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Internet Governance

Category: Internet Governance

Policy Paper: Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb Herausforderungen für liberale Demokratien

Anfang April erschien mein Policy Paper: „Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb
Herausforderungen für liberale Demokratien“ bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Es kann hier

kostenlos heruntergeladen werden.

Geopolitik wird zunehmend wieder Thema in der deutschen und europäischen Politik. Der digitale Raum spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Souveränität Europas und anderer liberaler Demokratien hängt im digitalen Zeitalter von einem freien, offenen und globalen Internet ebenso ab, wie dem Zugang zu Technologien und sicheren, diversifizierten Lieferketten. Anhand von jeweils drei Beispielen soll exemplarisch illustriert werden, wo gefährliche Abhängigkeiten bestehen (Unterseekabel, Normen und Standards, Chips) und welche Rolle private Akteure in der internationalen Digitalpolitik einnehmen (Internet aus dem Weltall durch Elon Musks Starlink, Chinas Huawei und die digitale Seidenstraße, Google und Apple als Gatekeeper für Apps auf Smartphones). Das Papier schließt mit Policy Empfehlungen für die deutsche und europäische Politik.

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Freiheit braucht führungsstarke Digitalpolitik

Als Xi Jinping und Wladimir Putin im Februar 2022 zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking ein gemeinsames Statement veröffentlichten, ging eine Passage in der deutschen Berichterstattung vollkommen unter: Die beiden autoritären Herrscher wollten nicht nur eine bessere Kooperation und strategische Partnerschaft in der Bewältigung von globalen Problemen und in Sicherheitsfragen. Sie bekundeten auch ihre Absicht, künftig ihre Zusammenarbeit bei Fragen der Digitalpolitik zu intensivieren. Sie forderten eine neue “Internationalisierung” der Internet Governance. Hinter dieser Aussage verstecken sich Vorhaben zur Stärkung von staatlichen Kompetenzen in Gremien wie der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), die darauf abzielen, das Internet und seine Strukturen stärker zu kontrollieren. 

Geopolitik findet auch im digitalen Raum statt. Die politische Dimension des globalen Internets wird in Deutschland auch noch im zehnten Jahr nach Angela Merkels “Neuland”-Äußerung deutlich unterschätzt. Die deutsche Politik muss den Systemwettbewerb im digitalen Raum ernst nehmen und in ihren Entscheidungen und Strategien berücksichtigen. Die Souveränität Europas und liberaler Demokratien im Allgemeinen hängt im digitalen Zeitalter von einem freien, offenen und globalen Internet ab. Daher ist es wichtig, dass in Politik und Öffentlichkeit stärker über die geopolitische Dimension des Digitalen gesprochen wird und Bestrebungen wie die von Xi und Putin ebenso ernst genommen werden wie ihre strategischen Vorhaben im Bereich der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. 

Ein offenes und freies Internet ist für eine liberale Weltordnung unerlässlich. Die Grundsätze der Demokratie, des freien Handels und der Rechtsstaatlichkeit, die sich darauf stützen, können nur aufrechterhalten werden, wenn die freie Meinungsäußerung, der Austausch von Ideen und der Zugang zu Informationen auch in der digitalen Welt gewährleistet sind. Internationale Institutionen und Normen sind ebenfalls fundamental für eine liberale Weltordnung und spielen eine große Rolle bei der Wahrung der Internetfreiheit. Autokratische Staaten verwehren diese Prinzipien definitionsgemäß. Chinas „Große Firewall“ ist zu einem Modell für Autokratien geworden – und für Staaten auf dem Weg dorthin. Freiheit braucht daher eine führungsstarke Digitalpolitik.

Es mag widersprüchlich klingen, doch Deutschland ist bereits ein wichtiger und angesehener Akteur in Institutionen der Vereinten Nationen (VN) wie der ITU oder dem von den VN mandatierten Internet-Governance-Forum (IGF). Beides sind Institutionen, in denen Standards und Normen für das Internet festgelegt werden. In der ITU stimmen Staaten über vorgelegte Vorschläge ab, im IGF, einem Multi-Stakeholder-Forum, bei dem neben staatlichen Vertretern auch die Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft vertreten sind, legt man sich im Konsens auf Standards fest. Beide Institutionen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Internet Governance. Seit Jahren versuchen China und Russland Zuständigkeiten zur ITU zu verlagern, da sie hierüber stärker staatlichen Einfluss ausüben können.

Deutschland engagiert sich – still und leise, aber erfolgreich. 2019 richtete die Bundesregierung sogar das IGF in Berlin aus und durch das Engagement von deutschen Parlamentariern wie dem verstorbenen Abgeordneten Jimmy Schulz (FDP) wurde erstmalig das Engagement von Parlamenten in der Internet Governance verstärkt. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung und auch die Digitalstrategie des Bundes zeigen außerdem einen zarten Bedeutungszuwachs der internationalen Digitalpolitik. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen muss das Engagement in diesem Politikfeld deutlich größer werden.

Internet als liberales Freiheitsversprechen

Das Internet, das wir seit den 1990er-Jahren kennen, wurde bewusst offen und dezentral angelegt. Es war das liberale Freiheitsversprechen, das es Menschen ermöglichen sollte, sich frei miteinander zu vernetzen und auszutauschen. Jeder soll partizipieren und ein Teil des Netzes der Netze werden können. Offene Protokolle und Standards, auf denen das Internet bis heute basiert, machen es möglich. Die ersten Internet-Aktivsten traten schon früh gegen staatlichen Einfluss, das heißt, die Regulierung des Netzes, ein. Es sollte ein von staatlicher Macht unabhängiger Ort der Freiheit sein. 

Das Internet funktioniert allerdings nicht ohne physische Infrastruktur. Diese unterliegt allein durch ihr Vorhandensein auf dem Gebiet eines Staates, dessen Hoheit und regulatorischem Zugriff. Auch der Ort, an dem früher das Domain-Name-System (DNS) verwaltet wurde – das Telefonbuch des Internets – befindet sich an einem physischen Ort: Die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) war ursprünglich eine dem US-Verteidigungsministerium zugeordnete Behörde und zuständig für die Zuordnung von IP-Adresse zu für Menschen einfacher zu handhabbaren URLs wie www.zeitung.de. Später wurde diese Aufgabe der ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers übertragen, um der Aufgabe, dieses Telefonbuch zu verwalten, einen unabhängigeren institutionellen Rahmen zu geben. Sie hat ihren Sitz seit jeher in den USA und unterliegt daher der amerikanischen Jurisdiktion. 

Mit der Gründung der ICANN setzten die USA Ende der 1990er-Jahre eine nicht-staatliche Institution durch, die Teile des Internets verwalten sollte. Auch damals gab es Bestrebungen, diese Aufgabe der ITU zuzuweisen und damit staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Die USA manifestierten so ihre Vorstellung einer liberalen Ordnung, die bis heute Grundlage der internationalen Internet Governance ist. Auch wenn sich die USA immer zu einem freiheitlichen und offenen Welthandel bekannten, nutzen sie die privatwirtschaftliche Öffnung des Internets, um eigene Unternehmen zu fördern. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass die heute existierenden großen Plattformen, die das Internet prägen und teils bestimmen, vor allem amerikanische sind. 

Das Ideal eines globalen, offenen und freien Internets ist auch heute noch der normative Rahmen, nach dem viele streben. Allen voran eine engagierte Zivilgesellschaft. Jegliche Fragmentierung des Internets wird als Verlust von Freiheitsräumen verstanden. Wer einen Blick nach China und hinter die “Große Firewall” wirft, versteht, was diese befürchtete Einschränkung bedeutet. Die chinesische Regierung kontrolliert, auf welche Webseiten die Chinesinnen und Chinesen zugreifen und was sie im Internet oder auf Messenger Plattformen wie WeChat äußern dürfen. Auch Russland strebt solch ein abgeschottetes, “souveränes” Internet an und will den Datenverkehr an physischen Knotenpunkten kontrollieren. Dass es Putin nicht so gelingt wie seinem Partner Xi liegt daran, dass China sich bereits kurz nach der Jahrtausendwende aufmachte, das Internet abzuschotten. Etwas, das der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton noch im Jahr 2000 für so unmöglich hielt, “wie Pudding an eine Wand zu nageln”. 

Im europäischen Internet gelten mit dem Digital Services Act (DSA) bald andere Regeln als im Rest der Welt

Mit einem Winke-Emoji sprach EU-Kommissar Thierry Breton im Oktober 2022 Elon Musk auf Twitter an, kurz nachdem dieser die Plattform gekauft hatte. In Europa wird der Vogel (gemeint ist Twitter) nach unseren europäischen Regeln fliegen, sagte der Kommissar. Im europäischen Internet gelten mit dem Digital Services Act (DSA) bald also andere Regeln als im Rest der Welt. Deutschland war mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Inspiration und Vorbild für den europäischen DSA, der zum Glück nicht die Probleme des NetzDG übernahm. Beides sind Gesetze, mit denen versucht wurde durchzusetzen, dass in “unserem” Internet auch unsere Regeln gelten. Ist das nicht eine Fragmentierung des Internets und eine Entfernung vom Ideal eines globalen, offenen und freien Internets? 

Das Freiheitsideal des Internets ist nicht einzuhalten. Für Anhänger der liberalen Demokratie und des Rechtsstaats kann dies auch nie das Ideal gewesen sein. Noch heute wird vielen Internet-Aktivisten unterstellt, dass sie genau dieses Ideal weiterhin anstreben und jegliche Regulierung des Internets verhindern wollen. Dabei ist dies für den allergrößten Teil nicht der Fall. Doch was ist dann dieses globale, offene und freie Ideal des Internets, das angestrebt wird, wenn doch eine Fragmentierung durch Regulierung des Internets für ein Rechtsgebiet dem Ideal eigentlich widersprechen müsste?

Die Debatte um die globale digitale Ordnung und damit eine etwaige Fragmentierung ist für die beiden Wissenschaftler Julia Pohle und Daniel Voelsen vielstimmig und in einem gewissen Maße auch widersprüchlich. Man müsse, um der Komplexität der Fragmentierungs-Debatte gerecht zu werden, den Begriff detaillierter betrachten und zwischen drei Formen unterscheiden. Dazu gebe es einen konzeptionellen Vorschlag zur Unterscheidung auf drei Ebenen: die Fragmentierung auf technischer Ebene, also der Infrastruktur, die staatlich getriebene Fragmentierung durch gesetzliche Vorgaben sowie die kommerzielle Fragmentierung durch Unternehmen zum Beispiel durch geschlossene Plattformen. 

Die Freiheit des Internets hängt also noch von einem weiteren Akteur ab: den multinationalen Big Tech-Unternehmen. 

Unternehmen spielen in internationaler Politik eine erhebliche Rolle

Es ist nicht neu, dass Unternehmen so viel Macht haben, dass sie in der internationalen Politik eine erhebliche Rolle spielen. Die East India Company war beispielsweise im 18. Jahrhundert nicht nur ein monopolistisches Handelsunternehmen, sondern vertrat auch die politischen Belange für das britische Empire. Ihm wurde zudem die Militärmacht übertragen, die sie mittels Privatarmeen auf dem indischen Subkontinent ausübte. Ebenso ist es seit jeher nicht unüblich, dass Unternehmen eine Rolle in der Bereitstellung von elementaren Gütern für die Gesellschaft spielten. Im Bereich der nationalen Sicherheit sind Regierungen häufig von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Rüstungskonzernen abhängig. 

Neu ist, dass es heute zum Beispiel lediglich vier Konzerne gibt – Alibaba, Amazon, Google und Microsoft –, die den Großteil der weltweit benötigen Cloud-Kapazitäten zur Verfügung stellen. Die Datenverarbeitungen, die auf diesen Hyperscalern erfolgen, sind die Grundlage für elementare Leistungen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Macht, die oligopolartige Unternehmen wie diese heute haben, ist also weitaus umfassender, fundamentaler und weniger regional begrenzt. Hieran zeigt sich, was digitale Souveränität für liberale Demokratien bedeuten muss: Es muss die Möglichkeit des Wechsels eines Anbieters bestehen, eine Vielfalt von Anbietern vorhanden sein und die entsprechende Fähigkeit und Macht besessen werden, Einfluss gegenüber einem Anbieter auszuüben.

Aufgrund zahlreicher Abhängigkeiten gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen ist die digitale Souveränität vieler Staaten heute stark gefährdet. Häufig in Bereichen, die nicht nur kritisch sind, sondern auch noch zu wenig Beachtung in der öffentlichen und politischen Diskussion finden. 

Mit SpaceX betreibt Elon Musk eine von wenigen erdnahen Satellitenkonstellationen – Starlink –, die einen Zugang zum Internet bereitstellen können. Auch Amazon hat ein vielversprechendes Unternehmen gegründet, das Internet aus dem Weltall anbietet. Dazu kommen Anbieter aus Kanada, Großbritannien und natürlich China. 

Anbieten können wir Europäer das Internet aus dem Weltall über eigene Satelliten noch nicht. Die Europäische Kommission plant allerdings eine eigene Konstellation aufzubauen. Es war daher Elon Musk, den der ukrainische Digitalminister Mykhailo Fedorov öffentlich auf Twitter anschrieb, um ihn um Zugang zum Internet im Kriegsgebiet zu bitten. Ebenso war es Musks Starlink, das das Katastrophengebiet im Ahrtal nach der Überschwemmung mit einem Netzzugang versorgte. Mit einer eigenen europäischen Satellitenkonstellation könnte der revolutionäre Prozess in Iran durch freien Internetzugang unterstützt werden – das wäre ein handfester Beitrag für eine wertegeleitete und feministische Außenpolitik. 

Private dürfen – und müssen sogar – elementare Güter für eine Gesellschaft bereitstellen, denn Staaten selbst sind alleine dazu nicht in der Lage. Wichtig für die Souveränität eines Landes und Europas ist aber die Wechselmöglichkeit und die Frage, welche Macht dieser Anbieter ausüben kann. Aktuell bestimmt Musk darüber, ob Starlinks Internetverbindung für die Steuerung ukrainischer Drohnen eingesetzt werden darf. Er hat sich dagegen entschieden. 

Internet ist und bleibt ein Versprechen von Freiheit

Liberale Demokratien müssen Antworten auf illiberale und autoritäre Bestrebungen finden, die sich auf allen drei Ebenen der beschriebenen Fragmentierung abspielen, um das globale, offene und freie Internet in einem liberalen – das heißt rechtsstaatlichen und demokratischen Sinne – zu erhalten und zu stärken. Das ist notwendig, da es das Fundament für die liberale Weltordnung im 21. Jahrhundert darstellt.

Deutschland muss sein bisher eher stilles Engagement in den Gremien der internationalen Digitalpolitik ausbauen und verstärken. Die seit Jahrzehnten andauernden Bemühungen, die Regulierung des Internets auf staatlicher Ebene bei der ITU zu organisieren, sind immer noch aktuell, wie das Statement von Xi und Putin zu den Olympischen Spielen zeigt. Sie sind zwar bisher nicht erfolgreich und die infrastrukturellen Fragen werden weiterhin im Konsens zwischen Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelöst. Aber in der ITU werden Standards für Technologien gesetzt, die Gesellschaften ebenso wie das Internet selbst prägen. 5G ist nur eine davon. 

Da das Mandat der VN für das IGF 2025 ausläuft, sollte sich die Bundesregierung nicht nur für eine Verlängerung des Mandats einsetzen, sondern auch für eine Weiterentwicklung des IGFs, um die Effektivität des Multi-Stakeholder-Forums zu erhöhen. Das ICANN-Meeting, das im Herbst 2023 in Hamburg stattfinden wird und bei dem wichtige Entscheidungen zu den Kernfunktionen des Internets getroffen werden, sollte ein Auftakt für eine verstärkte und öffentlichere Rolle Deutschlands in der internationalen Digitalpolitik sein. Von ihm sollte außerdem das Signal ausgehen, dass man sich illiberalen Bestrebungen in der Internet Governance entgegenstellt.

Schließlich braucht es effektive Maßnahmen gegen die starke Machtkonzentration bei privaten Akteuren. Ein freier Markt und ein fairer Wettbewerb sind Grundlage der liberalen Wirtschaftsordnung. Mit dem Digital Markets Act (DMA) hat die Europäische Union bereits ein Gesetz verabschiedet, das den Wettbewerb stärken soll und besondere Anforderungen an Unternehmen stellt, die eine Gatekeeper-Funktion einnehmen. Auch menschenrechtliche Sorgfaltspflichten müssen im Digitalbereich stärker durchgesetzt werden, um Missbrauch zu reduzieren. Regulierung allein wird aber nicht ausreichen. Es braucht auch marktreifen digitale Produkte und Technologien.

Eine Strategie für internationale Digitalpolitik, die in diesem Jahr erarbeitet werden soll, muss ehrgeizig sein und die oben skizzierten Herausforderungen bewältigen. Wer glaubt, dass Deutschland erstmal seine Hausaufgaben in der nationalen Digitalpolitik machen sollte, verfehlt, welches Ansehen Deutschland in der Welt im Bereich der Internet Governance hat und welche Erwartungen hier von unseren Partnern an uns gestellt werden. Ebenso wird damit übersehen, dass in dieser digital vernetzten Welt alles mit allem zusammenhängt. Ein Einsatz für offene Standards – wie es die nationale Digitalstrategie vorsieht – hat nicht nur Auswirkungen auf der globalen Ebene, sondern auch ganz praktische bei der Digitalisierung der Verwaltung in den deutschen Kommunen. ­

Das Internet ist und bleibt ein Versprechen von Freiheit. Doch Freiheit gelingt nicht ohne Verantwortung. Es ist die Verantwortung liberaler Demokratien, sich im globalen digitalen Raum zu engagieren und eine Antwort auf den Systemwettbewerb zu liefern.

Dieser Essay erschien zu erst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Mit dem Essay erschien außerdem mein Policy Paper „Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb. Herausforderungen für liberale Demokratien“.

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Internet Governance – Grundlage unserer Demokratien im digitalen Zeitalter

Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben meine Kolleg:innen und ich ein Impulspapier unter dem Titel „Allianzen für Demokratie – Liberale Ansätze für den neuen Systemwettbewerb“ herausgebracht. Bereichert wurde das Papier mit Beiträgen von Johannes Vogel MdB, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Michael Link MdB dem Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, sowie dem Demokratieexperten Dr. Christopher Gohl.

Mein Beitrag handelt über die Bedeutung der Internet Governance als Grundlage von Demokratien im digitalen Zeitalter. Ich argumentiere hier, dass dieses Thema leider zu häufig vergessen wird, bzw. keine Attraktivität hat, um die Stimmen von Wähler:innen für sich zu gewinnen. Dabei wird durch die digitale Infrastruktur im weitesten Sinne (also inkl. Regulierung) das Fundament für unsere Zukunft gelegt; die Straßen und Regeln für unser Zusammenleben auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Daher ist es umso wichtiger, dass hier demokratische und menschenrechtliche Werte verankert werden, denn nur so können wir auch in Zukunft auf Basis dieser und damit in Freiheit leben.

Die Publikation kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

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ICANN lehnt Antrag der Ukraine auf Sperrung russischer Internet-Domains ab

Forderungen nach dem Abschalten des Internets oder einzelner Plattformen klingen regelmäßig verlockend. Doch ebenso regelmäßig muss ihnen dringend Einhalt geboten werden. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) hat mit der Zurückweisung des Wunsches nach dem Ausschluss Russlands aus dem Internet richtig reagiert. Die Internet Governance muss liberale Demokratien künftig stärker interessieren.

Russland muss aus dem Internet ausgeschlossen werden, damit Propaganda und Desinformation aus Russland Einhalt geboten werden kann. Diese Forderung stellte der ukrainische Minister für digitale Transformation und stellvertretender Premierminister, Mykhailo Fedorov, an die ICANN, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers. Eine Forderung, die auf den ersten Blick logisch und nachvollziehbar klingt, schließlich nutzt der Kreml das Internet, um Cyberangriffe zu lancieren und seine Propaganda zu verbreiten. Diese gezielten Maßnahmen der russischen Regierung sind nicht erst seit dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine bekannt. Doch die Auswirkungen sind seit dem 24. Februar spürbarer. Auf den zweiten Blick wäre es dennoch falsch, der Forderung des ukrainischen Ministers nachzukommen. Göran Marby, der Präsident der ICANN, hat das Anliegen aus der Ukraine aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt. 

Marby wies in einem Antwortschreiben auf die Neutralität der ICANN hin und beteuerte zugleich, dass sowohl er als auch die ICANN an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer stehen. Neutralität wahren in einem brutalen Angriffskrieg – das klingt zynisch. Doch schaut man genauer hin, verhält sich die ICANN mit ihrer Entscheidung nicht neutral im Sinne einer egalitären Haltung. Vielmehr setzt sie sich mit ihrer Neutralität für ein offenes und freies Internet ein. Nur ein solches kann die Grundlage für ein Internet sein, das Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte achten und gewährleisten kann. Hätte sich die ICANN nicht neutral verhalten, hätte sie den Bestrebungen autoritärer Regime – allen voran China und Russland – Vorschub geboten, eigene, überwachte „Internets“ weiter zu befördern und zu legitimieren. Das darf nicht passieren. Vielmehr müssen liberale Demokratien den geopolitischen Machtkampf im Digitalen stärker im Blick haben. Sie müssen sich endlich deutlich engagierter für die Freiheit des Internets einsetzen.

Die ICANN, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, vergibt – wie ihr Name schon sagt – Namen und Nummern. Das heißt, sie kümmert sich um das Domainnamen System (DNS) und die IP-Adressen. Das DNS ist quasi das Telefonbuch des Internets und ermöglicht, dass der Mensch sich nur www.freiheit.org merken muss. Das DNS schlüsselt die dahinterliegende IP-Adresse, die „Telefonnummer” auf und leitet die Nutzerin auf die angewählte Webseite. Die ICANN ist auch für die Vergabe der Top-Level-Domains zuständig. Das heißt, die Vergabe der Ländercodes wie .de oder .fr, sowie die Vergabe der generischen Endungen wie .com, .org oder .gov. 

Die ICANN selbst ist eine unabhängige Nicht-Regierungsorganisation mit Sitz in den Vereinigten Staaten und nicht die „Weltregierung” des Internets. Sie ist weder rechtlich noch technisch in der Lage, das Internet einfach abzuschalten. Das liegt an dem dezentralen Aufbau des Internets in technischer Hinsicht, aber auch an der dezentralen Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen. So vergeben gesonderte Organisationen in den einzelnen Staaten – in Deutschland die DENIC – nach den jeweiligen Gesetzen des Staates die Domains zur jeweiligen Länderkennung. So wenig die ICANN also bestimmen kann, wer eine .de-Domain nutzt, so wenig kann sie es bei denjenigen tun, die die russischen – .ru und .su – nutzen. Die ICANN sorgt lediglich dafür, dass eine dafür autorisierte Organisation – wie die DENIC – in einem Staat die Domains betreibt und verwaltet. Es handelt sich dabei um eine Dezentralisierung von Macht, damit die ICANN eben nicht eine etwaige „Weltregierung” des Internets ist. 

Selbstredend ist die Darstellung der Aufgaben der ICANN und der Funktionsweise des Internets hier sehr verkürzt und vereinfacht dargestellt worden. Sie sollte aber ausreichen, um den Antwortbrief des Präsidenten der ICANN besser verstehen und einordnen zu können. Ein Entziehen der .ru bzw. .su Kennungen würde nur dazu führen, dass die Webseiten hinter der Kennung nicht mehr ohne Weiteres aufrufbar wären. Alle Webseiten – auch die mit russischsprachigen Inhalten – die hinter einer generischen Kennung wie beispielsweise .com oder .org hinterlegt sind, hingegen schon. Auch bei deutschen Organisationen ist es üblich, solche Top-Level-Domains (zusätzlich) zu verwenden. Desinformation und Propaganda aus Russland bzw. russischsprachige Desinformation würde somit nicht Einhalt geboten werden. Vielmehr würde es dazu führen, dass Menschen noch früher von Informationsangeboten jeglicher Art abgeschnitten werden. 

In dem Brief weist ICANN-Präsident Marby abschließend darauf hin, dass die ICANN keinen Zugang zum Internet überwacht und auch keine Inhalte kontrolliert. Der Wunsch des ukrainischen Ministers, dass so Nutzerinnen und Nutzer vertrauenswürdige Informationen auf Webseiten anderer Top-Level-Domains, das heißt lediglich internationalen Domains finden würden, kann daher nicht erfüllt werden, da er auf falschen Annahmen beruht. 

Leider offenbart sich hier auch, welche nachhaltige katastrophale Wirkung die Erfüllung des durchaus verständlichen Wunsches aus der Ukraine hätte: Damit die russischen Internetnutzerinnen und -nutzer vertrauenswürdige Informationen bekommen können, muss die ICANN neutral bleiben. ICANN-Präsident Marby konstatiert zu Recht, dass jegliche andere Handlungen dazu führen würden, dass das Vertrauen in das Multistakeholder-Modell verloren ginge und damit die Maßnahmen, die für die Aufrechterhaltung des globalen Internets notwendig sind, keinen Rückhalt mehr haben würden. Dramatischer noch: Eine Umsetzung der Forderung des ukrainischen Ministers Fedorovs würde sogar dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielen und ihn in seinen Warnungen bestätigen, dass der Westen Russland aus dem Internet verbannen möchte. 

Dafür muss man einige Jahre zurückblicken: Diese kreierte Bedrohung, der Westen würde Russland aus dem Internet abschneiden wollen, ist schon mehrere Jahre alt. Sie war Grundlage für Putins Pläne, ein eigenes russisches Internet aufzubauen – gemeinhin auch RuNet genannt. Unter dem Vorwand, man müsse sich vor Cyberangriffen des Westens schützen, sorgte der Kreml für eine immense Überwachungsinfrastruktur innerhalb des russischen Staatsgebiets. Menschenrechtsexperten und Netzaktivistinnen warnten nicht erst 2019 lautstark vor diesen Plänen.

Dabei gab es diese Drohung nicht – schon gar nicht die Forderung, Russland oder irgendein anderes Staatsgebiet aus dem Internet auszuschließen (zumal das aufgrund der dezentralen Konstruktion des Internets auch nicht einfach so möglich wäre). Putin nutzte sie als Vorwand, um damit zu begründen, dass fortan jeder Datenverkehr über Knotenpunkte in Russland geleitet werden muss. Erst dieses Vorgehen ermöglicht es, den Datenverkehr zu filtern und zu überwachen. China macht es mit seiner „Great Firewall” vor – ist aber bis heute deutlich erfolgreicher in der Abschirmung und damit Filterung und Überwachung des Datenverkehrs seiner Bürgerinnen und Bürger. 

Zur Kontrolle der Russinnen und Russen gehörte auch die gesetzliche Vorgabe, dass Konzerne die Daten aller Staatsbürger in Russland zu speichern hätten. Konzerne wie Microsoft, zu dem die Business-Netzwerk-Plattform LinkedIn gehört, widersetzten sich der Vorgabe, weswegen LinkedIn bereits seit Jahren in Russland nicht mehr verfügbar ist. Auch die anderen großen Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter hätten dieser Vorgabe folgen müssen, taten es aber nicht. Sie erhielten Ordnungsstrafen, die Zugänge wurden aber auf Basis dieses Gesetzes bisher nicht gesperrt. Aktuell ist der Zugang zu Twitter gedrosselt, so dauert es lange, die Seite zu laden. Facebook ist wie Instagram mittlerweile blockiert. 

Rückblickend muss festgestellt werden, dass die Maßnahmen des Kremls für ein eigenes russisches Internet und die damit einhergehenden Überwachungsmaßnahmen die Weltgemeinschaft hätte mehr interessieren und beunruhigen müssen. Die lang angelegten und umgesetzten Maßnahmen mit ihren heutigen Auswirkungen zeigen insbesondere zwei Dinge, die liberale Demokratien – allen voran Deutschland und die Europäische Union – jetzt deutlich ernster nehmen müssen:

  • Maßnahmen zur Internetzensur und -überwachung müssen konsequent adressiert und geächtet werden. Sie müssen viel stärker in den internationalen Beziehungen adressiert werden – ebenso wie Internetsperren. Deutschland und die Europäische Union müssen ein gutes Vorbild sein. Daher sind Vorschläge wie das Sperren des Messengerdienstes Telegram sowie jegliche gesetzlich vorgegebenen Filter abzulehnen.
  • Deutschland und die Europäische Union müssen sich für eine Stärkung des Multi-Stakeholder-Ansatzes bei der Internet Governance einsetzen und damit auch die Förderung des Internet Governance Forums der UNO bzw. die Verlängerung dessen Mandats, das 2025 ausläuft. Die aktuelle Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie sich für ein offenes, globales Internet einsetzen will und zudem die globale Zivilgesellschaft stärken möchte, die sich für digitale Bürgerrechte einsetzt. Diese Vorhaben sollte sie insbesondere ob der aktuellen Ereignisse zügig angehen. 

Die Internet Governance fristet ein Nischendasein, aus dem sie unbedingt heraus muss. Die vernetzte Gesellschaft und das Informationszeitalter erfordern dies dringend. Gerade weil Menschenrechte wie das Recht auf Informationsfreiheit gesichert werden können. Wie dringend notwendig dies ist, sehen wir in der aktuellen Situation. Die ICANN verhielt sich mit ihrem Bekenntnis zur Neutralität daher nicht gleichgültig, sondern manifestierte ihr Bekenntnis zu grundlegenden Prinzipien, die die Grundlage für ein freies und offenes Internet sind. Allein solch ein Internet ist in der Lage, Demokratie und Menschenrechte zu gewährleisten, allen voran das Recht auf Informationsfreiheit. 

Zersplittert das Internet, werden dessen Grundideale – die Freiheit von Information – beerdigt. Die Kontrolle des Internets würde zum Gegenteil führen: zu einer Informationshoheit und damit Zensur. Abspaltungen und Kontrolle über das Internet oder auch nur einzelne Bereiche, wie der Kreml sie noch deutlich stärker anstrebt und China sie bereits hat, um zu eben dieser Informationshoheit zu kommen, führen dazu, dass nicht mehr universelle Werte zur Grundlage des Internets und damit Grundlage für Transport und Bewertung von Informationen gemacht werden, sondern nationale, partikulare Interessen. Diese richten sich, wie wir aktuell und in zahlreichen anderen Beispielen sehen können, nicht zwingend an Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit aus.

Dieser Text wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.

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Kein „Wilder Westen“. Freiheit und Verantwortung im Internet

Das Internet ist ein Versprechen von Freiheit. Doch Freiheit funktioniert nicht ohne Verantwortung. Das Internet war noch nie Wilder Westen – ein Raum, in dem keine Gesetze, keine Regulierung gegriffen hätten. Dieses Internet existierte und existiert auch heute nicht im luftleeren Raum, sondern funktioniert nur durch Server und Übertragungsmittel, die auf staatlichem Territorium stehen und damit örtlichen Gesetzen unterliegen. Natürlich müssen Gesetze für das digitale Zeitalter angepasst werden, manche auch neu geschaffen werden, wenn erkannt wird, dass neue Möglichkeiten zum Nachteil der Gesellschaft genutzt werden. Grundlage hierfür sollten immer die Werte und Prinzipien sein, die wir bereits in der analogen Welt als unseren Maßstab ansetzen. Gute Regulierung, Verantwortung, für das Internet kann nur gelingen, wenn wir es als das betrachten, was es ist: ein weltweiter Verbund von Rechnernetzwerken. Leider schauen wir zu häufig ausschließlich auf Plattformen, die im Internet existieren und versuchen diese zu regulieren, als wären sie “das Internet”. Freilich tragen Plattformen Verantwortung und gehören reguliert. Aber die Regulierung der Plattformen darf eben nicht außer Acht lassen, dass das Internet weit mehr ist als diese.

Um über Freiheit und Verantwortung im Netz zu sprechen, möchte ich das Internet verlassen und den Blick auf die gesamte digitalisierte oder noch zu digitalisierende Welt richten. Uns begegnet hier zunehmend die Frage: Wie wollen wir im Zeitalter der Digitalisierung leben? Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Besucher des Evangelischen Kirchentags 2019, dass sie sich intensiver mit dieser Fragestellung auseinandersetzen und sich einbringen sollen. Die Digitalisierung stellt uns nicht vor gänzlich neue ethische Fragen. Sie stellt uns aber vor die wichtige Aufgabe, unsere Prinzipien und Wertvorstellungen mit in die digitale Welt zu nehmen und auf diese zu übertragen. Dass das nicht immer leicht ist und uns teilweise vor enorme Herausforderungen, aber auch Chancen stellt, ist nicht überraschend. 

Im Fokus dieser digitalisierten Welt stehen algorithmische Entscheidungssysteme, die häufig hochtrabend als Entscheidungen einer Künstlichen Intelligenz dargestellt werden, es aber selten sind. Wir diskutieren sehr viel darüber, was ein autonom fahrendes Auto dürfen soll und was nicht; setzen sogar – richtigerweise – eine Ethik-Kommission ein, die dem Gesetzgeber Vorschläge zur rechtlichen Gestaltung geben soll und dies auch tat. Es wurde eine Datenethikkommission eingesetzt, die die Bundesregierung zum ethischen Umgang mit Daten berät und eine High-Level Expert Group der Europäischen Kommission, die ethische Rahmenbedingungen für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz bereits veröffentlichte. Wir diskutieren – völlig zu recht – inwieweit Algorithmen darüber entscheiden dürfen sollen, ob jemand ins Gefängnis kommt oder nicht. Ob Algorithmen besser und neutraler entscheiden, als Richter es können, oder ob sie nicht doch Vorurteile reproduzieren. Die Tendenz dieser Diskussionen ist meistens klar: Gerade schwerwiegende Entscheidungen, die Grundrechte oder das (weitere) Leben beeinträchtigen können, sollten möglichst abschließend von Menschen getroffen werden. 

Bei algorithmischen Systemen, bei denen wir heute sagen, dass wir sie nutzen wollen, um zum Beispiel eine weitere Grundlage für menschliche Entscheidungen zu haben, sprechen wir intensiv über Probleme durch einen Bias, also einer Verzerrung, über Transparenz, Nachvollziehbarkeit und die Qualität von Daten, mit denen dieses System trainiert oder schließlich gefüttert wird. Auch hier geht die Tendenz in die Richtung, dass wir als Gesellschaft Entscheidungen, die algorithmische Systeme für uns treffen, unbedingt nachvollziehen können müssen. So können wir sie nicht nur verstehen, sondern auch an entsprechenden Stellen Beschwerde einlegen, sodass automatisierte Entscheidungen von Menschen überprüft werden. Es geht hier um nichts weniger als den Schutz von Grund- und Bürgerrechten.

Verengen wir wieder unseren Blick und schauen auf das Internet, stellt sich nun die Frage, warum wir hier nicht mit der gleichen Vorsicht und Gewissenhaftigkeit vorgehen. Betrachten wir zum Beispiel auf die EU-Urheberrechtsrichtlinie. Ja, Uploadfilter stehen nicht im Gesetzestext. Das tut aber wenig zur Sache, wenn klar ist, dass nur durch technische Hilfsmittel, durch Algorithmen, im Volksmund eben auch Uploadfilter genannt, Gesetze umgesetzt werden können. Da helfen keine nationalen Alleingänge, die Uploadfilter verbieten und Pauschallizenzen verpflichtend machen wollen. Uploadfilter sind nichts anderes als algorithmische Systeme, die abgleichen, ob für urheberrechtlich geschütztes Material, das auf eine Plattform hochgeladen wird, eine Lizenz vorhanden ist, oder ob eine der zahlreichen urheberrechtlichen Schranken greift. So zum Beispiel eine für Satire oder eine Parodie. Dass Technologie dies heute überhaupt leisten kann, wird von allen Experten stark bezweifelt. 

Nun könnte man sagen, es kann auch hier Beschwerdestellen geben, sodass ein Mensch die Entscheidung des Uploadfilters überprüfen muss. Das ist richtig. Bei der Menge an Material, das auf Plattformen hochgeladen wird – alleine auf YouTube sind es 400 Stunden pro Minute(!) – bei der Vielzahl an Sprachen, Dialekten, Slang, Insider-Witzen und sonstigen Informationen, die zur Einordnung – sei es durch Mensch oder Algorithmus – notwendig sind, ein schier unmögliches Unterfangen. Es würde nicht nur auf eine unermessliche Summe an algorithmischen Fehlentscheidungen hinauslaufen, sondern auch auf eine durch den Menschen. Von der zeitlichen Verzögerung bis zu einer Entscheidung und damit rechtmäßigen Publikation eines Beitrags auf einer Plattform, ganz zu schweigen.

Wo blieb und wo bleibt bei der Diskussion über das Internet und Plattformen, die Debatte um die Auslagerung Grundrechte betreffender Entscheidungen an algorithmische Systeme? Wir führten sie nicht und das, obwohl das Thema Ethik, die Frage nach dem guten Leben im digitalen Raum, gerade bei so vielen politischen Institutionen auf der Prioritätenliste steht. Algorithmische Entscheidungen, die die Freiheit von so vielen – hier im Speziellen die Meinungs- und Informationsfreiheit – einschränken, dürfen wir nicht zulassen. Der Erhalt und der Schutz von Urheberrechten im digitalen Raum ist wichtig und notwendig. Doch noch wichtiger ist der Erhalt von Bürgerrechten. Die Abwägung zwischen Rechtsgütern ist nichts für Algorithmen, sondern für Menschen mit entsprechender Ausbildung und Legitimation. Und auch, wenn wir Technik einsetzen dürfen, um Rechte bestmöglich zu schützen, dürfen wir algorithmischen Systemen und privatwirtschaftlichen Beschwerdestellen nicht Aufgaben übergeben, über die wir in der analogen Welt Gerichte urteilen lassen, gerade weil Sachverhalte häufig komplexer sind als eine Abfolge von Einsen und Nullen. 

Wie viel uns daran liegt, die europäischen Werte zu erhalten und zu verteidigen, zeigt sich besonders hier, im Internet. 

 

Dieser Beitrag erschien zu erst in der Politik & Kultur (Ausgabe 9/2019) des Deutschen Kulturrats.

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