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Datenschutz

Tag: Datenschutz

Am Datenschutz scheitert die Corona-Bekämpfung nicht

Den Datenschutz lockern, um den Gesundheitsschutz zu stärken? Bei der Corona-Warn-App wird eine ritualisierte Debatte entlang der bekannten Lager geführt. Die wichtigen Fragen werden dabei meistens ausgeklammert: Was kann die App leisten? Wo liegen die Probleme und welche Daten brauchen wir, um die gewünschten Ziele zu erreichen? Zusätzlich wird die Debatte geführt, als würde die App im luftleeren Raum handeln, als würde das Verhalten des Menschen irrelevant sein. Daten und Technologie haben aber generell nur einen Zweck: Sie müssen dem Menschen nützen. Sie sind Werkzeug zur Erreichung seiner Ziele, nie die Lösung selbst. Die bloße Forderung nach “mehr Daten” wird nicht als Selbstläufer zum Erfolg bei der Virusbekämpfung führen. Die Debatte braucht also mehr Substanz.

Der überbordende Datenschutz scheint laut einigen Politiker:innen und Kommentator:innen der Grund zu sein, der Deutschland davon abhält, Vorreiter der Digitalisierung zu werden und die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Doch sind es ausschließlich Daten, die in anderen Ländern der Schlüsselfaktor sind, mit dem die Pandemie in den Griff bekommen wurde? Taiwan und Südkorea werden hier gerne als Beispiele angeführt. Nur gilt selbst in hochtechnologischen Ländern: Daten handeln nicht alleine. Viel zu häufig wird beim Blick nach Ostasien vergessen, dass diese Länder eben nicht bloß auf Technologie setzen, sondern auch zahlreiche andere — meist ganz analoge — Maßnahmen eingesetzt haben, die zum erfolgreichen Umgang mit der Pandemie beigetragen haben. Dazu gehören einfacher mögliche Einreisekontrollen sowie die allgemein viel bessere Vorbereitung auf Pandemien aufgrund vorhandener Erfahrungen mit SARS-Viren.

Wichtig ist, beim Verweis auf andere Länder präzise zu benennen, welche Daten dort verwendet und welche bürgerrechtlichen Einschränkungen dafür in Kauf genommen wurden. Taiwan hat beispielsweise nicht auf Tracking- oder Tracing-Apps gesetzt. Die Einhaltung der Quarantäne wurde über das Mobilfunknetz kontrolliert. Allerdings wurden in Taiwan auch digitale Zugänge zu Daten bereitgestellt, mit denen die Zivilgesellschaft hilfreiche Anwendungen entwickeln konnte. Zum Beispiel, wie viele Masken in der Apotheke in der Nachbarschaft noch vorrätig sind oder Visualisierungen über die Menge der ausgelieferten Masken. Solche Daten und Informationen — möglich gemacht durch Civic-Tech-Anwendungen — finden in Deutschland, wenn wir über die Nutzung von Daten bei der Eindämmung der Pandemie sprechen, quasi keine Beachtung (Stichwort: WirVsVirus). Die Debatten über Daten dürfen daher nicht lediglich darum gehen, ob wir viel oder wenig Datenschutz brauchen, sondern wo der Mensch sinnvolle Informationen aufgrund von Daten bekommen kann, bzw. braucht, um sein Verhalten zu ändern, sodass das Virus sich nicht weiter verbreiten kann.

Südkorea hat zahlreiche weitere Daten genutzt, um die Verbreitung des Virus einzuschränken — eben nicht nur Daten aus einer Tracking-App. Diese wurden angereichert mit Daten aus Überwachungskameras oder über Finanztransaktionen. Wer dies auch für Deutschland fordert, sollte sich bewusst sein, dass wir hier gar nicht so viele Kameraaufnahmen haben, die wir nutzen könnten — zum Glück! Auch ist in Deutschland Bargeld noch immer beliebter als das digitale Bezahlen. Die benötigten Daten für das Vorbild Südkorea wären also gar nicht in dem Ausmaß vorhanden, in dem man sie benötigen würde. Der Ruf nach mehr Daten und weniger Datenschutz verkennt daher, dass Daten auch generiert werden müssen und nicht plötzlich da sind, nur weil der Datenschutz gelockert wird. Hinzu kommt, dass gerade durch solche massiven Datensammlungen womöglich viel mehr Menschen so handeln würden, dass diese Daten nicht mehr von ihnen generiert werden würden. Statt mit der Kreditkarte, würden sie wieder bar bezahlen. Die Lockerung des Datenschutzes würde also ins Leere laufen.

Natürlich darf es bei dem Einsatz von Technologie zur Pandemiebekämpfung nicht nur um den Datenschutz gehen. Es ist klar, dass der Gesundheitsschutz äußerst wichtig ist und dass es eine angemessene Abwägung zwischen diesem und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geben muss. Nur: Es gibt seit dem Beginn der Debatte äußerst kluge und innovative Vorschläge, wie genau beides in Einklang gebracht werden kann. Aus einem entstand die App, wie wir sie heute nutzen. Ein datenschutzfreundliches und Privatsphäre schonendes Konzept, das die 20 Millionen Downloads und das Lob aus dem Ausland wohl erst möglich machte. Dass die Corona-Warn-App angeblich nicht funktioniere, liegt eher an der überfrachteten Erwartung an sie, die keine App je erfüllen könnte. Beispielhaft sei hier erwähnt, dass es im Frühjahr gerne hieß, dass wir mit der App unsere Freiheit wiedererlangen könnten. Dabei wird aber verkannt, dass keine App vor einer Ansteckung schützt, sondern immer nur retrospektiv wirken kann und selbst dies nur dann, wenn eine Infektion mittels Test bestätigt wurde. Abstandhalten, Kontakte reduzieren und einen Mund-Nase-Schutz tragen wird also auch durch Technologie nicht obsolet.

Eine anderer kluger Vorschlag ist die Entwicklung einer Cluster-Erkennung für die Corona-Warn-App — ebenfalls datenschutzkonform und Privatsphäre schonend. Doch dieser findet kaum Erwähnung bei denen, die weniger Datenschutz fordern und diesen als Schuldigen für das angebliche nicht-funktionieren der App anführen. Ebenso finden Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen, wenig Gehör: die Digitalisierung der Gesundheitsämter an sich, fehlende Schnittstellen (Stichwort: Datenübermittlung per Fax an das RKI) oder fehlende Informationskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Noch heute scheitern zu viele Ärztinnen und Patienten daran, das Testergebnis in die eigene Corona-Warn-App übermitteln zu lassen, damit andere gewarnt werden können, da ihnen nicht bekannt ist, dass unbedingt ein Kreuzchen auf dem Formular für das Labor gesetzt werden muss, das die Übermittlung des Ergebnisses in die App erlaubt. Statt mit einem Zwang zur Freigabe zu arbeiten und damit womöglich noch weitere Nutzer:innen der App zu verlieren, sollte an der Aufklärung der Menschen gearbeitet werden, sodass sie eine freiwillige, aufgeklärte Entscheidung treffen können, beziehungsweise auf das Setzen des Kreuzes hinweisen können. Hier liegen die Potenziale. Denn wir brauchen mehr Nutzer:innen der App.

Unsere Debatten brauchen mehr Substanz. Gerade, weil es um den Schutz von Menschenleben und einer Abwägung von Grundrechten geht brauchen wir mehr technologischen Sachverstand, mehr Fokus auf Prozesse und deren Optimierung. Blinder Technologieglaube führt nicht nur nicht zu den bestmöglichen Lösungen, er ist schlimmstenfalls sogar Steigbügelhalter für eine tiefgreifende digitale Überwachung. Der bloße Ruf nach mehr Daten und weniger Datenschutz wird keinen Erfolg bringen — schon gar nicht, wenn weder benannt werden kann, was für Daten gebraucht werden noch wie diese generiert und verarbeitet werden können. Daten schützen nicht vor einem Virus. Aus Daten gewonnene Informationen können dazu beitragen, dass Menschen ihr Verhalten ändern. Und schlussendlich kommt es genau darauf an, dass Menschen Informationen über das Virus und seine Verbreitungswege ernst nehmen und ihr Verhalten dadurch ändern. Wenn wir dazu nicht in der Lage sind, wird uns auch ein gelockerter Datenschutz nicht vor dem Virus schützen.

Dieser Text erschien zuerst auf freiheit.org.

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Tracking-App: Was in der Debatte bisher fehlt

In der Diskussion um eine Tracking-App zur Rückverfolgung von Kontakten geht es um Privatsphäre und IT-Sicherheit. Dabei müsste eigentlich der Mensch im Zentrum stehen, fordern Christin Schäfer von acs plus und Ann Cathrin Riedel von LOAD. Hilft die Information auf diesem Weg? Was sind die Folgen für den Einzelnen?

Bisher fokussiert sich die Diskussion zur Ausgestaltung einer möglichen App zur Rückverfolgung von Kontakten auf Datenschutz und IT-Sicherheit. So wichtig diese Aspekte sind, wird damit ein Kernelement des Systems vergessen: der Mensch. Ganz unabhängig von der Maßnahme, muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Nehmen wir an, eine App kann die notwendigen Anforderungen an Datenschutz, Privatsphäre und IT-Sicherheit erfüllen, dann lautet eine wesentliche Ausgestaltungsfrage: wie kommuniziert die Corona-App mit den Menschen? Wie wird das Ergebnis konkret mitgeteilt? Ein mögliches Infektionsrisiko mittels einer App zu berechnen ist das eine. Das Ergebnis dieser Berechnungen mitzuteilen, ist etwas ganz anderes. Gesundheit und Wohlergehen hat auch eine psychische Komponente, die bei der Ausgestaltung des Gesamtsystems rund um eine Maßnahme nicht vergessen werden darf.

Eine wesentliche Frage beim Design, nicht nur einer App lautet: wie geht der Empfänger oder die Empfängerin mit einer solchen, kritischen Nachricht um? Insbesondere, wenn diese im Wirrwarr von allen andere möglichen Push-Mitteilungen auf dem Smartphone erscheint; zwischen WhatsApp-Nachrichten, den neuesten „Breaking News“ und der Erinnerung an einen Termin.

„Sehr geehrte Nutzerin, sehr geehrter Nutzer, wir haben bei Ihnen ein Covid-19 Risiko von 69% ermittelt. Freundliche Grüße, Ihr App-Anbieter.“ Unpersönlicher und weniger empathisch können schlechte Nachrichten nicht überbracht werden.

Was wissen wir über die Vermittlung dieser Art von Nachricht zum Beispiel aus dem Bereich der Krebsvorsorge? Ein Infekt mit Corona ist zum Glück kein Todesurteil. Aber für einige Personengruppen kommt es einem solchen schon erschreckend nahe. Wer älter, geschwächt und vielleicht zeitlebens mit Lungenproblemen gestraft ist, weiß, was die Stunde geschlagen hat. Zudem: nur wenige Menschen können mit Wahrscheinlichkeiten umgehen. Fragen Sie sich doch mal selber: bei einer Regenwahrscheinlichkeit von 60% – nehmen Sie den Regenschirm mit oder lassen Sie ihn zuhause? Ist ein „Risk Score“, dessen Ableitung unklar ist, eine kluge Wahl in der Mitteilung an den Nutzer der App? Werden sich nicht viele vor allem verunsichert fühlen?

Eine persönliche Ansprache bei der Meldung ist außerdem nicht möglich – soll die App doch anonym nutzbar sein. Wie sicher kann sich der Nutzer oder die Nutzerin sein, dass hier nicht ein Fehler passierte? Dass eigentlich eine andere Person diese Mitteilung bekommen sollte? Solch fehlgeleitete Informationen sind nicht auszuschließen. Vor allem dann nicht, wenn eine App neu ist und nicht ausreichend getestet wurde.

Quarantäne muss man sich leisten können

Der gesamte Budenzauber mit allen hingenommenen Einschränkungen der Privatsphäre, so freiwillig sie auch sein mögen, bringt nichts, wenn sich zu wenige beteiligen und insbesondere wenn das Ergebnis der App zu nichts führt. An Nachrichten zu potentiellen Infizierungen müssen sich vielfältige und personalisierte Maßnahmen anschließen.

An die Benachrichtigung muss notwendig der zeitnahe und aufwandsarme Zugang zu Tests folgen. Hierzu sind die Testkapazitäten aufzubauen. Es muss geklärt werden, was passiert, wenn sich Alleinerziehende anstecken. Wer kümmert sich – auch in Phase des Wartens auf das Testergebnis – um die Kinder? Wie verfahren Familien, bei denen sich ein Elternteil angesteckt hat, aber die Wohnverhältnisse eine Separierung nicht zulassen? Die Benachrichtigten sehen sich schweren emotionalen Konflikten ausgesetzt. Die eigenen Kinder womöglich gefährden? Die eigenen Kinder Dritten überlassen? Wem? Wer zahlt? Wer organisiert? Es muss sichergestellt werden, dass man sich die Tests, Wartezeiten und Quarantäne auch leisten kann; nicht nur finanziell.

Es bedarf zudem einer gesonderten Regelung für den Umgang von Fehlzeiten für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Gerade Personengruppen, die bei ihrer Arbeit viel reisen oder viel Publikumsverkehr ausgesetzt sind, werden häufiger im Covid-19-Alarm leben. Diese Alarme kommen überraschend und sind nicht planbar. Es ist davon auszugehen, dass sie zu signifikant erhöhten Fehltagen im Vergleich zu anderen Gruppen von Erwerbstätigen führen. Besonders hart betroffen sind zudem Solo-Selbständige, deren Verdienstausfälle existenziell bedrohlich sein können.

Die gesamte Gesellschaft muss sehr schnell lernen, flexibel und positiv mit kurzfristigen Absagen von Terminen umzugehen. Handwerker sagen am Morgen wegen eines Covid-19 Alarms ab. Die Wartungsarbeiten an einer Maschine müssen kurzfristig verschoben werden. Der Friseurtermin entfällt. Die Reihe ist definitiv nicht abschließend.

Der Zugang zu Lebenschancen darf nicht von sozio-ökonomischen Faktoren abhängig sein

Gut aufgesetzt kann eine Corona-App eine Maßnahme für die Überwindung der Krise sein. 79% der Deutschen besitzen ein Smartphone und haben damit die Chance, eine solche App zu nutzen. Der Zugang zu einer Corona-App darf jedoch nicht von sozio-ökonomischen Faktoren abhängig sein. Allen Bürgern und Bürgerinnen sollte es möglich sein zu partizipieren, Meldungen zu einer möglichen Infektion zu erhalten, um daraufhin geeignete Maßnahmen – Lebenschancen – zu ergreifen und wahrzunehmen.

Dies bedeutet, dass ein Smartphone und ein Internetvertrag zur Grundversorgung eines jeden Einzelnen gehören müsste. Es gilt vorab zu klären, welche Möglichkeiten Smartphone Besitzer:innen haben, deren Gerät nicht die notwendige Bluetooth LE oder GPS-Technologie hat oder auf einem älteren Betriebssystem läuft, das die App nicht unterstützt. Was ist mit denjenigen Mitbürgern und Mitbürgerinnen, die noch zu jung für ein eigenes Smartphone sind, oder allen, die die Benutzung überfordert? Wie inkludieren wir Menschen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen? Welche Möglichkeit der Teilhabe erhalten ausländische Touristen und Geschäftsreisende?

Europäische Herausforderungen

Die Bedrohung durch das Coronavirus besteht weltweit. Kein Nationalstaat, keine Region wird im Alleingang in der Lage sein, sein Gebiet zu schützen. Wie bei jeder Maßnahme bedarf es der Absprache mit Nachbarn und Partnern, damit die Wirksamkeit sich einstellen kann. Dies gilt auch und insbesondere für eine datengetriebene Technologie, wie eine Corona-App. Es wird eine Anwendung für ganz Europa, besser sogar die ganze Welt benötigt, die einheitliche Standards für Daten und Austauschprotokolle verwendet. Dagegen können Berechnungsmethodiken, etwa für Abstand und Risiko, länderspezifisch als Service angeboten werden. Unsere Aufgabe besteht darin, ein System aufzusetzen, dass eben nicht nur für deutsche Bürgern und Bürgerinnen Mehrwert liefert, sondern auch die Bürger und Bürgerinnen in Staaten schützt und ermächtigt, deren Gesellschaft weniger demokratisch und weniger rechtsstaatlich ist. Wir dürfen autokratischen Regimen keinen Corona-App-Standard präsentieren, der es den Staatschefs leicht macht, ihr Volk zu überwachen und zu drangsalieren.

Es geht nicht um Verhinderung, sondern Ermöglichung

Für all diese beschriebenen Herausforderungen haben wir heute noch keine Lösungen. Vor allem, weil wir noch nicht nach ihnen gesucht haben.

Es geht uns nicht darum, eine sinnvolle Corona-App-Lösung zu verhindern, sondern vielmehr, sie herbeizuführen. Zunächst ist dafür aber der Nachweis zu erbringen, dass eine digitalisierte und automatisierte Kontaktverfolgung helfen kann, die Infektionszahlen signifikant zu senken. Dann sind die weiteren Designdetails zu klären. Wie die Ausführungen verdeutlichten, kann eine kurzfristig und schnell aufgesetzte App die in sie gesetzten Erwartungen nur verfehlen. Daher plädieren wir dafür, ein solches datengetriebenes System zur Information über einen potenziellen Infekt sauber, durchdacht und im Verbund mit einem abgestimmten Maßnahmenpaket  zu entwickeln, welches uns auf dem langen Weg zurück in eine Normalität, wie sie vor Corona-Zeiten bestand, begleitet.

Christin Schäfer ist Gründerin und Geschäftsführerin der Berliner Data Science Boutique „acs plus“. Die studierte Statistikerin war Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung. Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI am 8. April 2020.

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“Bildung und Digitalpolitik: Wo bleibt die Zivilgesellschaft?” – Vortrag beim 14. For..Net Symposium an der Uni Passau

Am 28. April 2019 hielt ich auf Einladung von Prof. Dirk Heckmann beim 14. For..Net Symposium an der Uni Passau einen Vortrag über die Bedeutung der Zivilgesellschaft beim Thema Digitalpolitik. Der Vortrag kann unten angesehen oder nachgelesen werden.

 

Bildung und Digitalpolitik. Wo bleibt die Zivilgesellschaft?

Es war kurz vor Weihnachten 2015 – ein halbes Jahr nachdem es passierte. Wir sahen uns das erste Mal seit dem. Meine Mutter holte mich am Busbahnhof in Hamburg ab. Ich stieg zu ihr ins Auto. Wir fuhren keine zwei Minuten, da sagte sie ziemlich entsetzt: “Und Du bist jetzt in einer Partei?”. Ich glaube, das war das bisher einzige Mal, dass ich sie wirklich mit etwas geschockt habe. “Ja, Mama.“, sagte ich, „Die SPD, die Vorratsdatenspeicherung. Es ist einfach so passiert. Ich musste was tun.” Ich versuchte ihr das Problem mit der Vorratsdatenspeicherung zu erklären, dass unsere Bürgerrechte immer weiter eingeschränkt werden und dass uns immer mehr Überwachung droht. Sie sagte daraufhin was so viele sagen: Aber das ist doch alles nicht so schlimm. Ich hab doch nichts zu verbergen!

Wenn wir über digitale Bildung und digitale Haltung sprechen, dann müssen wir auch über Werte sprechen. Doch was sind eigentlich unsere Werte? Jeder spricht von ihnen, jeder nickt, wenn wir uns auf “unsere “Werte” berufen, aber ich wette, jeder hier würde andere nennen, wenn ich eine Umfrage mache Stimmts? Wir hätten mit Sicherheit sehr viele Überschneidungen, aber ich gehe auch felsenfest davon aus, dass wir über so einige diskutieren müssten, ob sie wirklich zu “unseren Werten” dazu gehören. 

Ich bin der Meinung, dass die Essenz unserer Werte in unserem Grundgesetz zu finden ist. Und ich bin auch der Meinung, dass die Digitalisierung uns die Möglichkeit gibt, zu reflektieren, wie sehr wir unsere Werte leben: Spiegelt ein Algorithmus Alltagsdiskriminierungen wider, denen wir uns vorher so nicht bewusst waren? Wie anstrengend ist Meinungsfreiheit eigentlich und wo beginnt der feine Unterschied zwischen Meinung und rechtswidriger Äußerung? Wie weit sollte ich die Freiheit Einzelner einschränken um eventuelle Sicherheit für alle zu gewährleisten?

Ich möchte heute über zwei Werte sprechen, die meiner Meinung nach durch die Digitalisierung, gerade auch in liberalen Demokratien, unter Druck stehen: Freiheit und Privatheit. Diese Werte sind so essentiell, aber auch so selbstverständlich geworden, dass ich glaube, dass wir uns ihnen dringend wieder bewusst werden müssen. 

Was passiert, wenn wir unsere Werte, unsere Freiheit, als gegeben ansehen und vermeintlich nichts für deren Erhalt tun müssen, sehen wir heute zur Genüge: Brexit, Uploadfilter für Urheberrechte und terroristische Inhalte, Staatstrojaner, NetzDG, Überwachungskameras mit Gesichtserkennung, die Speicherung von biometrischen Daten auf Ausweisdokumenten und in Datenbanken, Fluggastdatenspeicherung, der  Zusammenschluss von Datenbanken von Polizei und Migrationsbehörden und noch Vieles mehr.

Wo bleibt die Zivilgesellschaft? Diese Frage soll ich heute beantworten. Bei den Uploadfiltern hat sich eine gewaltige Bewegung gebildet, wenn auch erst recht spät. Die enorme Mobilisierung seit Anfang diesen Jahres verdanken wir vornehmlich YouTubern, die junge Menschen darüber informiert haben, was zu erwarten ist, wenn die EU-Urheberrechtsreform in der Form in der sie nun auch beschlossen wurde, durch kommt. Aber auch wenn ich in den vergangenen Monaten immer wieder betonen musste, dass nicht nur die “Generation YouTube” gegen die Reform protestierte, sondern auch Ältere – ich gehöre mittlerweile auch dazu – und vor allem Expertinnen und Experten aus diversen Fachgebieten, dann muss ich aber auch sagen, dass ich auf der Demo in Berlin doch hauptsächlich besagte “Generation YouTube” sah. 

Wo waren die anderen?

Von 2007 bis 2014 hatten die Freiheit statt Angst Demos großen Zulauf. Von ein paar tausend bis mehrere zehntausend Menschen demonstrierten in den Jahren für Datenschutz und gegen staatliche Überwachung. Nicht die „Generation YouTube“, denn die gab es da noch gar nicht, sondern ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis. Der AK Vorrat und der AK Zensur, Lobbycontrol, Pro Asyl, die Verbraucherzentrale, Reporter ohne Grenzen, Verdi, IG Metall, die AIDS-Hilfe, die katholische Junge Gemeinde, um nur einige wenige zu nennen. 

Und heute? Auch bei der EU-Urheberrechtsreform gab es ein breites Bündnis, aber nicht so breit und nicht so tiefgreifend auf die Verteidigung unserer Grundwerte bedacht, wie ich es mir gewünscht hätte und wie es notwendig gewesen wäre. 

Heute wird stattdessen leider viel zu häufig auf die europäische Datenschutzgrundverordnung geschimpft. Gegen Polizeigesetze, die auch einen Staatstrojaner beinhalten wird nur in wenigen Bundesländern groß demonstriert, in vielen anderen werden sie dahin genommen, fast unbemerkt. Das neue IT-Sicherheitsgesetz, das dem Gesetzgeber erlauben soll, Verdächtige zu Herausgabe von Passwörtern zu zwingen, bekommt bei weitem nicht den Aufschrei, den es verdiente. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Uploadfilter wird bei klassischen YouTube-Videos erkannt, nicht aber bei der schwammigen Bezeichnung von “Terror”. Gesichtserkennung von staatlicher Seite findet immer häufiger statt. In Berlin am Südkreuz, an Grenzübergängen im Flughafen – wo die Daten landen und vielleicht verknüpft werden, wissen wir nicht. Oder vielleicht wüssten wir es, wenn wir uns irgendwo informierten, oder mal nachfragen. Aber wo? Und könnten uns die Beamtinnen und Beamten überhaupt darüber Auskunft geben? 

Es interessiert uns nicht. Oder zu wenig. Wir sind bei vielen Sachen zu bequem und ich nehme mich da nicht aus.  Zusammengewürfelte Datenbanken mit unsauberen Daten, die zum Verlust der Akkreditierung eines Journalisten beim G20 Gipfel in Hamburg führten, führten hauptsächlich zu Empörungen in der Bürgerrechtsszene. Datenmissbrauch durch die Polizei, wo Daten für private Zwecke missbraucht wurden, ja sogar der Datenmisabrauch durch rechte Polizeibeamte, die ihre Zugänge zur Datenbank nutzen, um Drohbriefe an Linke und Autonome zu schreiben, wie kürzlich in Berlin, führen nur zu einem Schulterzucken. Wenn überhaupt. Selbst, und das ist das Schlimmste, bei der Polizei, die sich laut Berliner Datenschutzbeauftragten nur wenig kooperativ verhält.

Katharina Nocun hat es wunderbar in ihrem Buch “Die Daten die ich rief” beschrieben. Ich zitiere: “Datenschutz stellt in einer vernetzten Welt eine der zentralen Machtfragen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag. Zugegeben, das Wort ‘Datenschutz’ verströmt den Charme eines Einwohnermeldeamtes. Es klingt nach Bürokratie und eilig durchgewunkenen Geschäftsbedingungen, deren erster Absatz einen dank feinstem Juristendeutsch bereits zu Tode langweilt. Das bekomme ich bei Diskussionen häufig zu spüren. Während das ehrenamtliche Engagement für Umweltschutz von den meisten Leuten als wichtiger gesellschaftlicher  Beitrag angesehen wird, leitet das Thema Datenschutz meist eine mehr oder minder turbulente Grundsatzdiskussion ein. Vielleicht kennen sie das ja auch. Immer häufiger begegnet mir dabei die Haltung ‘Ich habe nichts zu verbergen’ oder ‘Da kann man eh´ nichts machen’. Auf Datenschützer bezogen heißt das wohl: ‘Du verschwendest deine Zeit.’ Es scheint ganz so, als würde das Schrumpfen des überwachungsfreien Raumes von vielen Menschen als Lauf der Dinge hingenommen werden, als einzig mögliche logische Folge der Digitalisierung.” Zitatende.

Datenschutz stellt eine der zentralen Machtfragen. Und sie wird heute gestellt. 

Beim Lesen dieser Passage und dem Vergleich mit dem Engagement für Umweltschutz stellte sich mir unweigerlich die Frage: Brauchen wir nicht auch eine “Friday’s for Future”-Bewegung für unsere Grundrechte? Für die Sicherstellung von Freiheit und Privatheit im digitalen Raum? Ebenso wie der Einsatz für das Klima JETZT notwendig ist, um eine lebenswerte Zukunft sicherzustellen, ist auch der Einsatz für Freiheit und Privatheit im digitalen Raum JETZT notwendig. 

Doch wie kommen wir zu so einer Bewegung? Ich fürchte, sie kommt wie “Friday’s for Future” erst dann zustande, wenn Menschen zu spüren bekommen, wie sehr sie ihrer Grundrechte beschnitten werden. Also viel zu spät. 

Wir haben daher nur die Chance so eine Bewegung schnellstmöglich anzuzetteln, indem wir viel intensiver auf die Bedeutung von unseren Werten, von Freiheit und Privatheit aufmerksam machen. Und das muss die Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure sein. Doch wir dürfen nicht, wie schon beim Begriff „Werte“ so abstrakt von „Freiheit“ und „Privatheit“ sprechen, sondern wir müssen diesen Begriffen Leben einhauchen. Gerade auch in Bezug auf für den digitalen Raum. Doch das kann nicht die alleinige Aufgabe von digitalpolitischen Vereinen im weitesten Sinne sein. Dafür sind sie viel zu klein und viel zu wenig in der breiten Gesellschaft verankert. Das ist keine Kritik an ihnen, das ist meiner Meinung nach ein notwendiges Übel bei hochspezialisierten Interessensgruppen. 

Wenn wir über Bildung sprechen, dann denken wir immer an Schulen. Oder auch Universitäten. Ja, auch hier müssen wir dringend dafür Sorgen, dass nicht nur im Zusammenhang mit “digitalen Medien” über Werte wie Freiheit und Privatheit gesprochen wird. Aber Bildung und Aufklärung ist in diesem Punkt vor allem bei dem Großteil der Bevölkerung essentiell, der eben nicht mehr die Schulbank drückt oder in der Vorlesung sitzt. Wir müssen – gerade was den Umgang mit der Digitalisierung, aber eben auch was die Einschränkung von Freiheiten durch die Digitalisierung angeht, dringend die breite Masse erreichen. Die, die übrigens auch wählen darf und vor allem auch wählen geht. 

Um hier anzusetzen, müssen Akteure wie die Kirchen, Gewerkschaften, Stiftungen, Vereine und alle sonstigen Organisationen mehr über über das Grundlegende sprechen, das hinter dem steht, was sie tun. Denn sie handeln ja zumeist auf Basis unserer Werte. Ihr Handeln haucht unseren Werten leben ein. Und gerade diese Akteure müssen in einer sich digitalisierenden Welt dafür sorgen, dass auch dort unsere Werte, die Werte, die sie vertreten und für die sie stehen, erhalten bleiben. Und ich muss es hier nochmal ganz klar sagen: meiner Meinung nach, haben die Gewerkschaften wie Verdi und der DJV bei der Urheberrechtsreform versagt. als gesellschaftlicher Akteur und bei der expliziten Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder. 

Wo bleibt also die Zivilgesellschaft? Mein Glück ist ja, dass ich eigentlich gar nicht über diese teils nicht ganz greifbaren Konstrukte von Gewerkschaften, Vereinen und Stiftungen sprechen muss. Ich hab sie ja hier, die Zivilgesellschaft. Sie, ich, wir alle sind sie. Jede und jeder Einzelne hier im Raum Teil dieser Zivilgesellschaft und auch wir können Wertevermittlung und Haltung eigentlich ganz einfach in unseren Alltag einbauen.

Sprechen Sie häufiger in Ihrem Alltag über solche Themen. Gerade auch mit denjenigen, die sich eben nicht beruflich oder ehrenamtlich mit Netzpolitik oder IT-Recht beschäftigen. Das geht am Tisch beim Abendbrot, beim Sport, in der Bar mit Freunden, das Thema kann man sogar bei einem Date mal ansprechen – ist super um ein gemeinsames Wertefundament zu klären, glauben Sie mir – oder teilen Sie doch einfach mal Artikel dazu auf ihren Social Media Kanälen. Ich glaube nicht nur, dass es was bringt, ich verspreche ihnen auch, dass man so selber viel lernt und gerade auch über Twitter viele spannende Leute kennenlernen kann. 

Doch kommen wir zurück zu meiner Mutter. Die ist nämlich genau so zu einem großen Fan von Datenschutz geworden. Sie bekommt Nicht nur meine Kommentare zum Thema auf Facebook mit. Wir reden auch beim Frühstück ausgiebig über diese Themen, wenn ich bei ihr zu Besuch bin. Sie liest die Bücher zu Datenschutz, die ich mir kaufe und schimpft danach, was doch für ungeheuerliche Sachen passieren. “Sag ich ja Mama”, sag ich dann. “Gut, dass ihr was macht”, sagt sie dann. 

Bildung und Haltung basieren auf Werten. Eine aktive Zivilgesellschaft muss sich ihrer Werte wieder bewusst werden und sie verteidigen. Dazu gehört vor allem Bildung und Aufklärung abseits von Universität und Schule. Denn die Einschränkungen, die uns bedrohen, sind zu essentiell, als dass wir einfach darauf hoffen können, dass nachfolgende Generationen noch in einer freien Welt ohne extremste Überwachung leben werden.

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