Gastbeitrag: Wie Deutschlands Verwaltung zukunftsfähig wird
Effizienz und Transformation in der Verwaltung sind zentrale Herausforderungen, denen sich moderne Staaten stellen müssen. Doch während einige auf radikale Vorbilder wie Elon Musk und seine umstrittenen Ansätze blicken, bleibt oft unbeachtet, welche Ideologie und Konsequenzen dahinterstehen. Musk verkörpert eine libertäre Vision, die nicht nur die Rolle des Staates infrage stellt, sondern auch grundlegende soziale Sicherungssysteme bedroht. Musks Herangehensweise kann kein Vorbild für die Verwaltungstransformation in Deutschland sein. Stattdessen müssen wir auf unsere eigenen Stärken und politischen Willen setzen, um einen handlungsfähigen Staat zu schaffen.
Musks Ideologie: Ein libertärer Angriff auf den Staat
Wer Musk und das von ihm künftig geleitete Departement of Government Efficiency (kurz: Doge, deutsch: Abteilung für eine effizientere Regierung) als Vorbild preist, ignoriert die Ideologie hinter seinem Vorhaben. Musk ist kein Verfechter einer liberalen Demokratie, sondern ein Libertärer, der vom Staat nicht viel hält – außer wenn es um Subventionen für seine Unternehmen oder lukrative Verträge für SpaceX geht. Einsparungen sind sein erklärtes Ziel, nicht Effizienz. Das zeigt sich daran, dass er etwa finanzielle Unterstützung für Gesundheitsversorgung und Veteranen streichen will. Seine Liste von Personen aus der Verwaltung, die er öffentlichkeitswirksam entlassen möchte, zeigt eine autoritäre Denkweise, die ebenfalls mit Effizienz nichts zu tun hat. Das ist die rechtspopulistische Verteufelung von „Bürokraten“, die nach der Verteufelung politischer Eliten im Weltbild dieser Leute nur folgerichtig scheint.
Zwischen Radikalität und Passivität: Ein handlungsfähiger Staat braucht mutige Politik
Dass Verwaltung effizienter werden muss, ist unbestritten. Doch auf Musk zu warten, um mögliche Erkenntnisse zu übernehmen, ist nicht nur naiv, sondern auch gefährlich. Deutschland hat keine Zeit, zuzuschauen. Unsere Verwaltung hat heute bereits 570.000 unbesetzte Stellen – bis 2030 könnte diese Zahl auf eine Million steigen. Das wäre für einen Staat, der im internationalen Vergleich ohnehin wenig Verwaltungspersonal pro Kopf hat, verheerend.
Wir haben allerdings auch nicht viel Zeit, um auf Ergebnisse der Arbeitsgruppen unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Steinmeier zu warten. So ehrenwert das Engagement aller Beteiligten ist und so gut ich es finde, dass sich des Themas auf dieser Ebene von Personen mit einem gewissen Renommee angenommen wird. Unsere Antwort auf die Herausforderung muss irgendwo zwischen einem autoritären Libertären liegen, der von Verwaltung und Bürokratie nichts hält, und einer Kommission, die leider abseits des aktiven politischen Handelns arbeitet. Das bedeutet daher für die nächste Regierungskoalition, dass sie zwingend das Thema Verwaltungstransformation ganz oben auf die Prioritätenliste setzen muss.
Aber nicht nur das, es braucht auch jemanden, der bereit ist, sein oder ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um die notwendigen und zeitlich drängenden Veränderungen voranzubringen, die zu einem leistungs- und handlungsfähigen Staat führen. Dabei dürfen alle künftigen Minister:innen nicht vergessen, dass eine leistungsfähige Verwaltung Grundlage dafür sein wird, ob sie ihre politischen Vorhaben überhaupt umsetzen können und zeitnah, wirkungs- und nutzerzentriert zu den Bürger:innen oder den Unternehmen zu bringen.
Effizienz statt Abbau: der leistungsfähige Staat ist das Ziel
Das bedeutet auch, dass klar werden muss – auch in der politischen Kommunikation im Wahlkampf –, dass Bürokratieabbau allein kein Ziel sein kann. Vielmehr wird es ein Produkt sein, das beim Erreichen des eigentlichen Ziels mit abfällt. Und dieses Ziel muss ganz konkret der leistungsfähige Staat sein.
Bürokratie – so ermüdend und oft überflüssig so manch ein Bericht für Unternehmen oder auch innerhalb der Verwaltung ist – ist nicht das vorrangige Problem, das Bürger:innen und Unternehmen haben. Es ist die Kompliziertheit von Anträgen, die häufig Misstrauen oder Partikularinteressen widerspiegeln, die im parlamentarischen Prozess in Gesetze einfließen. Es sind nicht-optimierte Prozesse, die, im schlimmsten Fall, auch noch vom Analogen eins-zu-eins ins Digitale übertragen wurden. Es sind Ängste vor einer digitalen Identität, der nicht so viel zugetraut wird wie der händischen Unterschrift. Es ist der Unwille, Gesetze und Normen dahingehend zu überprüfen, ob sie schlank ins Digitale transformiert werden können. Für so etwas hilft nicht unbedingt ein „one in, one out“-Vorhaben, denn schlimmstenfalls wird ein neuer Prozess eingeführt, der weder abbildbar noch digital durchführbar ist und damit als „bürokratisch“ wahrgenommen wird. Die Lösung muss also darin liegen, Gesetze von vornherein anders zu denken, zu gestalten und auf ihre Wirkung zu achten.
Die Trägheit der Systeme
Allerdings ist das System Verwaltung träge. Damit müssen wir umgehen. Das bedeutet, dass wir uns mit Transformationsfragen differenzierter beschäftigen müssen. Also nicht bloß mit der Frage, wie man eine Leistung digital bekommt, sondern gerade im föderalen System mit Steuerungsfragen, mit Implikationen für die Art des Arbeitens innerhalb der Verwaltung und den gesellschaftlichen Implikationen, ökonomischen Folgen, gerade für kleine IT-Dienstleister. Diese Fragen werden auch Musk begegnen – und meiner Prophezeiung nach – um die Ohren fliegen. Denn jedes System wird ohne Antworten auf diese Fragen vollends in sich zusammenfallen (wenn das nicht eh sein Ziel ist).
Lineares Denken, im Sinne von „es muss nur dieser eine Schalter umgelegt werden“ (oder eben das Handeln von Musk), ist ein Fehlschluss, der davon ausgeht, der Rest der Welt sei unbeweglich. Das heißt, auch ein echtes Digitalministerium allein wird es nicht richten – so nötig auch ich es mittlerweile finde.
Vom Objekt zum Subjekt: Ein Paradigmenwechsel innerhalb der Verwaltung
Um der Trägheit entgegenzuwirken ist auch ein Paradigmenwechsel innerhalb der Verwaltung notwendig. Verwaltung sieht sich regelmäßig eher als Objekt, denn als handelndes Subjekt. Transformation ist aber etwas, das nicht über sie kommt, sondern etwas, das sie selbst gestalten muss. Insbesondere ihre Führungskräfte. Ebenfalls dazu gehört, dass sich politische Entscheidungsträger der Vollzugsexpertise innerhalb der Verwaltung stärker annehmen müssen – gerade auch derer aus den Kommunen. Regelmäßig wird beispielsweise zum Thema Bürokratieabbau die Wirtschaft angesprochen und um Vorschläge gebeten, um Prozesse zu verbessern. Dabei sind auch innerhalb der Verwaltung enorme Potenziale zur Verbesserung vorhanden. Und das Gute ist: äußerst vielen Verwaltungsmitarbeitenden sind diese bewusst. Sie arbeiten bereits mit Maßnahmen daran, bürokratische Hemmnisse abzubauen.
Ein Beispiel dafür ist das Hamburger Projekt „HELP“ (Hamburger Effizienzlandkarte durch Prozessanalyse). Es zeigt, wie strukturelle Prozessoptimierung in der öffentlichen Verwaltung funktionieren kann. Ziel ist es nicht nur, Prozesse effizienter zu gestalten, sondern sie grundlegend zu hinterfragen: Wird die richtige Aufgabe auf die richtige Weise erledigt? Dabei geht es um mehr als nur Effizienzgewinne – es werden Mehrwerte für Mitarbeitende und Bürger:innen geschaffen. Solche Ansätze müssen skaliert und von anderen Verwaltungseinheiten kopiert werden.
Die Zukunft wartet auf unser Handeln
Deutschland hat alles, was es für eine erfolgreiche Verwaltungstransformation braucht: engagierte Mitarbeitende, bewährte Konzepte und die Technologien von morgen. Was fehlt, ist der politische Wille, diese Potenziale zu heben und die Verwaltung als Fundament einer funktionierenden Demokratie zu stärken. Denn ein leistungsfähiger Staat ist nicht nur der Schlüssel für Problemlösungen in der Politik, sondern auch für das Vertrauen der Bürger:innen in unsere demokratischen Institutionen. Die Zeit zu handeln ist jetzt.
Dieser Text erschien am 11. Dezember 2025. zuerst im Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI.