Der Cyberkrieg hat längst begonnen
Durch die gezielte Tötung Qassem Soleimanis, dem Kommandeur der iranischen Quds-Einheit, ist das Risiko einer militärischen Eskalation im Konflikt zwischen den USA und Iran gestiegen. Die zentrale Rolle des getöteten Generals in der iranischen Regionalpolitik zwingt die iranische Führung zu einer Antwort. Untätigkeit in dieser Frage käme gerade wegen der vom iranischen Regime in den vergangenen Jahren betriebenen Stilisierung Soleimanis zur Lichtgestalt einem Gesichtsverlust gleich.
Andererseits weiß die iranische Führung spätestens jetzt, welch weitreichende Konsequenzen ihre militärischen Provokationen haben können. Der Tod Soleimanis war eine direkte Folge monatelanger Raketenangriffe pro-iranischer Milizen auf US-Militärstützpunkte in Irak, bei denen am 27. Dezember erstmals ein US-Bürger getötet wurde.
Iran und USA befinden sich bereits seit Jahren in einem Cyberkonflikt
Vor dem Hintergrund der potenziellen Folgen weiterer Anschläge auf US-amerikanische Militärstellungen — Präsident Donald Trump droht bereits mit US-Angriffen auf 52 ausgesuchte iranische Ziele — könnte sich die Islamische Republik auf aus ihrer Sicht weniger provokante Optionen einlassen. Als Alternative zu direkten Militärschlägen auf US-Ziele ist eine Hinwendung zu Cyberattacken plausibel. Ohnehin ist der Konflikt zwischen den USA und Iran bereits jetzt auch ein Cyberkrieg, in dem beide Seiten die digitale Infrastruktur des Gegners ins Visier nehmen.
So wurde im Juni 2019 bekannt, dass Trump als Reaktion auf den Abschuss einer US-Drohne einen Cyberangriff auf eine iranische Geheimdiensteinheit autorisierte. Die Geheimdiensteinheit wiederum plante ihrerseits Attacken auf Öltanker im Persischen Golf. Zur Erinnerung: Bereits unter George W. Bush und Barack Obama setzten die USA auf eine millionenschwere Cyber-Sabotageaktion gegen das iranische Atomprogramm, in deren Zuge der Computerwurm „Stuxnet“ die iranische Urananreicherung erheblich behinderte.
Iran hackte Casino-Unternehmen
Auch das iranische Regime hat in der Vergangenheit verschiedene Cyberangriffe gegen die USA und seine Verbündeten durchgeführt. So starteten iranische Hacker 2014 eine Attacke auf das Casino-Unternehmen des irankritischen US-Milliardärs Sheldon Adelson. Auch US-Verbündete sind bereits zur Zielscheibe iranischer Sabotageaktionen geworden. Nach Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten könnten sich diese Aktionen nach der Tötung Soleimanis nun auch auf europäische US-Verbündete ausweiten.
Das iranische Außenministerium hat bereits den Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Teheran wegen kritischer Äußerungen einbestellt. Die jüngste Ankündigung der iranischen Regierung, sich in einem weiteren Schritt von Verpflichtungen aus dem Atomabkommen (JCPOA) zurückzuziehen, deutet auf das iranische Kalkül hin, weiterhin Druck auf Europa auszuüben.
Deutschland muss bei IT-Sicherheit aufrüsten
Die aktuelle Bedrohungslage kann sich auch auf Deutschland auswirken, wenngleich sie momentan nicht akut ist. Das zeigt umso deutlicher, wie dringend notwendig es ist, dass Deutschland beim Thema IT-Sicherheit aufrüstet. In den USA warnte man schon mehrfach vor möglichen Cyberangriffen durch iranische Hacker auf Kritische Infrastrukturen (KRITIS) — auch deutsche KRITIS kann ein interessantes Ziel sein.
Es ist daher Zeit, dass die Bundesregierung das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 verabschiedet, das deutlich höhere Sicherheitsanforderungen an Kritische Infrastrukturen stellt, diese umfassender definiert, „Infrastrukturen im besonderen öffentlichen Interesse“ hinzufügt und BSI-zertifizierte Mindeststandards für Hardware definiert. Ebenso wichtig sind die drastisch höheren Geldbußen und weiteren Befugnisse des BSI. Für eine wirkliche Durchsetzung von IT-Sicherheit und Vertrauen brauchen wir aber ein vom Bundesinnenministerium unabhängiges BSI.
Konsequent auf defensive Cyberabwehrstrategie setzen
Hackergruppen aus Iran nutzten bereits mehrfach Sicherheitslücken, unter anderem in Microsoft Office, um die USA und ihre Alliierten auszuspionieren. Auch jetzt müssen die USA und ihre Bündnispartner mit Spionageattacken, Datendiebstahl, Distributed-Denial-of-Service-Attacken (DDoS) und den bereits erwähnten Angriffen auf Kritische Infrastrukturen und Desinformationskampagnen rechnen. Ansätze für Propaganda-Aktionen im Netz finden sich bereits. Sie laufen etwa unter dem Hashtag „#hardrevenge“ und können auch für Amerikaner und Amerikanerinnen, Israelis und Israelinnen, Juden und Jüdinnen, sowie Exil-Iranerinnen und -Iraner hier in Deutschland gefährlich werden, wenn Regime-Anhänger hierzulande Anschläge verüben. Es sei an dieser Stelle an das Mykonos-Attentat in Berlin von 1992 erinnert.
Die sich überschlagenden Ereignisse im Nahen und Mittleren Osten, angetrieben vom USA-Iran-Konflikt, verdeutlichen nochmals die Dringlichkeit, mit der sich Deutschland mit der Bedrohung durch Cyberangriffe beschäftigen sollte. Dabei sollten wir ausdrücklich nicht sogenannte „Hackbacks“ in Betracht ziehen, sondern konsequent auf eine defensive Cyberabwehrstrategie setzen. Zudem sollte die Bundesregierung alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel der Diplomatie einsetzen, um Iran von Vergeltungsschlägen aller Art abzubringen. Auch von Cyberangriffen.
Dieser Artikel erschien zusammen mit dem Politikwissenschaftler und Experten für US-Außenpolitik, Dr. Payam Ghalehdar, am 7. Januar 2020 als Gastbeitrag im Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI