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Digitalpolitik

Category: Digitalpolitik

Digitale Transformation braucht starke Netzwerke

In meiner Twitter-Bio steht: „you’ll probably hear about the Hackhähnchen“. „Häckhähnchen?!“, werden Sie sich fragen – und ja, ich stopfe ein Hähnchen mit Hackfleisch (aber auch mit Reis und Mandelsplittern) und serviere das dann. Zum „Hackhähnchen“ möchten mittlerweile viele kommen. Etwas stolz macht mich das schon. Es ist aber nicht wegen des gestopften Hähnchens selber – das merken die Gäste spätestens bei der Ankunft – sondern bei dem Format „Hackhähnchen“, das sich mehr aus Zufall entwickelt hat.

Ich koche gerne und wollte immer einen großen Esstisch haben. Als ich den endlich hatte, lud ich elf Freund:innen ein und dieses Format etablierte sich. Es kamen auch Menschen hinzu, die ich gar nicht kannte, aber spannend fand und eigentlich erst an meiner Wohnungstür kennenlernte. Ich wollte Menschen zusammenbringen, bei denen ich dachte, dass sie sich mal kennenlernen sollten. Weil sie sympathisch sind, klug, witzig und spannende Dinge tun. Und einige wollte ich selber auch einfach mal kennenlernen.

So entstand das Hackhähnchen, das heute irgendwas zwischen Mysterium und Running Gag ist, aber vor allem ein privates Format, das mir viel Freude bereitet ­und meinen Gästen auch. Sie vergrößern ihr Netzwerk und ich bin froh, dass so Menschen zusammenfinden, die auf unterschiedliche Weisen die Probleme dieser Welt lösen. Allein kann das schließlich niemand. So haben sich zum Beispiel ein Professor und ein ehemaliger Mitarbeiter von ProSiebenSat1 bei mir kennengelernt und mir später erzählt, dass sie zusammen an einem Projekt gegen Cybermobbing gearbeitet haben – eine Kampagne im Rahmen von Germany’s Next Top Model.

Magie des Netzwerkens

Das ist für mich die Magie des Netzwerkens: Man lernt neue Leute kennen, durch den Austausch entstehen neue Synergien, es werden neue Ideen geboren und manchmal kann sich unverhofft weitergeholfen werden. Vielleicht direkt am selben Abend, vielleicht erst Wochen oder Jahre später. Vielleicht auch nie. Ein Mehrwert ist trotzdem da: Man hatte einen angeregten Abend.

Warum erzähle ich das? Netzwerke haben einen enormen Wert. Das ist eigentlich keine Neuigkeit. Für die öffentliche Verwaltung aber schon. Um das Netzwerken und den Austausch in diesem Bereich zu fördern, wurde 2018 das Next-Netzwerk gegründet, das ein eingetragener Verein ist. Seit März diesen Jahres darf ich die Geschäftsstelle leiten. Das Next-Netzwerk ist der Ort, wo die „Gold Nuggets“ der Verwaltung zusammenkommen, so sagte es die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg. Und sie hat Recht.

Mit wenig Erfahrung in der öffentlichen Verwaltung, aber mit der Hypothese, dass wir zahlreiche kluge, talentierte, motivierte und kreative Menschen im öffentlichen Dienst haben, bin ich an die neue Tätigkeit herangegangen und diese Erwartung wurde mir nicht nur bestätigt, sondern auch übertroffen.

Insbesondere in den Kommunen haben wir Menschen sitzen, die allen Widrigkeiten zum Trotz unsere Verwaltung kreativ und mit viel Elan transformieren. Die Widrigkeiten sind – und damit bestätigte sich meine zweite Hypothese – Prozesse und Strukturen, an denen ein Vorankommen bei der Transformation unserer Verwaltung scheitert. Vorgaben, die nicht zu erfüllen sind, die Fernab der Bedarfe der Kommunen sind und vor allem, wiein der Verwaltung insbesondere im Bund, immer noch gearbeitet wird.

E-Mail-Anhänge sind kein Kollaborationstool

Das ist auch etwas, das mir bei meiner Tätigkeit im Beirat zur Umsetzung der Digitalstrategie Deutschlands aufgefallen ist und vor einigen Tagen Netzpolitik sagte: Wie kann gute, zeitgemäße Zusammenarbeit zwischen den Ressorts erfolgen, wenn das einzige Kollaborationstool der E-Mail-Anhangist? Das ist nicht nur müßiges Arbeiten, es ist auch fehleranfällig und kostet viel Zeit und Geld.

Über den Fachkräftemangel, der sich durch die Pensionierungswelle nochmal verschärfen wird, und die Attraktivität von Bundesministerien als Arbeitgeber haben wir da noch gar nicht gesprochen. Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag eigentlich vorgenommen, dass sie das Silodenken zwischen den Ressorts überwinden möchte und das Arbeiten agiler und digitaler erfolgen soll. Maßnahmen dafür kann ich leider noch nicht erkennen.

Wir werden uns noch lange darüber unterhalten können und müssen, wie Leuchtturmprojekte in die Fläche kommen, warum Digitalprojekte scheitern und wie viel Geld wir wirklich verschwenden, wenn Projekte nicht nachhaltig verankert und damit finanziert werden. Wir müssen uns auch im öffentlichen Dienst stärker damit beschäftigen, wie wir miteinander arbeiten wollen und sollten, um gerade in Zeiten knapper werdender Haushaltsmittel alle möglichen Effizienzen zu heben. 

Next kann und will dafür eine Maßnahme sein. Bei uns kommen Menschen der öffentlichen Hand zusammen, die aus eigenem Antrieb heraus ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in unseren Communites miteinander teilen wollen. Das sind Menschen, die Spaß am Austausch über digitale Themen haben, Gleichgesinnte in ihren Fachgebieten suchen und einen Mehrwert im Vernetzen sehen. Sie haben begriffen, dass die digitale Transformation nur gelingt, wenn man das eigene Wissen teilt und Kontakte knüpft. Zum Beispiel durch unsere Speeddating-Sessions während unserer Communities, um Menschen kennen zu lernen, die man mal anrufen kann, wenn man Rat braucht oder doch nochmal weiter über eine skizzierte Herausforderung sprechen möchte. 

Mit über 3.000 Aktiven in unseren Communities sehen wir, wie hoch der Bedarf ist und der Wille sich auszutauschen und zu lernen – dass Vernetzung ein elementarer Bestandteil der Verwaltungsmodernisierung ist. Ebenso wie Fähigkeiten im Projekt- und Innovationsmanagement.

Kulturwandel für die Transformation

Verwaltungsmodernisierung ist so viel mehr als Onlinezugangsgesetz (OZG) und Registermodernisierung. Um die Transformation der Verwaltung erfolgreich umzusetzen, braucht es einen Kulturwandel, der agilere Strukturen und nachhaltigere Prozesse integriert, eine angemessene Organisationsentwicklung und starke Netzwerke, in denen gemeinsam auf den Wandel in der Verwaltung hingewirkt werden kann. Verwaltungsmodernisierung ist bedeutsamer, als manch einer meinen mag. Das Vertrauen in einen funktionierenden Staat und damit unser demokratisches System hängt davon ab. 

Die Koalition hat die Bedeutung dieses Bereichs dadurch erkannt, dass sie ihn zum Thema des ersten Kapitels im Koalitionsvertrag machte. Diese Bedeutung sollte sich auch in den kommenden Haushaltsverhandlungenwiderspiegeln. All die Formate und Vorhaben, die für die Verwaltungsmodernisierung von Bedeutung sind, brauchen Mittel im Haushalt. Dazu gehören der Digitalcheck, die Work4Germany-Fellowships, das Govlab und natürlich auch Next.

Zurück zum Hackhähnchen: Das Rezept werde ich weiterhin nicht preisgeben. Aber mein Rezept für erfolgreiches Netzwerken: Habt Spaß dabei! Glaubt daran, dass jedes Gespräch, jeder neue Kontakt wertvoll ist. Selbst wenn man nur einmalig einen bereichernden Abend hatte.

Dieser Beitrag erschien am 15. Juni 2023 zuerst im Tagesspiegel Background Smart City & Verwaltung.

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Policy Paper: Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb Herausforderungen für liberale Demokratien

Anfang April erschien mein Policy Paper: „Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb
Herausforderungen für liberale Demokratien“ bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Es kann hier

kostenlos heruntergeladen werden.

Geopolitik wird zunehmend wieder Thema in der deutschen und europäischen Politik. Der digitale Raum spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Souveränität Europas und anderer liberaler Demokratien hängt im digitalen Zeitalter von einem freien, offenen und globalen Internet ebenso ab, wie dem Zugang zu Technologien und sicheren, diversifizierten Lieferketten. Anhand von jeweils drei Beispielen soll exemplarisch illustriert werden, wo gefährliche Abhängigkeiten bestehen (Unterseekabel, Normen und Standards, Chips) und welche Rolle private Akteure in der internationalen Digitalpolitik einnehmen (Internet aus dem Weltall durch Elon Musks Starlink, Chinas Huawei und die digitale Seidenstraße, Google und Apple als Gatekeeper für Apps auf Smartphones). Das Papier schließt mit Policy Empfehlungen für die deutsche und europäische Politik.

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Freiheit braucht führungsstarke Digitalpolitik

Als Xi Jinping und Wladimir Putin im Februar 2022 zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking ein gemeinsames Statement veröffentlichten, ging eine Passage in der deutschen Berichterstattung vollkommen unter: Die beiden autoritären Herrscher wollten nicht nur eine bessere Kooperation und strategische Partnerschaft in der Bewältigung von globalen Problemen und in Sicherheitsfragen. Sie bekundeten auch ihre Absicht, künftig ihre Zusammenarbeit bei Fragen der Digitalpolitik zu intensivieren. Sie forderten eine neue “Internationalisierung” der Internet Governance. Hinter dieser Aussage verstecken sich Vorhaben zur Stärkung von staatlichen Kompetenzen in Gremien wie der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), die darauf abzielen, das Internet und seine Strukturen stärker zu kontrollieren. 

Geopolitik findet auch im digitalen Raum statt. Die politische Dimension des globalen Internets wird in Deutschland auch noch im zehnten Jahr nach Angela Merkels “Neuland”-Äußerung deutlich unterschätzt. Die deutsche Politik muss den Systemwettbewerb im digitalen Raum ernst nehmen und in ihren Entscheidungen und Strategien berücksichtigen. Die Souveränität Europas und liberaler Demokratien im Allgemeinen hängt im digitalen Zeitalter von einem freien, offenen und globalen Internet ab. Daher ist es wichtig, dass in Politik und Öffentlichkeit stärker über die geopolitische Dimension des Digitalen gesprochen wird und Bestrebungen wie die von Xi und Putin ebenso ernst genommen werden wie ihre strategischen Vorhaben im Bereich der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. 

Ein offenes und freies Internet ist für eine liberale Weltordnung unerlässlich. Die Grundsätze der Demokratie, des freien Handels und der Rechtsstaatlichkeit, die sich darauf stützen, können nur aufrechterhalten werden, wenn die freie Meinungsäußerung, der Austausch von Ideen und der Zugang zu Informationen auch in der digitalen Welt gewährleistet sind. Internationale Institutionen und Normen sind ebenfalls fundamental für eine liberale Weltordnung und spielen eine große Rolle bei der Wahrung der Internetfreiheit. Autokratische Staaten verwehren diese Prinzipien definitionsgemäß. Chinas „Große Firewall“ ist zu einem Modell für Autokratien geworden – und für Staaten auf dem Weg dorthin. Freiheit braucht daher eine führungsstarke Digitalpolitik.

Es mag widersprüchlich klingen, doch Deutschland ist bereits ein wichtiger und angesehener Akteur in Institutionen der Vereinten Nationen (VN) wie der ITU oder dem von den VN mandatierten Internet-Governance-Forum (IGF). Beides sind Institutionen, in denen Standards und Normen für das Internet festgelegt werden. In der ITU stimmen Staaten über vorgelegte Vorschläge ab, im IGF, einem Multi-Stakeholder-Forum, bei dem neben staatlichen Vertretern auch die Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft vertreten sind, legt man sich im Konsens auf Standards fest. Beide Institutionen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Internet Governance. Seit Jahren versuchen China und Russland Zuständigkeiten zur ITU zu verlagern, da sie hierüber stärker staatlichen Einfluss ausüben können.

Deutschland engagiert sich – still und leise, aber erfolgreich. 2019 richtete die Bundesregierung sogar das IGF in Berlin aus und durch das Engagement von deutschen Parlamentariern wie dem verstorbenen Abgeordneten Jimmy Schulz (FDP) wurde erstmalig das Engagement von Parlamenten in der Internet Governance verstärkt. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung und auch die Digitalstrategie des Bundes zeigen außerdem einen zarten Bedeutungszuwachs der internationalen Digitalpolitik. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen muss das Engagement in diesem Politikfeld deutlich größer werden.

Internet als liberales Freiheitsversprechen

Das Internet, das wir seit den 1990er-Jahren kennen, wurde bewusst offen und dezentral angelegt. Es war das liberale Freiheitsversprechen, das es Menschen ermöglichen sollte, sich frei miteinander zu vernetzen und auszutauschen. Jeder soll partizipieren und ein Teil des Netzes der Netze werden können. Offene Protokolle und Standards, auf denen das Internet bis heute basiert, machen es möglich. Die ersten Internet-Aktivsten traten schon früh gegen staatlichen Einfluss, das heißt, die Regulierung des Netzes, ein. Es sollte ein von staatlicher Macht unabhängiger Ort der Freiheit sein. 

Das Internet funktioniert allerdings nicht ohne physische Infrastruktur. Diese unterliegt allein durch ihr Vorhandensein auf dem Gebiet eines Staates, dessen Hoheit und regulatorischem Zugriff. Auch der Ort, an dem früher das Domain-Name-System (DNS) verwaltet wurde – das Telefonbuch des Internets – befindet sich an einem physischen Ort: Die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) war ursprünglich eine dem US-Verteidigungsministerium zugeordnete Behörde und zuständig für die Zuordnung von IP-Adresse zu für Menschen einfacher zu handhabbaren URLs wie www.zeitung.de. Später wurde diese Aufgabe der ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers übertragen, um der Aufgabe, dieses Telefonbuch zu verwalten, einen unabhängigeren institutionellen Rahmen zu geben. Sie hat ihren Sitz seit jeher in den USA und unterliegt daher der amerikanischen Jurisdiktion. 

Mit der Gründung der ICANN setzten die USA Ende der 1990er-Jahre eine nicht-staatliche Institution durch, die Teile des Internets verwalten sollte. Auch damals gab es Bestrebungen, diese Aufgabe der ITU zuzuweisen und damit staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Die USA manifestierten so ihre Vorstellung einer liberalen Ordnung, die bis heute Grundlage der internationalen Internet Governance ist. Auch wenn sich die USA immer zu einem freiheitlichen und offenen Welthandel bekannten, nutzen sie die privatwirtschaftliche Öffnung des Internets, um eigene Unternehmen zu fördern. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass die heute existierenden großen Plattformen, die das Internet prägen und teils bestimmen, vor allem amerikanische sind. 

Das Ideal eines globalen, offenen und freien Internets ist auch heute noch der normative Rahmen, nach dem viele streben. Allen voran eine engagierte Zivilgesellschaft. Jegliche Fragmentierung des Internets wird als Verlust von Freiheitsräumen verstanden. Wer einen Blick nach China und hinter die “Große Firewall” wirft, versteht, was diese befürchtete Einschränkung bedeutet. Die chinesische Regierung kontrolliert, auf welche Webseiten die Chinesinnen und Chinesen zugreifen und was sie im Internet oder auf Messenger Plattformen wie WeChat äußern dürfen. Auch Russland strebt solch ein abgeschottetes, “souveränes” Internet an und will den Datenverkehr an physischen Knotenpunkten kontrollieren. Dass es Putin nicht so gelingt wie seinem Partner Xi liegt daran, dass China sich bereits kurz nach der Jahrtausendwende aufmachte, das Internet abzuschotten. Etwas, das der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton noch im Jahr 2000 für so unmöglich hielt, “wie Pudding an eine Wand zu nageln”. 

Im europäischen Internet gelten mit dem Digital Services Act (DSA) bald andere Regeln als im Rest der Welt

Mit einem Winke-Emoji sprach EU-Kommissar Thierry Breton im Oktober 2022 Elon Musk auf Twitter an, kurz nachdem dieser die Plattform gekauft hatte. In Europa wird der Vogel (gemeint ist Twitter) nach unseren europäischen Regeln fliegen, sagte der Kommissar. Im europäischen Internet gelten mit dem Digital Services Act (DSA) bald also andere Regeln als im Rest der Welt. Deutschland war mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Inspiration und Vorbild für den europäischen DSA, der zum Glück nicht die Probleme des NetzDG übernahm. Beides sind Gesetze, mit denen versucht wurde durchzusetzen, dass in “unserem” Internet auch unsere Regeln gelten. Ist das nicht eine Fragmentierung des Internets und eine Entfernung vom Ideal eines globalen, offenen und freien Internets? 

Das Freiheitsideal des Internets ist nicht einzuhalten. Für Anhänger der liberalen Demokratie und des Rechtsstaats kann dies auch nie das Ideal gewesen sein. Noch heute wird vielen Internet-Aktivisten unterstellt, dass sie genau dieses Ideal weiterhin anstreben und jegliche Regulierung des Internets verhindern wollen. Dabei ist dies für den allergrößten Teil nicht der Fall. Doch was ist dann dieses globale, offene und freie Ideal des Internets, das angestrebt wird, wenn doch eine Fragmentierung durch Regulierung des Internets für ein Rechtsgebiet dem Ideal eigentlich widersprechen müsste?

Die Debatte um die globale digitale Ordnung und damit eine etwaige Fragmentierung ist für die beiden Wissenschaftler Julia Pohle und Daniel Voelsen vielstimmig und in einem gewissen Maße auch widersprüchlich. Man müsse, um der Komplexität der Fragmentierungs-Debatte gerecht zu werden, den Begriff detaillierter betrachten und zwischen drei Formen unterscheiden. Dazu gebe es einen konzeptionellen Vorschlag zur Unterscheidung auf drei Ebenen: die Fragmentierung auf technischer Ebene, also der Infrastruktur, die staatlich getriebene Fragmentierung durch gesetzliche Vorgaben sowie die kommerzielle Fragmentierung durch Unternehmen zum Beispiel durch geschlossene Plattformen. 

Die Freiheit des Internets hängt also noch von einem weiteren Akteur ab: den multinationalen Big Tech-Unternehmen. 

Unternehmen spielen in internationaler Politik eine erhebliche Rolle

Es ist nicht neu, dass Unternehmen so viel Macht haben, dass sie in der internationalen Politik eine erhebliche Rolle spielen. Die East India Company war beispielsweise im 18. Jahrhundert nicht nur ein monopolistisches Handelsunternehmen, sondern vertrat auch die politischen Belange für das britische Empire. Ihm wurde zudem die Militärmacht übertragen, die sie mittels Privatarmeen auf dem indischen Subkontinent ausübte. Ebenso ist es seit jeher nicht unüblich, dass Unternehmen eine Rolle in der Bereitstellung von elementaren Gütern für die Gesellschaft spielten. Im Bereich der nationalen Sicherheit sind Regierungen häufig von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Rüstungskonzernen abhängig. 

Neu ist, dass es heute zum Beispiel lediglich vier Konzerne gibt – Alibaba, Amazon, Google und Microsoft –, die den Großteil der weltweit benötigen Cloud-Kapazitäten zur Verfügung stellen. Die Datenverarbeitungen, die auf diesen Hyperscalern erfolgen, sind die Grundlage für elementare Leistungen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Macht, die oligopolartige Unternehmen wie diese heute haben, ist also weitaus umfassender, fundamentaler und weniger regional begrenzt. Hieran zeigt sich, was digitale Souveränität für liberale Demokratien bedeuten muss: Es muss die Möglichkeit des Wechsels eines Anbieters bestehen, eine Vielfalt von Anbietern vorhanden sein und die entsprechende Fähigkeit und Macht besessen werden, Einfluss gegenüber einem Anbieter auszuüben.

Aufgrund zahlreicher Abhängigkeiten gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen ist die digitale Souveränität vieler Staaten heute stark gefährdet. Häufig in Bereichen, die nicht nur kritisch sind, sondern auch noch zu wenig Beachtung in der öffentlichen und politischen Diskussion finden. 

Mit SpaceX betreibt Elon Musk eine von wenigen erdnahen Satellitenkonstellationen – Starlink –, die einen Zugang zum Internet bereitstellen können. Auch Amazon hat ein vielversprechendes Unternehmen gegründet, das Internet aus dem Weltall anbietet. Dazu kommen Anbieter aus Kanada, Großbritannien und natürlich China. 

Anbieten können wir Europäer das Internet aus dem Weltall über eigene Satelliten noch nicht. Die Europäische Kommission plant allerdings eine eigene Konstellation aufzubauen. Es war daher Elon Musk, den der ukrainische Digitalminister Mykhailo Fedorov öffentlich auf Twitter anschrieb, um ihn um Zugang zum Internet im Kriegsgebiet zu bitten. Ebenso war es Musks Starlink, das das Katastrophengebiet im Ahrtal nach der Überschwemmung mit einem Netzzugang versorgte. Mit einer eigenen europäischen Satellitenkonstellation könnte der revolutionäre Prozess in Iran durch freien Internetzugang unterstützt werden – das wäre ein handfester Beitrag für eine wertegeleitete und feministische Außenpolitik. 

Private dürfen – und müssen sogar – elementare Güter für eine Gesellschaft bereitstellen, denn Staaten selbst sind alleine dazu nicht in der Lage. Wichtig für die Souveränität eines Landes und Europas ist aber die Wechselmöglichkeit und die Frage, welche Macht dieser Anbieter ausüben kann. Aktuell bestimmt Musk darüber, ob Starlinks Internetverbindung für die Steuerung ukrainischer Drohnen eingesetzt werden darf. Er hat sich dagegen entschieden. 

Internet ist und bleibt ein Versprechen von Freiheit

Liberale Demokratien müssen Antworten auf illiberale und autoritäre Bestrebungen finden, die sich auf allen drei Ebenen der beschriebenen Fragmentierung abspielen, um das globale, offene und freie Internet in einem liberalen – das heißt rechtsstaatlichen und demokratischen Sinne – zu erhalten und zu stärken. Das ist notwendig, da es das Fundament für die liberale Weltordnung im 21. Jahrhundert darstellt.

Deutschland muss sein bisher eher stilles Engagement in den Gremien der internationalen Digitalpolitik ausbauen und verstärken. Die seit Jahrzehnten andauernden Bemühungen, die Regulierung des Internets auf staatlicher Ebene bei der ITU zu organisieren, sind immer noch aktuell, wie das Statement von Xi und Putin zu den Olympischen Spielen zeigt. Sie sind zwar bisher nicht erfolgreich und die infrastrukturellen Fragen werden weiterhin im Konsens zwischen Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelöst. Aber in der ITU werden Standards für Technologien gesetzt, die Gesellschaften ebenso wie das Internet selbst prägen. 5G ist nur eine davon. 

Da das Mandat der VN für das IGF 2025 ausläuft, sollte sich die Bundesregierung nicht nur für eine Verlängerung des Mandats einsetzen, sondern auch für eine Weiterentwicklung des IGFs, um die Effektivität des Multi-Stakeholder-Forums zu erhöhen. Das ICANN-Meeting, das im Herbst 2023 in Hamburg stattfinden wird und bei dem wichtige Entscheidungen zu den Kernfunktionen des Internets getroffen werden, sollte ein Auftakt für eine verstärkte und öffentlichere Rolle Deutschlands in der internationalen Digitalpolitik sein. Von ihm sollte außerdem das Signal ausgehen, dass man sich illiberalen Bestrebungen in der Internet Governance entgegenstellt.

Schließlich braucht es effektive Maßnahmen gegen die starke Machtkonzentration bei privaten Akteuren. Ein freier Markt und ein fairer Wettbewerb sind Grundlage der liberalen Wirtschaftsordnung. Mit dem Digital Markets Act (DMA) hat die Europäische Union bereits ein Gesetz verabschiedet, das den Wettbewerb stärken soll und besondere Anforderungen an Unternehmen stellt, die eine Gatekeeper-Funktion einnehmen. Auch menschenrechtliche Sorgfaltspflichten müssen im Digitalbereich stärker durchgesetzt werden, um Missbrauch zu reduzieren. Regulierung allein wird aber nicht ausreichen. Es braucht auch marktreifen digitale Produkte und Technologien.

Eine Strategie für internationale Digitalpolitik, die in diesem Jahr erarbeitet werden soll, muss ehrgeizig sein und die oben skizzierten Herausforderungen bewältigen. Wer glaubt, dass Deutschland erstmal seine Hausaufgaben in der nationalen Digitalpolitik machen sollte, verfehlt, welches Ansehen Deutschland in der Welt im Bereich der Internet Governance hat und welche Erwartungen hier von unseren Partnern an uns gestellt werden. Ebenso wird damit übersehen, dass in dieser digital vernetzten Welt alles mit allem zusammenhängt. Ein Einsatz für offene Standards – wie es die nationale Digitalstrategie vorsieht – hat nicht nur Auswirkungen auf der globalen Ebene, sondern auch ganz praktische bei der Digitalisierung der Verwaltung in den deutschen Kommunen. ­

Das Internet ist und bleibt ein Versprechen von Freiheit. Doch Freiheit gelingt nicht ohne Verantwortung. Es ist die Verantwortung liberaler Demokratien, sich im globalen digitalen Raum zu engagieren und eine Antwort auf den Systemwettbewerb zu liefern.

Dieser Essay erschien zu erst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Mit dem Essay erschien außerdem mein Policy Paper „Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb. Herausforderungen für liberale Demokratien“.

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Mehr Digitale Souveränität

Zusammen mit meiner Kollegin Teresa Widlok habe ich einen Beitrag für die liberal der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit zu digitaler Souveränität verfasst und warum sie so wichtig für uns in Deutschland und Europa ist.

Am Ende präsentieren wir zehn Punkte für mehr digitale Souveränität:

1️⃣ Digitale Souveränität als Moonshot-Projekt begreifen und europäisch angehen.

2️⃣ Abhängigkeiten im Bereich von Technologien und digitalen Diensten erkennen und ein umfassendes Verständnis von digitaler Souveränität etablieren.

3️⃣ Fähigkeiten-Lücken im Digitalen erkennen und (bestenfalls europäisch) Strategien aufbauen, um diese zu schließen.

4️⃣ Strategische Technologien fördern, um Abhängigkeiten entlang globaler Lieferketten zu verringern und Kompetenzen aufzubauen (z. B. bei Chips, KI, Edge- und Quantencomputing und 5G/6G).

5️⃣ Den Transfer zu marktreifen digi-talen Produkten und Technologien fördern, die das „Made in Germany“ oder „Made in Europe“ des 21. Jahrhunderts werden können.

6️⃣ Die Hoheit über physische und -logische Infrastrukturen beibehalten und fördern.

7️⃣ Weitere globale rechtliche Standardsetzung über digitale Regulierung aus der EU heraus betreiben.

8️⃣ Gemeinsam mit Partnern demokratische und menschenrechtsbasierte Werte in globale technische Standardisierungsprozesse einbringen.

9️⃣ Allianzen mit gleichgesinnten Partnern aufbauen und fördern (z. B. im Rahmen des Trade and Technology Council, TTC).

🔟 Internationale Zusammenarbeit, auch mit dem globalen Süden, auf Augenhöhe betreiben, um Entscheider bei Standards auf unsere Seite zu bringen.

Der gesamte Artikel kann hier nachgelesen werden.

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Internet Governance – Grundlage unserer Demokratien im digitalen Zeitalter

Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben meine Kolleg:innen und ich ein Impulspapier unter dem Titel „Allianzen für Demokratie – Liberale Ansätze für den neuen Systemwettbewerb“ herausgebracht. Bereichert wurde das Papier mit Beiträgen von Johannes Vogel MdB, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Michael Link MdB dem Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, sowie dem Demokratieexperten Dr. Christopher Gohl.

Mein Beitrag handelt über die Bedeutung der Internet Governance als Grundlage von Demokratien im digitalen Zeitalter. Ich argumentiere hier, dass dieses Thema leider zu häufig vergessen wird, bzw. keine Attraktivität hat, um die Stimmen von Wähler:innen für sich zu gewinnen. Dabei wird durch die digitale Infrastruktur im weitesten Sinne (also inkl. Regulierung) das Fundament für unsere Zukunft gelegt; die Straßen und Regeln für unser Zusammenleben auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Daher ist es umso wichtiger, dass hier demokratische und menschenrechtliche Werte verankert werden, denn nur so können wir auch in Zukunft auf Basis dieser und damit in Freiheit leben.

Die Publikation kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

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Gastbeitrag in der WAMS: Die EU-Kommission bedroht unsere Freiheit im Netz

Den folgenden Gastbeitrag habe ich zusammen mit der stv. LOAD Vorsitzenden Teresa Widlok für die Welt am Sonntag verfasst. Dort erschien er am 29. Mai 2022, bzw. in der Frühausgabe vom 28. Mai 2022.

Tempolimit, Veggie-Day, Genderstern – an vielen Stellen sehen wir Deutsche unsere Freiheit, um die wir so leidenschaftlich ringen, bedroht. Allzu oft endet das in leichtliberalen Schlagwortdebatten. Doch an einer Stelle, an der unsere Freiheitsrechte so massiv bedroht sind wie selten zuvor, ist es auffallend still: Mit der sogenannten Chatkontrolle hat die Europäische Kommission einen Gesetzentwurf vorgelegt, der unsere Kommunikationsfreiheit, unser digitales Briefgeheimnis und unsere Privatsphäre im Kern erschüttern wird.

Sollte der Entwurf verabschiedet werden, dürfte die EU-Kommission Kommunikation im Internet umfassend kontrollieren: Sämtliche Nachrichten und andere Inhalte könnten überwacht werden. Dadurch möchte die EU-Kommission Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen finden. Mit der Intention, Kindesmissbrauch zu verhindern, schafft die EU-Kommission damit aber den krassesten Fall anlassloser Massenüberwachung, den wir seit der NSA-Affäre erleben.

Nur sind es dieses Mal nicht fremde Geheimdienste, die uns bespitzeln, es ist die Europäische Union. Und selbst Kinderschutzorganisationen bezeichnen den Vorschlag zur Chatkontrolle wegen der flächendeckenden Scans privater Kommunikation als unverhältnismäßig.

Von Massenüberwachung ist im Kommissionsentwurf wortwörtlich natürlich nicht die Rede. Die „Verordnung zur Prävention und Bekämpfung der Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellung“ spricht stattdessen lieber von Möglichkeiten, bestimmte Inhalte in digitalen Diensten zu erkennen und zu entfernen.

Dabei geht es nicht nur um Chats, die auf Messengern oder über Direktnachrichten geführt werden – verschlüsselt oder unverschlüsselt. Sondern auch um E-Mails, Chatnachrichten in Online-Games oder Inhalte in App Stores und bei Hosting-Anbietern jeglicher Art, wie zum Beispiel Inhalte in der Cloud.

All diese Anbieter sollen auf Anordnung automatisch bereits bekannte oder neue Darstellungen von Kindesmissbrauch durch das konstante Scannen von Nachrichten entdecken. Auch Text soll durchleuchtet und ausgewertet werden, um Grooming zu erkennen – die Kontaktaufnahme von Erwachsenen mit Minderjährigen, um sexuellen Missbrauch anzubahnen.

Fehlerquote von zwölf Prozent

Es ist allerdings völlig unklar, wie das technisch und im Detail funktionieren soll. Wie kann man bei Bildern unterscheiden, ob es sich um Strandfotos eines Kindes handelt, die aus dem Sommerurlaub in die Familien-WhatsApp-Gruppe gepostet werden – oder um Kinderpornografie? Zwischen Urlaubsfotos, auf denen Kinder nackt am Strand rumlaufen, und Kinderpornografie ist oft ein schmaler Grat. Oder wie bei Textnachrichten, ob es sich um einvernehmliches Sexting zwischen zwei 16-Jährigen handelt – oder um Grooming? Diese fundamentalen Fragen sind ungelöst.

Ohne eine weitreichende Identifizierungspflicht aller Kommunikationsteilnehmer und genaues Wissen um den Kontext, in dem ein Bild verschickt wird, liegt auch der beste Filter oder Scanner in zu vielen Fällen daneben. Der von der EU-Kommission selbst zitierte Industriestandard geht bei der Texterkennung von einer Fehlerquote von zwölf Prozent aus. Bei Milliarden von täglich versendeten Nachrichten summiert sich das schnell.

Debatten im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit finden selten auf einer objektiven Basis statt. Die Frage, ob wir mehr Freiheit oder mehr Sicherheit gewährleisten wollen oder können, lässt sich nie vollständig zufriedenstellend für beide Seiten lösen. Doch die Fraktion der Sicherheitslogik hat es mit diesem Gesetzentwurf übertrieben.

Zwar wird von allen Seiten beteuert, dass verschlüsselte Kommunikation weiterhin verschlüsselt bleiben darf. Private Kommunikation ist aber immer privat, egal ob verschlüsselt oder nicht. Digitale Bürgerrechte sind keine Bürgerrechte zweiter Klasse – auch nicht das digitale Briefgeheimnis. Der Staat dampft schließlich auch keine Briefe auf oder hört massenhaft Telefongespräche ab.

Netzaktivisten wird vorgehalten, es gehe ihnen lediglich um die Privatsphäre und nicht um den Schutz von Kindern. Das ist unfair. Auch, weil die drei üblichen sicherheitspolitischen Narrative für beide Seiten gelten können. Das erste Narrativ: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das bedeutet, dass natürlich das Strafrecht gilt, aber ebenso Freiheitsrechte. Das Zweite: Was im Analogen gilt, muss auch im Digitalen gelten. Das Briefgeheimnis gilt also sowohl auf dem Postweg als auch im Internet.

Das Dritte: Sicherheitsbehörden müssen auf Augenhöhe mit Kriminellen agieren können. Anstatt also Ressourcen damit zu verschwenden, falschen Verdachtsmeldungen nachzujagen und bewegungsunfähig im Datenmüll zu ertrinken, sollten Sicherheitsbehörden präzise und effiziente digitale Hilfsmittel zur Verfügung stehen.

Die Meldungen der vergangenen Wochen, dass immer mehr Missbrauchsdarstellungen im europäischen Teil des Internets gefunden werden, lassen niemanden kalt. Netzaktivisten fordern daher schon seit Jahren, als solche erkannte Missbrauchsdarstellungen zu löschen, anstatt sie zu sperren und Webseiten lediglich mit einem Stoppschild zu versehen. Die Verbreitung von einmal im Netz befindlichen Bildern kann nur durch Löschen aufgehalten werden.

Es geht auch ohne neue Befugnisse

Bei aller Faszination für Technologie und der Hoffnung, dass diese gesellschaftliche Probleme löst, darf die klassische Ermittlungsarbeit nicht vergessen werden. Prominent ist etwa der Fall, den die spezielle Polizeiermittlungsgruppe „Berg“ seit Oktober 2019 in einem weitverzweigten Missbrauchskomplex ermittelt hat. Im Haus eines Mannes aus Bergisch Gladbach waren damals Unmengen kinderpornografischer Daten gefunden worden. Durch ihn stießen die Ermittler auf weitere Täter, die im Netz Videos und Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs austauschten.

Diese Erfolge zeigen, wie handlungsfähig Ermittlungsbehörden auch ohne neue Befugnisse und Meldepflichten sind. Hierfür muss Technologie flächendeckend eingesetzt werden, um etwa bei der psychisch äußerst anspruchsvollen Ermittlungsarbeit zu unterstützen und zu entlasten. Denkbar sind etwa KI-gestützte Tools zur Auswertung von Bildmaterial oder der Erkennung von Netzwerken.

Zu all dem schweigt der Kommissionsentwurf. Stattdessen stellt er private Kommunikation umfassend infrage – und um diesen Kern sollte unsere Freiheitsdebatte kreisen. Denn unsere Freiheitsrechte sind wirklich in Gefahr.

Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende und Teresa Widlok stellvertretende Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik.

Dieser Gastbeitrag erschien zuerst im Print der Welt am Sonntag am 29. Mai 2022 und später online auf welt.de

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Gastbeitrag: Plädoyer für eine wertebasierte Digitalisierung: Resilienz gegen Hatespeech und Trolle

Soll ein Milliardär wie Elon Musk Twitter alleine besitzen dürfen? Welche Macht hat Facebook über den öffentlichen Diskurs und welche Rolle spielt TikTok in Wahlkämpfen? Wir diskutieren in Politik und Gesellschaft häufig über den Einfluss privatwirtschaftlicher Unternehmen auf den öffentlichen Diskurs und die Demokratie im digitalen Raum. Dabei gerät es oft in den Hintergrund, dass wir als demokratische Staaten die Macht haben, diese Plattformen zu regulieren und uns damit für ein offenes, freies und menschenrechtsbasiertes Internet einzusetzen. 

Wie notwendig eine wertebasierte Digitalisierung ist, zeigen uns vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine sowie die Ereignisse in Belarus und Hongkong. Dort gehören staatliche Desinformationskampagnen, Internet-Shutdowns und Netzsperren sowie digitale Überwachung zu den staatlichen Repressionen, die die Bürgerinnen und Bürger dieser autoritären Regime in ihren eigenen Ländern erfahren. Die Einschränkungen von Bürgerrechten im digitalen Raum haben nicht nur Folgen für die eigene Bevölkerung, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus. Folglich bedarf es eine international koordinierte Digitalpolitik, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das Treffen der G7-Digitalminister:innen in Düsseldorf bietet eine hervorragende Plattform für die Abstimmung im Hinblick auf eine globale digitale Weltordnung.

Spätestens seit der Bundestagswahl 2017 diskutieren wir hierzulande die Gefahr, die von Desinformationen ausgeht. Obgleich wir uns bewusster werden, sind wir uns der Gefahren durch gezielte staatliche Desinformationskampagnen und strategische Informationskampagnen noch immer nicht genügend bewusst – geschweige denn dagegen gewappnet. Dennoch wirken wir als Politik und Zivilgesellschaft beständig daraufhin, dass Social-Media-Plattformen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir fordern, dass sie Maßnahmen gegen solche Kampagnen ergreifen und beispielsweise gezielt Netzwerke, die diese Desinformationen verbreiten, ausschalten oder dafür sorgen, dass ihre Algorithmen Desinformationen nicht weiter verbreiten. Wir sind mit den rechtlichen Vorgaben, zum Beispiel durch den Digital Services Act (DSA), noch ganz am Anfang. Doch der bisherige politische und gesellschaftliche Druck zeigte bereits Wirkung und Besuche der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen in europäischen Parlamenten taten ihr Übriges. 

Als Europäer:innen haben wir das Glück, dass wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Relevanz und unseres politischen Gewichts bei diesen Plattformen Gehör finden und entsprechenden Druck ausüben können – nicht nur durch Gesetzgebungen. In Ländern wie Myanmar, Äthiopien oder ganz aktuell den Philippinen, sieht dies leider anders aus. Nicht nur, dass hier seit Jahren Desinformationen, Hate Speech und Trollnetzwerke einen demokratischen Diskurs im Digitalen vollkommen unmöglich machen und dies vor allem autoritären Herrschern und Regimen in die Hände spielt. Schlimmer noch: solche​​ Desinformationen und unkontrollierte Hasssprache schürt und verschärft bestehende Konflikte – bis hin zum Genozid, wie an den Rohingya in Myanmar. All dies passiert auch, weil Plattformen weder auf die dort gesprochenen Sprachen ausreichend trainierte algorithmische Systeme haben, die schädliche Inhalte erkennen und vorsortieren könnten – ein Thema, das auch bei uns in Europa mit unseren vielen kleinen Sprachen von höchster Relevanz ist. Noch beschäftigen sie ausreichend Content-Moderator:innen, die die betreffenden Inhalte entsprechend bewerten und nach den eigenen Community-Richtlinien entfernen könnten. Es sollte in unserem Interesse sein, dass Plattformen nicht nur ihre eigenen Standards weltweit durchsetzen, sondern sich auch für den Schutz von Menschenrechten in ihren Netzwerken einsetzen. Das kann durch legislativen Druck, wie den DSA gehen, der hoffentlich global wirken wird. Das muss aber auch durch gesellschaftlichen Druck passieren. Welche realen Auswirkungen Desinformationen und Hate Speech haben kann, können wir hierzulande nicht nur intensiv seit der Corona-Pandemie sehen. Wir sehen es auch ganz deutlich seit der russischen Besetzung der Krim bis hin zum immer noch andauernden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.  

Russland fördert und verbreitet gezielte Desinformationen und Verunsicherung im Ausland und damit auch bei uns. Eine der größten Fehden im Informationskrieg wird allerdings gegen die eigene Bevölkerung geführt: nebst der Staatspropaganda aus der Duma soll die russische Bevölkerung möglichst keine faktenbasierten Informationen bekommen. Das Putin-Regime zensiert nicht nur die freie Presse, sondern auch ganz das Internet. Facebook und Instagram sind verboten, Twitter ist gesperrt, der Kurzvideodienst TikTok ist in Russland auf dem Vor-Kriegsstand eingefroren. Das russische Regime bereitet schon seit Jahren weitreichendere Maßnahmen vor:  Der Kreml versucht ein eigenes russisches Internet zu kreieren und das Land vom weltweiten offenen und freien Internet abzukapseln. Das gelingt Russland nicht so durchgreifend wie China, das mit seiner Great Firewall die eigene Bevölkerung seit Jahren erfolgreich vom Rest der Welt abschirmt und jegliche Kommunikation, insbesondere Kritik an der Kommunistischen Partei, zensiert. Kritiker:innen werden in Windeseile identifiziert, aufgespürt – und verschwinden. 

Beide Staaten treiben die Zersplitterung des Internets, das sogenannte “Splinternet” intensiv voran. Doch die staatliche Kontrolle des Internets und der digitalen Inhalte ist kein Alleinstellungsmerkmal von autoritären Regimen, die damit das Ziel verfolgen, ihre Bevölkerung komplett zu überwachen. Zu häufig lassen sich demokratische Staaten – auch die Europäische Union – dazu verleiten, Überwachungstechnologien zur Durchsetzung vermeintlich edler Motive zu adaptieren. Nicht umsonst wurden Digitalgesetze auch aus Europa vom früheren UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, scharf kritisiert, was hierzulande allerdings nur auf wenig Gehör stieß. Wenn unser Interesse eine wertebasierte Digitalisierung ist, müssen wir solche Kritik künftig ernster nehmen, um ein Vorbild sein zu können. Denn auch liberale Demokratien sind nicht davor gefeit, Freiheits- und Menschenrechte stückchenweise, und häufig unbemerkt, zu beschränken.

Die Bundesregierung hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie sich für eine aktive digitale Außenpolitik und ein offenes, globales Internet einsetzen will. Damit zeigt die Ampelkoalition, dass sie erkannt hat, dass wir nicht nur Interessen im digitalen Raum haben, sondern diese auch aktiv vertreten werden müssen. Das G7-Digitalminister:innentreffen in Düsseldorf unter der deutschen Präsidentschaft kann nur ein Auftakt sein, um hier als Politik und Gesellschaft entschlossener und strategischer vorzugehen. Der Krieg gegen die Ukraine und die Abstimmungen bei den UN zeigen deutlich, dass Abhängigkeiten gegenüber autoritären Regimen etwas entgegengesetzt werden muss – auch im Digitalen. Das Engagement der G7 oder jener demokratischen Staaten, die jüngst die Erklärung für die Freiheit des Internets unterschrieben haben, ist dafür unerlässlich. Doch schlussendlich braucht es eine Allianz gegen den “digitalen Autoritarismus”, die die Länder des Globalen Südens einschließt und deren Interessen berücksichtigt. Daher ist es sinnvoll – bei aller notwendigen Kritik an der Modi-Regierung – dass Bundeskanzler Olaf Scholz gerade Indien zum G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau eingeladen hat. 

Das Treffen der Digitalminister:innen der G7 muss deutlich machen, dass wir die Gefahr des “digitalen Autoritarismus” ernst nehmen und wir erkennen, dass es nicht nur unser Interesse, sondern auch unsere Verantwortung ist, in Zusammenarbeit mit Partnern des Globalen Südens einen vertrauenswürdigen, sicheren und gleichzeitig offenen und freien digitalen Raum zu kreieren, von dem alle wirtschaftlich und gesellschaftlich profitieren können. Daher ist es richtig, dass im Digital Track der G7 ein Fokus auf die Konnektivität und den fairen Wettbewerb gelegt wird, der Cyber-Kapazitätsaufbau vorangetrieben und Ungleichheiten wie dem “digital divide” entgegengewirkt werden soll. Damit einhergehend ist wichtig, dass der sichere grenzüberschreitende Austausch von Daten gerade mit den Ländern des Globalen Südens möglich gemacht wird. Der Stärkung eines verantwortlichen Verhaltens von Staaten im Cyberraum kommt dieser Tage nochmals eine besondere Bedeutung zu. 

Eine Zeitenwende verlangt, dass Deutschland eine neue Rolle in der Welt einnimmt. Dass wir stärker global Verantwortung übernehmen und uns sowohl dieser, als auch unserer eigenen Interessen bewusst sind. Wir mögen noch eine Weile über uns selber spotten, dass das Internet für uns “Neuland” wäre. Aber das ist es schon längst nicht mehr. Deutschland und die Europäische Union gelten als Vorreiter bei der digitalen Gesetzgebung – die Europäische Datenschutzgrundverordnung baute auf dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz auf, der DSA lernte vom deutschen NetzDG (und wiederholt nicht dessen Fehler) und vom Medienstaatsvertrag. Wir müssen im Interesse aller dazu einladen, gemeinsam für einen besseren – das heißt freien, offenen, demokratischen und menschenrechtsbasierten – digitalen Raum einzutreten. Frei von Überwachung und Zensur. Denn all das ist die Grundlage für Demokratien heute und morgen. Dass die Menschen weltweit danach verlangen und streben, sehen wir an den bewundernswerten Menschen in Hongkong, Belarus und der Ukraine. Demokratie ist uns nicht gegeben, sie ist uns aufgegeben. 

Tobias B. Bacherle MdB ist Obmann für Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss für Digitales.

Armand Zorn MdB ist Mitglied für die SPD im Ausschuss für Digitales.

Ann Cathrin Riedel ist FDP-Mitglied und Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik. 

Dieser Gastbeitrag erschien zuerst bei watson.

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Gastbeitrag zum Liberalismus bei ZEIT Online: Was das Tiananmen-Massaker mit Pornoseiten zu tun hat

Wie macht man Menschen begreifbar, was Freiheit im Netz bedeutet? Warum Bürger- und Menschenrechte die Grundlage für die Digitalisierung sein müssen und nichts drängender ist, als diese auch im Digitalen zu schützen? Auf Warnungen hinzuweisen von UN-Sonderberichterstattern für Meinungsfreiheit, die die Gesetzgebung in Deutschland und Europa, zum Beispiel beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz und der EU-Urheberrechtsrichtlinie kritisieren, habe ich versucht. Mit Verweisen auf die Freiheitskämpferinnen und -kämpfer in Hongkong und Belarus, die auf sichere, verschlüsselte Messenger angewiesen sind, ebenfalls. Aber das Thema, bei dem man plötzlich die volle Aufmerksamkeit hat, ist: Pornos.

Freiheit spürt man erst, wenn sie weg ist
Gleich zwei Pornowebsites sind unter den 25 meistbesuchten Seiten Deutschlands, auch wenn natürlich nie irgendwer drauf geklickt haben will. Pornos und der Zugang zu ihnen haben also eine gesellschaftliche Relevanz. Und gleichzeitig immer noch ein Schmuddel-Image. Deshalb versteht plötzlich an diesem Beispiel jede und jeder, warum Datenschutz, Anonymität und freier Zugang zum Netz so wichtig sind. Denn irgendwie wollen ja doch viele Pornos gucken – und sollen es auch können (unter Einhaltung der Jugendschutzgesetze) –, aber eben ohne, dass irgendjemand weiß, was man gerne guckt, wo und wie lange.

Freiheit spürt man häufig erst dann, wenn sie einem genommen wird. In Russland fiel die Zensur vielen erst auf, als die russische Medienaufsicht Roskomnadzor die zwei beliebtesten Pornoseiten im Land sperrte. In einem Talk auf der Konferenz für Menschenrechte im Digitalen, der RightsCon, veranstaltet von der Friedrich-Naumann-Stiftung, berichtete der russische Journalist Andrej Soldatow, dass die Menschen erst durch diese Sperre bemerkten, wie wichtig und nützlich ein VPN-Zugang ist – und wie wertvoll ein Internet ohne Zensur.


Nun ist Freiheit viel mehr als der Zugang zu Pornografie. Aber Sie merken, worum es geht. Solange Sie nichts Illegales tun, geht es niemanden etwas an, was Sie tun. Freiheit, das bedeutet auch, die Freiheit vor Überwachung, der freie Zugang zu Information und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.


Auch wenn der Datenschutz hierzulande bisweilen nach Bedenkenträgerei klingt: Warum er wichtig ist – und Freiheitsrechte sichert –, zeigt sich im Kleinen und Alltäglichen. Und in der Weltpolitik, im Umgang mit autoritären Systemen.

In der Corona-Pandemie hat Deutschland einiges geleistet, worauf wir stolz sein könnten. Wir haben es beispielsweise geschafft, eine Corona-Warn-App zu entwickeln, die funktioniert. Lassen Sie sich bitte nichts anderes erzählen! Es ist eine App, die eben nicht den einzelnen Menschen und sein Verhalten ganz genau trackt und deren Daten dann doch zu anderen Zwecken verwendet werden, wie es etwa in Singapur passierte. Dort darf nun doch die Polizei auf die Bewegungsprofile der Nutzerinnen und Nutzer zugreifen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, garantiert unter anderem durch die Datenschutzgrundverordnung, ist auch in Zeiten einer Pandemie wichtig.

Ich gebe zu, ich bin in einer privilegierten Situation. Ich habe keine Kinder und musste mich nicht mit nicht funktionierenden Lernplattformen, Schul-Clouds und Videoplattformen, die zwingend DSGVO-konform sein müssen, herumschlagen. Und ich verstehe wirklich jeden, den das alles unglaublich wütend macht. Ehrlich. Nur ist nicht der Datenschutz schuld daran, dass vieles nicht läuft. Es ist die seit 20 Jahren verschleppte Digitalisierung unseres Bildungswesens, des Gesundheitswesens und der Verwaltung. Eine leistungsstarke digitale Infrastruktur geht auch mit Datenschutz.


Chinas Zensur wirkt schon jetzt global
Während wir auf die DSGVO schimpfen, ist uns kaum bewusst, dass sie mittlerweile Vorbild ist. Kenia kopiert sie, auch Chile und Japan haben wie viele andere Länder eine ganz ähnliche Gesetzgebung eingeführt. Auch die USA, insbesondere Kalifornien, setzen immer mehr auf Datenschutz und Privatsphäre. Wer in der Europäischen Union mit seinen digitalen Produkten auf den Markt kommen möchte, muss sich an die DSGVO halten. Europa hat global Strahlkraft. Mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act sind zwei Gesetze in Arbeit, die hoffentlich eine ähnliche Wirkung haben werden.

Freiheit im Netz wird wichtiger. Und datenschutzkonforme Tools in der Schule sind zentral. Denn einmal implementiert, gehen sie nicht mehr weg. Hier geht es nicht um die Schulaufgaben der 5b, die sich die NSA angucken könnte. Hier geht es um biometrische Daten von Kindern, die aufgezeichnet, verarbeitet und gespeichert werden können – ohne dass wir das wissen. Und ohne dass wir das wirklich kontrollieren können, denn wir können sehr häufig nicht in den Quellcode der Software hineingucken. Wir wissen auch nicht, was mit diesen Daten vielleicht irgendwann mal passiert, wo sie landen und welche Restriktionen die Kinder irgendwann mal als Erwachsene erfahren, weil Daten falsch interpretiert oder kombiniert werden.

China darf nicht die Standards setzen
Wir müssen heute Bürger- und Menschenrechte im digitalen Raum schützen, um auch morgen in Freiheit leben zu können. Als Liberale wünsche ich mir möglichst wenig Regulierung. Aber ich sage auch als Liberale deutlich: Es geht nicht ohne. Unsere größte Herausforderung besteht darin, unsere analogen Prinzipien in die digitale Welt zu übertragen. Regulierung zu schaffen, die das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit schützt. Die Märkte fair und sozial macht, zum Beispiel durch die Besteuerung von großen Techkonzernen. Oder den Wettbewerb ermöglicht und Monopolbildungen entgegenwirkt.

Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt in seinem Essay über die Krise des Liberalismus einen Paradigmenwechsel. Der apertistische, also der öffnende, Liberalismus wird zum einbettenden. Dominierten bis zuletzt die Dynamiken der Märkte und der Globalisierung, werden diese nun nicht eliminiert, sondern in neu zu schaffenden Rahmenbedingungen eingehegt. Dem Mangel an Ordnung wird mit neuen Formen der Regulierung begegnet. Das gilt auch fürs Netz.

Wenn wir es nicht machen, setzen global andere die Standards. Vor wenigen Tagen wurde an das Tiananmen-Massaker erinnert, das zweite Jahr in Folge online. Solche Mahnwachen sind in der Volksrepublik China nicht möglich. Auch nicht digital hinter der chinesischen Firewall. 2020 sollten einige Mahnwachen auf der Videokonferenzplattform Zoom stattfinden. Drei davon wurden von Zoom auf Bitten der chinesischen Regierung gecancelt. Das Unternehmen sperrte sogar die Accounts der Veranstalterinnen und Veranstalter, obwohl diese alle außerhalb Chinas ansässig waren; vier von ihnen sogar in den USA.

Das US-Justizministerium leitete eine Untersuchung ein und erhob Anklage. Zoom gestand ein, dass die Zensurvorgaben Chinas keine Auswirkungen auf Menschen außerhalb der Volksrepublik haben dürften und dass das Unternehmen diesbezüglich „versagt“ habe. Dieses Jahr funktionierte die Mahnwache über Zoom. Die Angst, dass wieder unrechtmäßig auf chinesischen Druck zensiert wird, bleibt.

Der Staatstrojaner untergräbt Deutschlands Glaubwürdigkeit
Der Einfluss Chinas ist längst weltweit spürbar. In diesem Jahr klagten Nutzerinnen und Nutzer der Suchmaschine Bing von Microsoft darüber, dass sie am Jahrestag des Massakers unter dem Suchwort „tank man“ kein einziges Bild von dem chinesischen Mann finden konnten, der sich vor die Panzer auf dem Tiananmen-Platz stellte. Bing ist eine der wenigen westlichen Suchmaschinen, die auch in China operieren und sich dort den Zensurvorgaben unterwerfen. Es sei ein „versehentliches menschliches Versagen“ gewesen, dass die chinesischen Filtervorgaben auch außerhalb Chinas griffen. Dass das innerhalb weniger Tage behoben wurde, beruhigt nicht. Schließlich merken wir in vielen Fällen womöglich nicht mal, wenn ein digitales Tool zensiert wird – und sei es aus Versehen.

Europa muss Antworten geben, um die Freiheit in einer digital transformierten Welt zu schützen; um liberale Demokratien an sich zu schützen. „Die größten Demokratien der Welt werden eine hochwertige Alternative zu China für die Modernisierung der physischen, digitalen und gesundheitlichen Infrastruktur bieten, die widerstandsfähiger ist und die globale Entwicklung unterstützt“, schrieb US-Präsident Joe Biden kürzlich in einem Gastbeitrag für die Washington Post. Genau das sollte die gemeinsame Aufgabe sein.

Deutschland ist eine vertrauenswürdige Verteidigerin der Freiheit. Dazu muss aber auch jeder und jede Einzelne den unschätzbaren Wert der Freiheit in allem erkennen – und das nicht nur dann, wenn es um Pornos geht. Glaubwürdig können wir nur bleiben, wenn wir nicht gleichzeitig verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze verabschieden, die die Freiheit im Digitalen unterminieren: den Staatstrojaner etwa, die Vorratsdatenspeicherung oder die Netzsperren. Innovation und Bürgerrechte miteinander in Einklang zu bringen, das kann gelingen. Und dann wird Freiheit – ganz nach Hannah Arendt – auch im Netz weltliche Realität.

Dieser Gastbeitrag erschien am 21. Juni 2021 auf ZEIT Online

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G7-Konferenz der Außenminister –Desinformationen endlich ernst nehmen

Internationale Desinformationskampagnen stehen ganz oben auf dem Themen-Tableau der Außen- und Entwicklungsminister, die heute in London zum Treffen der G7-Staaten zusammenkommen. Im Fokus stehen russische Propaganda und Desinformationen, die unter anderem durch sogenannte Troll-Fabriken wie die Internet Research Agency in St. Petersburg, verbreitet werden. Diese hatte nicht nur versucht, Einfluss auf die US-Wahl 2016 zu nehmen – auch auf europäische Wahlen und gesellschaftliche Diskussionen zielen russische Kampagnen ab. Vorrangiges Ziel hierbei: Deutschland. Das ergab jüngst eine Studie des „EU vs Disinformation Projekts“ des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt, wie Russlands Informationspolitik versucht, die Meinung in Deutschland zu beeinflussen.

Es ist überfällig, dass das Thema Desinformationen in der Runde der G7-Staaten diskutiert wird. Zwar waren Desinformationskampagnen bereits beim Gipfeltreffen 2018 Thema als die Einrichtung eines sogenannten Rapid Response Mechanismuses beschlossen wurde. Doch bei den aktuellen Ankündigungen fällt den Außenministerinnen und -ministern nicht mehr ein, als dass gemeinsame Antworten auf Desinformationen gesucht und kommuniziert werden müssten. Man solle gemeinsam mit „Wahrheit” und „Widerlegung” reagieren, so der britische Außenminister Dominic Raab. Doch das greift zu kurz.

Der Kampf gegen Desinformationen benötigt internationale Zusammenarbeit, insbesondere zwischen demokratischen Staaten. Dass das Thema stärker in der Außenpolitik und in den diplomatischen Beziehungen adressiert werden muss, ist eine der zehn Forderungen gegen Desinformation, die die Friedrich-Naumann-Stiftung jüngst veröffentlicht hat. Diese Forderungen betrachten Maßnahmen gegen Desinformation holistisch. Es genügt bei Weitem nicht, lediglich Forderungen an Social-Media-Plattformen zu stellen, über die gezielte Desinformationen verbreitet werden oder Gesetze gegen “Fake News” zu fordern. Letzteres ist strikt abzulehnen, wird aber immer wieder gefordert – auch aus dem Kreise der G7.

Desinformationen werden nicht nur gegen andere Länder eingesetzt. Gerade autoritäre Regime und populistische Präsidenten verwenden sie auch gegen die eigene Bevölkerung. Neben der Wählerbeeinflussung hat insbesondere die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Desinformationen über Gefahren und Auswirkung des Virus die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen können. Durch die vernetzte Weltgemeinschaft haben Desinformationen zudem Einfluss auf Menschen, die in der Diaspora leben. Gesundheitliche Desinformationen, die zum Beispiel in Indien massiv über Messenger verbreitet werden, haben so auch Einfluss auf die indischstämmige Bevölkerung unter anderem in Großbritannien und den USA.

Die Idee, mit “Wahrheit” auf Desinformationen zu reagieren, verkennt, dass Desinformationen vor allem auf die Emotionen und nicht die Ratio der Menschen abzielen. Die meistens über (audio-)visuelle Medien verbreiteten Desinformationen – wie Videos, Bilder, Grafiken oder Memes – lassen Menschen vor allem Wut, Trauer oder Freude empfinden. Emotionen lassen sich eher selten mit „Faktenchecks” begegnen. Hier braucht es andere Gegenstrategien. Taiwan und Südkorea begegnen Desinformationen beispielsweise mit Humor.

Desinformationskampagnen, Propaganda und Cyberangriffe sind längst Alltag geworden. Sie treten nicht nur während Wahlen auf, sondern kontinuierlich. Sie sind darauf ausgelegt, langsam und schleichend Gesellschaften zu destabilisieren, das Image von Staaten zu ändern (insbesondere im Falle Chinas) und sogar militärische Operationen vorzubereiten, wie im Vorfeld der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Gesellschaften müssen durch geeignete Bildungsmaßnahmen über der Existenz von Desinformationskampagnen informiert werden – hier ist Finnland ein gutes Vorbild. Medienkompetenz ist dafür unerlässlich. Es braucht dahingehend Bildungsangebote für jedes Alter. Aber auch Journalistinnen und Journalisten brauchen ein besseres Verständnis für den Umgang mit Desinformationen. Denn häufig verhelfen klassische Medien durch ihre Berichterstattung Desinformationen zu größerer Reichweite. Vor allem aber kann die Wiederholung der Botschaften – auch in einer Kontextualisierung – dafür sorgen, dass bei den Lesenden Zweifel gesät werden. Eine Untersuchung des Tübinger Leibniz-Instituts zeigte Ähnliches für Verschwörungserzählungen: Schon die Konfrontation mit diesen zöge negative gesellschaftliche Auswirkungen nach sich. Es muss also genau abgewogen werden, über was wie zu berichten ist. Vor allem aber brauchen Journalistinnen und Journalisten Schutz vor denjenigen, die sie – regelmäßig angestachelt durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen – und damit die Pressefreiheit angreifen.

Dass das Thema auf der G7-Konferenz adressiert wird, ist äußerst wichtig. Die Maßnahmen, die gegen Desinformationen ergriffen werden, müssen umfassend sein. Illiberalen Forderungen wie einem Verbot von Desinformationen muss widerstanden werden. Es gibt keine einfache Lösung. Doch gerade weil das demokratische Fundament – nicht nur der G7-Staaten – von Staaten wie Russland und China durch Desinformationskampagnen angegriffen wird, braucht es eine gemeinschaftliche, umfassende und nachhaltige Antwort. Es braucht Lösungen, auf die sich demokratische Staaten einigen und die anschlussfähig für andere Staaten sind. Die Zeit drängt.

Dieser Text erschien zuerst auf freiheit.org.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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Sachverständige im Deutschen Bundestag: Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik wurde ich als Sachverständige in den Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestags geladen. Thema der öffentlichen Anhörung am 24. März 2021 war das wichtige Thema „Digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen“.

Die Anhörung kann auf den Webseiten des Bundestags komplett angesehen werden. Dort befindet sich auch ein Nachbericht sowie die Stellungnahmen der anderen geladenen Sachverständigen.

Meine Stellungnahme ist auch hier downloadbar (PDF).

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