ihre Rolle als Ehefrau und Mutter.

Der sogenannte Gender Data Gap trifft nicht nur Frauen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Er hat Einfluss auf das Leben jeder Frau weltweit. Es sterben mehr Männer als Frauen in Verkehrsunfällen. Das ist häufig auf deren risikoreichere Fahrweise zurückzuführen und darauf, dass mehr Männer ein Fahrzeug führen als Frauen. Und doch: Frauen sterben um 17 Prozent häufiger als Männer und sind sogar 47 Prozent häufiger verletzt. Warum? Im Design von Autos, ihrer Entwicklung und bei Crash-Tests werden die Körper von Männern als Standard genommen. Frauenkörper sind davon Ausreißer. Bis zum Jahr 2003 wurden Crashtest-Dummys, die den Körpern von (nicht-schwangeren!) Frauen gleichen, gar nicht verwendet.

Das Problem fehlender Daten tritt auch im medizinischen Bereich auf und kann ebenfalls hier lebensbedrohliche Folgen haben. Herzerkrankungen gehören in der westlichen Welt zu den häufigsten Todesursachen für Männer und Frauen. Doch die Überlebenschance von Frauen ist deutlich geringer als die von Männern. Auch hier liegt das Problem in fehlenden Daten: klinische Studien zu Herzerkrankungen wurden in der Medizingeschichte häufig lediglich an Männern und von männlichen Ärzten vorgenommen. Die Symptome von Männern wurden als „typisch” erachtet, die von Frauen als „atypisch”. Daraus folgt, dass Frauen 50 Prozent häufiger falsch diagnostiziert werden und die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Medikation oder Behandlung bekommen, die für sie notwendig ist, ist ebenfalls weniger wahrscheinlich.

Zudem wird in der medizinischen Forschung der weibliche Zyklus zu wenig bis gar nicht mitbedacht. Ebenso wenig dessen Auswirkungen auf eine Medikation. Dabei reagieren weibliche Körper gerade unter dem wechselnden Einfluss von Hormonen innerhalb des Zyklus unterschiedlich gut oder schlecht auf Medikamente. Der weibliche Körper und sein Zyklus sind eigentlich auch ein Business-Case. Apple brachte beispielsweise seine umfassende “Health App” heraus, ohne daran zu denken, dass für die Hälfte der Nutzenden und damit der Kundinnen das monatliche Tracking der Periode zum Erfassen der persönlichen Gesundheitsdaten gehört. Man muss dem Konzern nicht mal unterstellen, dass er Perioden — wie es noch zu häufig der Fall ist — als Tabuthema betrachtet. Man kann eher davon ausgehen, dass Apple und seine Entwickler schlicht vergessen haben, dass Perioden existieren und jede Frau ihre Periode in Kalendern erfasst. Das Problem: Der männliche Körper wird als Norm betrachtet.

Frauen machen die Hälfte von Gesellschaften aus. Und doch meinen wir, so die Autorin des Buches “Unsichtbare Frauen”, Caroline Criado Perez, durch die Prägung eines alltäglichen Bias, neun von zehnmal nicht Mensch, wenn wir von Menschen sprechen, sondern Männer. Gerade weil sich unsere Welt immer weiter digitalisiert und datafiziert, und weil es unser Anspruch sein muss für eine geschlechtergerechte Welt einzutreten, müssen wir dafür sorgen, dass die Daten, die wir nutzen, das Geschlecht bedenken. Die Probleme sind noch viel weitreichender und verblüffender, als man gemeinhin annimmt. Criado Perez erläutert dies in ihrem Buch auf imposante Weise. Daher ist es wichtig, dass sich die Wissenschaft stärker mit dem Phänomen des Gender Data Gap beschäftigt. Das Gap offenbart auch nochmal, wie wichtig diverse Teams in allen Organisationen sind — vom Unternehmen bis hin zur Behörde. Denn nur so können unterschiedliche Lebensrealitäten und Erfahrungen mitbedacht werden und Einfluss auf die Erhebung und Auswertung von Daten haben. Fehlende Daten von Frauen führen zu fehlenden (Lebens-)chancen.

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Datenschutz: Den ritualisierten Debatten entkommen

In Deutschland zeigt sich eine immer größere Ambivalenz: “Die Deutschen”, das sind die, die den Datenschutz immer so hoch und gerne über alles stellen, sagt man. Genauso sind “die Deutschen” diejenigen, die spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie genauso davon überzeugt sind, dass der Datenschutz deutlich abgeschwächt werden müsse, damit man die Pandemie effektiv bekämpfen könne.  Und so führen wir sie wieder, die ritualisierten Debatten, bei denen meist nicht mehr gesagt wird, als dass Datenschutz wichtig ist, oder dass er der Faktor ist, der für unseren digitalen Rückstand verantwortlich ist. Wir drehen uns im Kreis und ich möchte behaupten, es ist nicht der Datenschutz, der uns aufhält, sondern diese ritualisierten Debatten.

Vor genau 40 Jahren wurde die Europäische Datenschutzkonvention verabschiedet. Seit 2018 ist die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in der gesamten Europäischen Union anzuwenden. Der heutige Europäische Datenschutztag soll die Europäerinnen und Europäer für den Datenschutz sensibilisieren. Das ist gut und wichtig, denn wir müssen dringend zu dem Punkt kommen, in dem wir alle aufgeklärt über Daten reden können, um diesem Hamsterrad entfliehen zu können. Schließlich müssen wir weiterdenken: wie wollen und können wir Daten nutzen, wie wollen und können wir sie für das Gemeinwohl und Geschäftsmodelle einsetzen und wie können wir eine liberale Datenpolitik zu einem weiteren Exportschlager machen. Die DSGVO ­ manch einer mag es kaum glauben – ist es nämlich schon. Dazu braucht es erstmal nur drei kleine Schritte.

Der erste Schritt, um den ritualisierten Debatten zu entkommen, besteht darin, sich darüber klar zu werden, dass der Datenschutz nicht wirklich Daten schützt. Er schützt vieles – und ja, das ist je nach Betrachtungsweise unterschiedlich und nicht immer eindeutig. Er schützt die Privatsphäre, und damit auch Persönlichkeitsrechte. Der Datenschutz umfasst das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Die DSGVO regelt auch die Datensicherheit – es ist nicht „einfach“. Und doch ist eine Sache recht klar: Der Datenschutz schützt personenbezogene Daten. Er bezieht sich nicht auf Geodaten, Wetterdaten, Verkehrsdaten oder sonstige Maschinendaten. Der erste Schritt ist also: Benennen wir die Daten, die wir meinen. Vielleicht erübrigt sich die Diskussion über den Datenschutz ja direkt.

Schritt zwei und drei sind dann die Folgenden: Sich zu überlegen – und bestenfalls zu benennen! – woher die Daten kommen, welche wir wirklich brauchen und wie sie generiert werden sollen. Und dann, wie sie verarbeitet werden können und wer dies tun kann. Die Frage stellt sich übrigens auch für nicht-personenbezogene Daten. Schließlich liegt es manchmal auch einfach am nicht-Vorhandensein von Geräten, die Daten generieren, oder an Geschäftsideen, um mit den Daten etwas anzufangen. Einen antizipierten Mangel am digitalen Fortschritt am Datenschutz festzumachen, greift viel zu kurz.

In Deutschland – übrigens auch gerade während der Pandemie – stellt sich viel zu häufig die Frage, warum wir Daten gar nicht erst generieren, beziehungsweise so zur Verfügung stellen, dass wir sie auch vielfältig nutzen können. Wir wissen kaum etwas über das Infektionsgeschehen. Nicht wegen des Datenschutzes, sondern weil wir die Daten nicht von Beginn an erfassten. Wir wissen auch so generell viel zu wenig über Bedarfe in unserer Stadt oder der Verwaltung, weil wir zu wenig Daten so aufbereiten, dass wir sie in Dashboards darstellen können und Prognosen zum Beispiel über benötigte Kita- oder Schulplätze für in drei oder sechs Jahren ablesen können. Weil wir zu wenige Daten erfassen, die wenigen in Silos lassen und auch zu wenige austauschen, zum Beispiel zwischen Universitäten – und das auch innerhalb der Europäischen Union -, haben wir erst viel später Erkenntnisse, vielleicht sogar gar keine, und somit viel weniger Möglichkeiten, innovative Geschäftsmodelle aufzubauen, künstliche Intelligenz zu trainieren und zu skalieren. All das geht bei offenen Daten, oder nicht-personenbezogenen Daten ganz ohne den Datenschutz und auch die DSGVO und Innovation sind wunderbar miteinander in Einklang zu bringen, wenn man denn will.

Wir Europäerinnen und Europäer müssen das noch stärker wollen. Datenschutz hat bei uns eine lange Tradition, weil uns Bürger- und Menschenrechte wichtig sind. Weil uns bewusst ist, dass eine freiheitliche Gesellschaft nur auf einem Fundament prosperieren kann, das die Rechte eines jeden Einzelnen schützt. Es ist nicht der Datenschutz, der uns im Weg steht, sondern wir selber. Wir haben Schatztruhen voller Daten – öffnen wir sie! Insbesondere in der Verwaltung und im Mittelstand. Wir haben die klügsten Köpfe – nutzen wir sie! Für innovative, datenschutzfreundliche digitale Produkte. Wir vergessen zu häufig, dass unsere Datenschutzgrundverordnung ein Exportschlager ist. Argentinien, Brasilien, Chile, Japan, Kenia, Südkorea oder Kalifornien sind Staaten, die sich an der DSGVO orientiert haben. Wir Europäerinnen und Europäer können und müssen stolz sein, den politischen Mut zu haben, den weltpolitischen Dynamiken zu trotzen und unseren Bürgerinnen und Bürgern in einer digitalisierten Welt ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung zu garantieren.  Gleichzeitig müssen wir die nächsten Schritte gehen ­ übrigens auch in anderen digitalpolitischen Feldern. Unser erster, nächster Schritt muss zu produktiveren Debatten über Daten und ihren möglichen Einsatz in der Öffentlichkeit führen.

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Digitale Transformation: Deutschland und Europa müssen globale Standards setzen

Wer es nicht schon längst wusste, dem ist hoffentlich im Pandemiejahr 2020 bewusst geworden, wie wichtig die digitale Transformation ist. 2021 muss endlich das Jahr sein, in dem wir nicht nur mit großen Schritten bei der Digitalisierung vorankommen, sondern auch Grundlagen für ein Deutschland und Europa legen, das Bürger- und Menschenrechte im Digitalen schützt und globale digitale Standards setzt. Und damit auch ein „level playing field“ für fairen Wettbewerb schafft. Im Jahr 2021 werden aus liberaler Sicht folgende Themen wichtig.

Regeln für Tech-Konzerne

Mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act will die Europäische Kommission ein neues Grundgesetz für den digitalen Raum festlegen. Dabei soll es nicht nur um Spielregeln für Plattformen und die Inhalte auf diesen gehen. Auch das Wettbewerbs- und Kartellrecht soll angepasst werden, um der Marktmacht einiger Internetplattformen Herr zu werden. Die Diskussionen um die Rolle von Social-Media-Plattformen bei der Erstürmung des Kapitols in Washington werden den Druck auf eine Umsetzung des Digital Services Acts erhöhen, auch wenn dieser dieses Jahr voraussichtlich noch nicht verabschiedet wird. Es ist notwendig, dass Plattformbetreiber und der Gesetzgeber sich damit beschäftigen, was diese in Bezug auf das Löschen und Sperren von Funktionsträger:innen dürfen oder müssen. Zudem wurde abermals – und vor allem in der westlichen Welt – deutlich, welche analogen Auswirkungen Hass und Hetze, Desinformation und Verschwörungserzählungen, die im Netz verbreitet werden, haben können. Bislang ist keine vehemente Kritik am Vorschlag des Digital Services Acts zu vernehmen. Vielmehr sehen sowohl Akteure der Zivilgesellschaft als auch Unternehmen den ersten Vorschlag als gute Grundlage. Mit der Verabschiedung der Richtlinie ist zwar nicht in diesem Jahr zu rechnen, wichtige Weichenstellungen im Hinblick auf die Inhalte werden aber 2021 erfolgen.

Der Digital Markets Act greift hingegen stärker die aktuellen Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne an, die als “Gatekeeper” gelten. So sollen bestimmte Praktiken verboten werden und Daten nicht mehr exklusiv von diesen Anbietern genutzt werden können. Zudem sollen bestimmte Praktiken, die als “unfair” definiert werden, stärker überwacht werden sowie digitale Dienste, wie zum Beispiel Messenger, zur Interoperabilität verpflichtet werden.

Abseits vom Digital Services und Digital Markets Act wird auch das Thema Steuern für Tech-Konzerne weiter diskutiert werden. Dies wird bereits auf OECD-Ebene diskutiert. Hier geht es darum, ein Steuermodell zu finden, bei dem die Körperschaftssteuer künftig nicht mehr nur am Firmensitz oder an Orten mit Betriebsstätte gezahlt wird, sondern zum Teil auch dort, wo Menschen die Produkte kaufen, also in den Marktstaaten. Dabei geht es insbesondere um die Besteuerung von allen multinationalen Konzernen, die mit immateriellen Wirtschaftsgütern Gewinne erzielen. Aus liberaler Sicht ist eine Doppelbesteuerung durch eine Digitalsteuer, die eine Art zweite Umsatzsteuer fungiert, abzulehnen. Ergebnisse zu diesem Thema sollen Mitte des Jahres vorgelegt werden.

Uploadfilter gegen Terror und beim Urheberrecht

Parallel zum Digital Services Act wird die neue Verordnung gegen terroristischen Online-Content (TERREG) verhandelt, die auf deutliche Kritik bei Digitalexpert:innen und Bürgerrechtler:innen stößt. Durch die Verordnung werden sogenannte Uploadfilter, also automatisierte algorithmische Systeme, überprüfen, ob ein Inhalt, der auf eine Plattform hochgeladen werden soll, zu beanstanden ist oder nicht. Die Vorgabe für große Plattformen, innerhalb einer Stunde terroristische Inhalte zu löschen, wird diese de facto dazu zwingen, diese Technologie einzusetzen. Zusätzlich zu der Problematik, dass solche automatisierten Systeme technisch nicht in der Lage sind, Inhalte präzise zu erkennen und einzuordnen, kommt im Falle der TERREG noch hinzu, dass es in der Europäischen Union keine einheitlichen Definitionen für Terror bzw. terroristische Organisationen gibt. Die Problematik wird in Ländern wie Ungarn deutlich, das Umweltaktivist:innen als “Öko-Terrorist:innen” verunglimpft und so die Verordnung dazu missbrauchen könnte, unliebsame Inhalte aus dem Netz verschwinden zu lassen. Ebenfalls werden uns die Uploadfilter aus der EU-Urheberrechtsreform weiter beschäftigen, die bis zum Sommer in nationales Recht umgesetzt werden müssen und in Deutschland zu heftigen Diskussionen zwischen Kreativen und Bürgerrechtler:innen, den einzelnen Ministerien, aber auch in den Regierungsparteien führt. Eine Klage Polens ist vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig. Dort soll entschieden werden, ob Artikel 17 der EU-Urheberrechtsreform, der dazu führt, dass Webseitenbetreiber Upload-Filter einsetzen müssten, eine illegale „allgemeine Überwachungspflicht“ darstellt. Eine erste Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Europäischen Gerichtshofs ist für den 22. April 2021 vorgesehen.

Künstliche Intelligenz und biometrische Überwachung

Zum Thema künstliche Intelligenz wurde vergangenes Jahr von der Europäischen Kommission ein Weißbuch veröffentlicht, das sich mit den „technologischen, ethischen, rechtlichen und sozioökonomischen Aspekten“ von künstlicher Intelligenz beschäftigt. Aus diesem sollen Folgemaßnahmen entwickelt werden. Die Entwicklung von Standards für künstliche Intelligenz ist wichtig, damit Europa eine ethische und rechtliche Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz dieser Technologie bieten kann. Eine solche Regelung wäre nicht nur für Europäer:innen wichtig, sondern könnte auch weltweite Signalwirkung entfalten, um der Verbreitung chinesischer Überwachungstechnologien ein Gegengewicht bieten zu können. Dass dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zum Beispiel bei Gesichtserkennungssoftware Grenzen aufgezeigt werden müssen, zeigen US-Städte wie San Francisco, die den Einsatz dieser Technologie im öffentlichen Raum bereits untersagt haben. Konzerne wie Amazon wollen entsprechende Software zukünftig nicht mehr Polizeibehörden verfügbar machen und IBM will die Erforschung dieser Technologie einstellen.

Cybersicherheit und Verschlüsselung

Hackerangriffe auf die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), Tech-Unternehmen, Verlage und Krankenhäuser haben im vergangenen Jahr massiv zugenommen. Sie führen uns nicht nur vor Augen, wie vulnerabel unsere Unternehmen und Infrastruktur mittlerweile sind, sondern auch, dass an der IT-Sicherheit Menschenleben hängen. Ein Hacker-Angriff auf das Universitätsklinikum Düsseldorf hatte den Tod einer Patientin zur Folge. Die IT-Sicherheit muss durch politische Vorgaben gestärkt werden. Das Vorhaben der Innenminister:innen der EU-Mitgliedsstaaten, Hintertüren in die Verschlüsselung von Messengerdiensten einführen zu wollen, bedarf daher einer äußerst kritischen Begleitung. Schließlich geht es hier nicht nur um die Privatsphäre eines jeden, sondern auch um den Schutz der Pressefreiheit. Zudem sind Unternehmen gefährdet, denn Sicherheitslücken machen Angriffe auf die Unternehmens-IT wahrscheinlicher. Mit ihnen gehen teils enorme wirtschaftliche Schäden einher. Die EU-Kommission verwehrt sich zwar diesem Vorhaben, doch werden uns Forderungen nach Hintertüren in Verschlüsselungen auch dieses Jahr begleiten. 2021 muss das Jahr werden, in dem die Politik klarstellt, dass nur eine Verschlüsselung ohne Hintertüren Sicherheit bietet und Bürgerinnen und Bürgern ein Recht auf Verschlüsselung haben sollten. 

Digitale Identitäten

Digitale Identitäten werden eines der wichtigsten und prägendsten Themen des Jahres. Neben der Überarbeitung der europäischen eIDAS-Verordnung, die die Standards der digitalen Identitäten regelt, möchte die Europäische Kommission auch eine Europäische-ID (EU-ID) einführen, die parallel zu nationalen eID-Systemen ausgerollt werden soll. Die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag der Kommission ab. Stattdessen werden Standards für ein Identitätsökosystem gefordert, also ein Wettbewerb der ID-Angebote. Durch die Errichtung eines Identitäten-Ökosystems, in das bestehende Lösungen integriert werden können, soll die Möglichkeit geschaffen werden, die bestmögliche Lösung zu finden. Wie der Vorschlag Deutschlands aufgenommen wird, wird sich im Laufe des Jahres zeigen. Er könnte insbesondere für diejenigen Mitgliedsstaaten attraktiv sein, die bereits eigene Lösungen für eIDs haben, da sich diese in das Ökosystem integrieren lassen. In Deutschland erwarten wir den digitalen Personalausweis auf dem Smartphone. Durch ihn sollen zum Beispiel Behördendienstleistungen einfacher digital in Anspruch genommen werden können. Aber auch das digitale Ausweisen bei der Eröffnung eines Bankkontos kann so leichter möglich sein.

Digitale Bildung und der Digital Divide

Versäumnisse im Bildungswesen werden auch 2021 nicht aufgeholt werden können, nur die Brisanz des Themas Digitalisierung des Bildungswesens wird noch größer. Hier werden wir erkennen müssen, dass in der Not geborene Maßnahmen zur Bereitstellung digitaler Lernräume und Plattformen nicht ausreichen. Zudem wird deutlicher werden, wie dringend sich die Ausbildung für Lehrkräfte anpassen und Themen wie Didaktik im Digitalen behandeln muss. Themen wie Lehr- und Lernkonzepte im Digitalen werden uns begleiten und der Druck auf Bildungs- und Kultusminister:innen wird steigen, hier notwendige Mittel und Lösungen bereitzustellen. Auch das Thema Hardware in der Schule wird 2021 diskutiert werden. Denn bereitgestellte Hardware für Lehrkräfte und Schüler:innen will administriert und gewartet werden. Dafür braucht es zusätzliches Personal an den Schulen. Der Mangel an IT-Fachkräften wird auch hier zum Problem werden. Die Ad hoc-Lösungen im Bildungswesen während der Pandemie werden nachhaltigen und langfristigen Ersatz benötigen, um ein zeitgemäßes Lehren und Lernen gewährleisten zu können. Und auch der sogenannte Digital Divide wird uns umtreiben. Wenn Schüler:innen kein Endgerät von der Schule bereitgestellt werden kann, sind sie darauf angewiesen, dass die Familie sich genügend Endgeräte leisten kann, damit die Kinder Home Schooling machen können oder auch nach der Pandemie mit mobilen Geräten zu Hause arbeiten können. Das Recht auf Bildung darf insbesondere beim Home Schooling in der Pandemie weder durch fehlende digitale Lernplattformen noch durch fehlende Endgeräte verwehrt werden.

(Re:start21:) Krise als Chance: Zusammenschluss demokratischer Staaten

Das Pandemiejahr 2020 und die ersten Tage in 2021 haben uns erneut aufgezeigt, wie drängend das Thema Digitalisierung ist und dass Digitalpolitik längst kein Nischenthema mehr ist. Die Entwicklungen verdeutlichen zudem, wie wichtig es ist, dass demokratische Staaten diejenigen sein müssen, die Standards und Regulierung für den digitalen Raum festlegen. Dies darf weder Konzernen und damit der normativen Kraft des Faktischen überlassen werden, noch autoritären Staaten. Die beginnende Präsidentschaft Joe Bidens und die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Pandemie sollten daher der Aufruf für die größten demokratischen Staaten sein, sich zusammenzutun. Ähnlich wie das Bündnis der G7-Staaten müssen sie gemeinsam Lösungen für die digitalen Herausforderungen finden. Dazu gehören nicht nur die oben genannten – die keine abschließende Liste darstellen -, sondern auch Fragen des Umgangs mit Meinungsfreiheit und dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Wirtschaftsräumen, insbesondere seitdem das Privacy Shield zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für ungültig erklärt wurde. Solch ein Zusammenschluss würde nicht nur die transatlantischen Beziehungen wieder auffrischen, sondern auch Chancen für eine lebenswerte, digital-nachhaltige Welt bieten, die auf offene Märkte und Multilateralismus setzt.

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