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Europa

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Gastbeitrag zum Liberalismus bei ZEIT Online: Was das Tiananmen-Massaker mit Pornoseiten zu tun hat

Wie macht man Menschen begreifbar, was Freiheit im Netz bedeutet? Warum Bürger- und Menschenrechte die Grundlage für die Digitalisierung sein müssen und nichts drängender ist, als diese auch im Digitalen zu schützen? Auf Warnungen hinzuweisen von UN-Sonderberichterstattern für Meinungsfreiheit, die die Gesetzgebung in Deutschland und Europa, zum Beispiel beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz und der EU-Urheberrechtsrichtlinie kritisieren, habe ich versucht. Mit Verweisen auf die Freiheitskämpferinnen und -kämpfer in Hongkong und Belarus, die auf sichere, verschlüsselte Messenger angewiesen sind, ebenfalls. Aber das Thema, bei dem man plötzlich die volle Aufmerksamkeit hat, ist: Pornos.

Freiheit spürt man erst, wenn sie weg ist
Gleich zwei Pornowebsites sind unter den 25 meistbesuchten Seiten Deutschlands, auch wenn natürlich nie irgendwer drauf geklickt haben will. Pornos und der Zugang zu ihnen haben also eine gesellschaftliche Relevanz. Und gleichzeitig immer noch ein Schmuddel-Image. Deshalb versteht plötzlich an diesem Beispiel jede und jeder, warum Datenschutz, Anonymität und freier Zugang zum Netz so wichtig sind. Denn irgendwie wollen ja doch viele Pornos gucken – und sollen es auch können (unter Einhaltung der Jugendschutzgesetze) –, aber eben ohne, dass irgendjemand weiß, was man gerne guckt, wo und wie lange.

Freiheit spürt man häufig erst dann, wenn sie einem genommen wird. In Russland fiel die Zensur vielen erst auf, als die russische Medienaufsicht Roskomnadzor die zwei beliebtesten Pornoseiten im Land sperrte. In einem Talk auf der Konferenz für Menschenrechte im Digitalen, der RightsCon, veranstaltet von der Friedrich-Naumann-Stiftung, berichtete der russische Journalist Andrej Soldatow, dass die Menschen erst durch diese Sperre bemerkten, wie wichtig und nützlich ein VPN-Zugang ist – und wie wertvoll ein Internet ohne Zensur.


Nun ist Freiheit viel mehr als der Zugang zu Pornografie. Aber Sie merken, worum es geht. Solange Sie nichts Illegales tun, geht es niemanden etwas an, was Sie tun. Freiheit, das bedeutet auch, die Freiheit vor Überwachung, der freie Zugang zu Information und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.


Auch wenn der Datenschutz hierzulande bisweilen nach Bedenkenträgerei klingt: Warum er wichtig ist – und Freiheitsrechte sichert –, zeigt sich im Kleinen und Alltäglichen. Und in der Weltpolitik, im Umgang mit autoritären Systemen.

In der Corona-Pandemie hat Deutschland einiges geleistet, worauf wir stolz sein könnten. Wir haben es beispielsweise geschafft, eine Corona-Warn-App zu entwickeln, die funktioniert. Lassen Sie sich bitte nichts anderes erzählen! Es ist eine App, die eben nicht den einzelnen Menschen und sein Verhalten ganz genau trackt und deren Daten dann doch zu anderen Zwecken verwendet werden, wie es etwa in Singapur passierte. Dort darf nun doch die Polizei auf die Bewegungsprofile der Nutzerinnen und Nutzer zugreifen. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, garantiert unter anderem durch die Datenschutzgrundverordnung, ist auch in Zeiten einer Pandemie wichtig.

Ich gebe zu, ich bin in einer privilegierten Situation. Ich habe keine Kinder und musste mich nicht mit nicht funktionierenden Lernplattformen, Schul-Clouds und Videoplattformen, die zwingend DSGVO-konform sein müssen, herumschlagen. Und ich verstehe wirklich jeden, den das alles unglaublich wütend macht. Ehrlich. Nur ist nicht der Datenschutz schuld daran, dass vieles nicht läuft. Es ist die seit 20 Jahren verschleppte Digitalisierung unseres Bildungswesens, des Gesundheitswesens und der Verwaltung. Eine leistungsstarke digitale Infrastruktur geht auch mit Datenschutz.


Chinas Zensur wirkt schon jetzt global
Während wir auf die DSGVO schimpfen, ist uns kaum bewusst, dass sie mittlerweile Vorbild ist. Kenia kopiert sie, auch Chile und Japan haben wie viele andere Länder eine ganz ähnliche Gesetzgebung eingeführt. Auch die USA, insbesondere Kalifornien, setzen immer mehr auf Datenschutz und Privatsphäre. Wer in der Europäischen Union mit seinen digitalen Produkten auf den Markt kommen möchte, muss sich an die DSGVO halten. Europa hat global Strahlkraft. Mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act sind zwei Gesetze in Arbeit, die hoffentlich eine ähnliche Wirkung haben werden.

Freiheit im Netz wird wichtiger. Und datenschutzkonforme Tools in der Schule sind zentral. Denn einmal implementiert, gehen sie nicht mehr weg. Hier geht es nicht um die Schulaufgaben der 5b, die sich die NSA angucken könnte. Hier geht es um biometrische Daten von Kindern, die aufgezeichnet, verarbeitet und gespeichert werden können – ohne dass wir das wissen. Und ohne dass wir das wirklich kontrollieren können, denn wir können sehr häufig nicht in den Quellcode der Software hineingucken. Wir wissen auch nicht, was mit diesen Daten vielleicht irgendwann mal passiert, wo sie landen und welche Restriktionen die Kinder irgendwann mal als Erwachsene erfahren, weil Daten falsch interpretiert oder kombiniert werden.

China darf nicht die Standards setzen
Wir müssen heute Bürger- und Menschenrechte im digitalen Raum schützen, um auch morgen in Freiheit leben zu können. Als Liberale wünsche ich mir möglichst wenig Regulierung. Aber ich sage auch als Liberale deutlich: Es geht nicht ohne. Unsere größte Herausforderung besteht darin, unsere analogen Prinzipien in die digitale Welt zu übertragen. Regulierung zu schaffen, die das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit schützt. Die Märkte fair und sozial macht, zum Beispiel durch die Besteuerung von großen Techkonzernen. Oder den Wettbewerb ermöglicht und Monopolbildungen entgegenwirkt.

Der Soziologe Andreas Reckwitz beschreibt in seinem Essay über die Krise des Liberalismus einen Paradigmenwechsel. Der apertistische, also der öffnende, Liberalismus wird zum einbettenden. Dominierten bis zuletzt die Dynamiken der Märkte und der Globalisierung, werden diese nun nicht eliminiert, sondern in neu zu schaffenden Rahmenbedingungen eingehegt. Dem Mangel an Ordnung wird mit neuen Formen der Regulierung begegnet. Das gilt auch fürs Netz.

Wenn wir es nicht machen, setzen global andere die Standards. Vor wenigen Tagen wurde an das Tiananmen-Massaker erinnert, das zweite Jahr in Folge online. Solche Mahnwachen sind in der Volksrepublik China nicht möglich. Auch nicht digital hinter der chinesischen Firewall. 2020 sollten einige Mahnwachen auf der Videokonferenzplattform Zoom stattfinden. Drei davon wurden von Zoom auf Bitten der chinesischen Regierung gecancelt. Das Unternehmen sperrte sogar die Accounts der Veranstalterinnen und Veranstalter, obwohl diese alle außerhalb Chinas ansässig waren; vier von ihnen sogar in den USA.

Das US-Justizministerium leitete eine Untersuchung ein und erhob Anklage. Zoom gestand ein, dass die Zensurvorgaben Chinas keine Auswirkungen auf Menschen außerhalb der Volksrepublik haben dürften und dass das Unternehmen diesbezüglich „versagt“ habe. Dieses Jahr funktionierte die Mahnwache über Zoom. Die Angst, dass wieder unrechtmäßig auf chinesischen Druck zensiert wird, bleibt.

Der Staatstrojaner untergräbt Deutschlands Glaubwürdigkeit
Der Einfluss Chinas ist längst weltweit spürbar. In diesem Jahr klagten Nutzerinnen und Nutzer der Suchmaschine Bing von Microsoft darüber, dass sie am Jahrestag des Massakers unter dem Suchwort „tank man“ kein einziges Bild von dem chinesischen Mann finden konnten, der sich vor die Panzer auf dem Tiananmen-Platz stellte. Bing ist eine der wenigen westlichen Suchmaschinen, die auch in China operieren und sich dort den Zensurvorgaben unterwerfen. Es sei ein „versehentliches menschliches Versagen“ gewesen, dass die chinesischen Filtervorgaben auch außerhalb Chinas griffen. Dass das innerhalb weniger Tage behoben wurde, beruhigt nicht. Schließlich merken wir in vielen Fällen womöglich nicht mal, wenn ein digitales Tool zensiert wird – und sei es aus Versehen.

Europa muss Antworten geben, um die Freiheit in einer digital transformierten Welt zu schützen; um liberale Demokratien an sich zu schützen. „Die größten Demokratien der Welt werden eine hochwertige Alternative zu China für die Modernisierung der physischen, digitalen und gesundheitlichen Infrastruktur bieten, die widerstandsfähiger ist und die globale Entwicklung unterstützt“, schrieb US-Präsident Joe Biden kürzlich in einem Gastbeitrag für die Washington Post. Genau das sollte die gemeinsame Aufgabe sein.

Deutschland ist eine vertrauenswürdige Verteidigerin der Freiheit. Dazu muss aber auch jeder und jede Einzelne den unschätzbaren Wert der Freiheit in allem erkennen – und das nicht nur dann, wenn es um Pornos geht. Glaubwürdig können wir nur bleiben, wenn wir nicht gleichzeitig verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze verabschieden, die die Freiheit im Digitalen unterminieren: den Staatstrojaner etwa, die Vorratsdatenspeicherung oder die Netzsperren. Innovation und Bürgerrechte miteinander in Einklang zu bringen, das kann gelingen. Und dann wird Freiheit – ganz nach Hannah Arendt – auch im Netz weltliche Realität.

Dieser Gastbeitrag erschien am 21. Juni 2021 auf ZEIT Online

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Digitale Transformation: Deutschland und Europa müssen globale Standards setzen

Wer es nicht schon längst wusste, dem ist hoffentlich im Pandemiejahr 2020 bewusst geworden, wie wichtig die digitale Transformation ist. 2021 muss endlich das Jahr sein, in dem wir nicht nur mit großen Schritten bei der Digitalisierung vorankommen, sondern auch Grundlagen für ein Deutschland und Europa legen, das Bürger- und Menschenrechte im Digitalen schützt und globale digitale Standards setzt. Und damit auch ein „level playing field“ für fairen Wettbewerb schafft. Im Jahr 2021 werden aus liberaler Sicht folgende Themen wichtig.

Regeln für Tech-Konzerne

Mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act will die Europäische Kommission ein neues Grundgesetz für den digitalen Raum festlegen. Dabei soll es nicht nur um Spielregeln für Plattformen und die Inhalte auf diesen gehen. Auch das Wettbewerbs- und Kartellrecht soll angepasst werden, um der Marktmacht einiger Internetplattformen Herr zu werden. Die Diskussionen um die Rolle von Social-Media-Plattformen bei der Erstürmung des Kapitols in Washington werden den Druck auf eine Umsetzung des Digital Services Acts erhöhen, auch wenn dieser dieses Jahr voraussichtlich noch nicht verabschiedet wird. Es ist notwendig, dass Plattformbetreiber und der Gesetzgeber sich damit beschäftigen, was diese in Bezug auf das Löschen und Sperren von Funktionsträger:innen dürfen oder müssen. Zudem wurde abermals – und vor allem in der westlichen Welt – deutlich, welche analogen Auswirkungen Hass und Hetze, Desinformation und Verschwörungserzählungen, die im Netz verbreitet werden, haben können. Bislang ist keine vehemente Kritik am Vorschlag des Digital Services Acts zu vernehmen. Vielmehr sehen sowohl Akteure der Zivilgesellschaft als auch Unternehmen den ersten Vorschlag als gute Grundlage. Mit der Verabschiedung der Richtlinie ist zwar nicht in diesem Jahr zu rechnen, wichtige Weichenstellungen im Hinblick auf die Inhalte werden aber 2021 erfolgen.

Der Digital Markets Act greift hingegen stärker die aktuellen Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne an, die als “Gatekeeper” gelten. So sollen bestimmte Praktiken verboten werden und Daten nicht mehr exklusiv von diesen Anbietern genutzt werden können. Zudem sollen bestimmte Praktiken, die als “unfair” definiert werden, stärker überwacht werden sowie digitale Dienste, wie zum Beispiel Messenger, zur Interoperabilität verpflichtet werden.

Abseits vom Digital Services und Digital Markets Act wird auch das Thema Steuern für Tech-Konzerne weiter diskutiert werden. Dies wird bereits auf OECD-Ebene diskutiert. Hier geht es darum, ein Steuermodell zu finden, bei dem die Körperschaftssteuer künftig nicht mehr nur am Firmensitz oder an Orten mit Betriebsstätte gezahlt wird, sondern zum Teil auch dort, wo Menschen die Produkte kaufen, also in den Marktstaaten. Dabei geht es insbesondere um die Besteuerung von allen multinationalen Konzernen, die mit immateriellen Wirtschaftsgütern Gewinne erzielen. Aus liberaler Sicht ist eine Doppelbesteuerung durch eine Digitalsteuer, die eine Art zweite Umsatzsteuer fungiert, abzulehnen. Ergebnisse zu diesem Thema sollen Mitte des Jahres vorgelegt werden.

Uploadfilter gegen Terror und beim Urheberrecht

Parallel zum Digital Services Act wird die neue Verordnung gegen terroristischen Online-Content (TERREG) verhandelt, die auf deutliche Kritik bei Digitalexpert:innen und Bürgerrechtler:innen stößt. Durch die Verordnung werden sogenannte Uploadfilter, also automatisierte algorithmische Systeme, überprüfen, ob ein Inhalt, der auf eine Plattform hochgeladen werden soll, zu beanstanden ist oder nicht. Die Vorgabe für große Plattformen, innerhalb einer Stunde terroristische Inhalte zu löschen, wird diese de facto dazu zwingen, diese Technologie einzusetzen. Zusätzlich zu der Problematik, dass solche automatisierten Systeme technisch nicht in der Lage sind, Inhalte präzise zu erkennen und einzuordnen, kommt im Falle der TERREG noch hinzu, dass es in der Europäischen Union keine einheitlichen Definitionen für Terror bzw. terroristische Organisationen gibt. Die Problematik wird in Ländern wie Ungarn deutlich, das Umweltaktivist:innen als “Öko-Terrorist:innen” verunglimpft und so die Verordnung dazu missbrauchen könnte, unliebsame Inhalte aus dem Netz verschwinden zu lassen. Ebenfalls werden uns die Uploadfilter aus der EU-Urheberrechtsreform weiter beschäftigen, die bis zum Sommer in nationales Recht umgesetzt werden müssen und in Deutschland zu heftigen Diskussionen zwischen Kreativen und Bürgerrechtler:innen, den einzelnen Ministerien, aber auch in den Regierungsparteien führt. Eine Klage Polens ist vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig. Dort soll entschieden werden, ob Artikel 17 der EU-Urheberrechtsreform, der dazu führt, dass Webseitenbetreiber Upload-Filter einsetzen müssten, eine illegale „allgemeine Überwachungspflicht“ darstellt. Eine erste Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Europäischen Gerichtshofs ist für den 22. April 2021 vorgesehen.

Künstliche Intelligenz und biometrische Überwachung

Zum Thema künstliche Intelligenz wurde vergangenes Jahr von der Europäischen Kommission ein Weißbuch veröffentlicht, das sich mit den „technologischen, ethischen, rechtlichen und sozioökonomischen Aspekten“ von künstlicher Intelligenz beschäftigt. Aus diesem sollen Folgemaßnahmen entwickelt werden. Die Entwicklung von Standards für künstliche Intelligenz ist wichtig, damit Europa eine ethische und rechtliche Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz dieser Technologie bieten kann. Eine solche Regelung wäre nicht nur für Europäer:innen wichtig, sondern könnte auch weltweite Signalwirkung entfalten, um der Verbreitung chinesischer Überwachungstechnologien ein Gegengewicht bieten zu können. Dass dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zum Beispiel bei Gesichtserkennungssoftware Grenzen aufgezeigt werden müssen, zeigen US-Städte wie San Francisco, die den Einsatz dieser Technologie im öffentlichen Raum bereits untersagt haben. Konzerne wie Amazon wollen entsprechende Software zukünftig nicht mehr Polizeibehörden verfügbar machen und IBM will die Erforschung dieser Technologie einstellen.

Cybersicherheit und Verschlüsselung

Hackerangriffe auf die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), Tech-Unternehmen, Verlage und Krankenhäuser haben im vergangenen Jahr massiv zugenommen. Sie führen uns nicht nur vor Augen, wie vulnerabel unsere Unternehmen und Infrastruktur mittlerweile sind, sondern auch, dass an der IT-Sicherheit Menschenleben hängen. Ein Hacker-Angriff auf das Universitätsklinikum Düsseldorf hatte den Tod einer Patientin zur Folge. Die IT-Sicherheit muss durch politische Vorgaben gestärkt werden. Das Vorhaben der Innenminister:innen der EU-Mitgliedsstaaten, Hintertüren in die Verschlüsselung von Messengerdiensten einführen zu wollen, bedarf daher einer äußerst kritischen Begleitung. Schließlich geht es hier nicht nur um die Privatsphäre eines jeden, sondern auch um den Schutz der Pressefreiheit. Zudem sind Unternehmen gefährdet, denn Sicherheitslücken machen Angriffe auf die Unternehmens-IT wahrscheinlicher. Mit ihnen gehen teils enorme wirtschaftliche Schäden einher. Die EU-Kommission verwehrt sich zwar diesem Vorhaben, doch werden uns Forderungen nach Hintertüren in Verschlüsselungen auch dieses Jahr begleiten. 2021 muss das Jahr werden, in dem die Politik klarstellt, dass nur eine Verschlüsselung ohne Hintertüren Sicherheit bietet und Bürgerinnen und Bürgern ein Recht auf Verschlüsselung haben sollten. 

Digitale Identitäten

Digitale Identitäten werden eines der wichtigsten und prägendsten Themen des Jahres. Neben der Überarbeitung der europäischen eIDAS-Verordnung, die die Standards der digitalen Identitäten regelt, möchte die Europäische Kommission auch eine Europäische-ID (EU-ID) einführen, die parallel zu nationalen eID-Systemen ausgerollt werden soll. Die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag der Kommission ab. Stattdessen werden Standards für ein Identitätsökosystem gefordert, also ein Wettbewerb der ID-Angebote. Durch die Errichtung eines Identitäten-Ökosystems, in das bestehende Lösungen integriert werden können, soll die Möglichkeit geschaffen werden, die bestmögliche Lösung zu finden. Wie der Vorschlag Deutschlands aufgenommen wird, wird sich im Laufe des Jahres zeigen. Er könnte insbesondere für diejenigen Mitgliedsstaaten attraktiv sein, die bereits eigene Lösungen für eIDs haben, da sich diese in das Ökosystem integrieren lassen. In Deutschland erwarten wir den digitalen Personalausweis auf dem Smartphone. Durch ihn sollen zum Beispiel Behördendienstleistungen einfacher digital in Anspruch genommen werden können. Aber auch das digitale Ausweisen bei der Eröffnung eines Bankkontos kann so leichter möglich sein.

Digitale Bildung und der Digital Divide

Versäumnisse im Bildungswesen werden auch 2021 nicht aufgeholt werden können, nur die Brisanz des Themas Digitalisierung des Bildungswesens wird noch größer. Hier werden wir erkennen müssen, dass in der Not geborene Maßnahmen zur Bereitstellung digitaler Lernräume und Plattformen nicht ausreichen. Zudem wird deutlicher werden, wie dringend sich die Ausbildung für Lehrkräfte anpassen und Themen wie Didaktik im Digitalen behandeln muss. Themen wie Lehr- und Lernkonzepte im Digitalen werden uns begleiten und der Druck auf Bildungs- und Kultusminister:innen wird steigen, hier notwendige Mittel und Lösungen bereitzustellen. Auch das Thema Hardware in der Schule wird 2021 diskutiert werden. Denn bereitgestellte Hardware für Lehrkräfte und Schüler:innen will administriert und gewartet werden. Dafür braucht es zusätzliches Personal an den Schulen. Der Mangel an IT-Fachkräften wird auch hier zum Problem werden. Die Ad hoc-Lösungen im Bildungswesen während der Pandemie werden nachhaltigen und langfristigen Ersatz benötigen, um ein zeitgemäßes Lehren und Lernen gewährleisten zu können. Und auch der sogenannte Digital Divide wird uns umtreiben. Wenn Schüler:innen kein Endgerät von der Schule bereitgestellt werden kann, sind sie darauf angewiesen, dass die Familie sich genügend Endgeräte leisten kann, damit die Kinder Home Schooling machen können oder auch nach der Pandemie mit mobilen Geräten zu Hause arbeiten können. Das Recht auf Bildung darf insbesondere beim Home Schooling in der Pandemie weder durch fehlende digitale Lernplattformen noch durch fehlende Endgeräte verwehrt werden.

(Re:start21:) Krise als Chance: Zusammenschluss demokratischer Staaten

Das Pandemiejahr 2020 und die ersten Tage in 2021 haben uns erneut aufgezeigt, wie drängend das Thema Digitalisierung ist und dass Digitalpolitik längst kein Nischenthema mehr ist. Die Entwicklungen verdeutlichen zudem, wie wichtig es ist, dass demokratische Staaten diejenigen sein müssen, die Standards und Regulierung für den digitalen Raum festlegen. Dies darf weder Konzernen und damit der normativen Kraft des Faktischen überlassen werden, noch autoritären Staaten. Die beginnende Präsidentschaft Joe Bidens und die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Pandemie sollten daher der Aufruf für die größten demokratischen Staaten sein, sich zusammenzutun. Ähnlich wie das Bündnis der G7-Staaten müssen sie gemeinsam Lösungen für die digitalen Herausforderungen finden. Dazu gehören nicht nur die oben genannten – die keine abschließende Liste darstellen -, sondern auch Fragen des Umgangs mit Meinungsfreiheit und dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Wirtschaftsräumen, insbesondere seitdem das Privacy Shield zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für ungültig erklärt wurde. Solch ein Zusammenschluss würde nicht nur die transatlantischen Beziehungen wieder auffrischen, sondern auch Chancen für eine lebenswerte, digital-nachhaltige Welt bieten, die auf offene Märkte und Multilateralismus setzt.

Dieser Text wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.
Bild von Thomas Ulrich auf Pixabay

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Digital Services Act: Die neue Grundlage für den digitalen europäischen Binnenmarkt

20 Jahre nach Einführung der europäischen E-Commerce-Richtlinie, wird heute von der Europäischen Kommission der Digital Services Act (DSA) vorgestellt, der die in die Jahre gekommene Richtlinie ergänzen soll. Vor 20 Jahren, bei Einführung der E-Commerce-Richtlinie, die bis heute den Binnenmarkt für Online-Dienste regelt, gab es noch keine Social-Media-Plattformen, wie wir sie heute kennen. Regulierung, die auf die Anforderungen der Plattform-Ökonomie abzielt, ist also dringend notwendig. Neben dem Digital Services Act wird der Digital Markets Act (DMA) vorgestellt, der ebenfalls an Plattformen mit Gatekeeper-Funktion gerichtet ist. Der DMA ergänzt Regelungen zum Wettbewerbsrecht und soll die Marktmacht der großen Digitalkonzerne begrenzen. 

Die noch immer gültige E-Commerce-Richtlinie beinhaltet ein Instrument, das für das Funktionieren des Internets, insbesondere von Plattformen enorm wichtig ist: das sogenannte “Notice and take down”-Verfahren. Dies entbindet, kurz gesagt, Plattformen von ihrer Haftung für illegale Inhalte Dritter, sofern sie davon keine Kenntnis haben. Dies ändert sich aber, sobald sie darüber in Kenntnis gesetzt wurden. Mit der Kenntnisnahme müssen sie handeln und die Inhalte entfernen, ansonsten haften sie für diese. Der Digital Services Act baut auf der E-Commerce-Richtlinie auf und behält dieses Instrument bei. Dies ist sehr zu begrüßen, auch vor dem Hintergrund, dass in den USA heftig um eine vergleichbare Regelung, die sogenannte Section 230 gestritten wird und der gewählte Präsident Joe Biden diese gerne abschaffen möchte.

Der Digital Services Act soll unter anderem dazu dienen, illegale Inhalte auf Plattformen besser zu regulieren und diese unter Einhaltung der Europäischen Grundrechtecharta zu entfernen. Was sich erstmal gut anhört, wirft die gleichen Probleme auf, die wir schon vom deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) kennen: Plattformen sollen selber entscheiden, was illegal ist. Eine Aufgabe, die die Justiz zu übernehmen hat und keine privatwirtschaftlichen Unternehmen. Dabei macht der DSA keine Aussagen darüber, was “illegale Inhalte” sind. Diese werden – zu Recht – in anderen Gesetzeswerken auf europäischer beziehungsweise nationaler Ebene geregelt. Positiv ist allerdings, dass der DSA wie das NetzDG eine Ansprechperson des in der Europäischen Union operierenden Plattformbetreibers fordert. Ebenso haben die Mitgliedsstaaten einen “Digital Services Coordinator” zu bestimmen, der die Aufsicht über die Einhaltung der Regelungen im Mitgliedsstaat hat und sich auf europäischer Ebene zum “European Board for Digital Services” zusammenschließt, das der Europäischen Kommission als Beratungsgremium zur Seite steht. 

Mit dem Digital Services Act kommen allerdings auch einige Verbesserungen für Nutzer:innen von digitalen Plattformen, inbesondere in Bezug auf Inhalte, die nach den plattformeigenen Communitystandards entfernt wurden. So müssen beispielsweise Nutzer:innen darüber informiert werden, warum ihre Inhalte von der Plattform gelöscht wurden. Die Plattform muss nach dem DSA Möglichkeiten anbieten, zu der getroffenen Entscheidung Widerspruch einzulegen und eine Plattform zur Streitschlichtung bereithalten. Ebenso ist zu begrüßen, dass der DSA Schutzmaßnahmen vorsieht, um den Missbrauch der Meldefunktion für Beiträge zu verhindern – werden mit falschen Meldungen doch häufig versucht unliebsame Meinungen mundtot zu machen. Plattformen wird daher nahegelegt, Regelungen zu finden, diese Nutzer:innen temporär zu sperren, dieses Vorgehen aber auch in ihren AGB darzulegen. Ebenso soll in den AGB in verständlicher Sprache dargelegt werden, ob die Inhalte durch Menschen oder Algorithmen moderiert werden.

Der Digital Services Act unterscheidet bei den beabsichtigten Pflichten die Größe von Plattformen. Er nimmt explizit zur Kenntnis, dass “sehr große Plattformen” einen ganz anderen Impact auf die europäischen Gesellschaften haben. So definiert der DSA sehr große Plattformen als Plattformen, die mehr als 45 Millionnen Nutzer:innen haben, bzw. 10 Prozent der Unionsbürger:innen. Die Strafen, die Der Digital Services Act bei Verstößen vorsieht, sind beachtlich: Bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes sind hier bei äußerst schweren Verstößen möglich.

Nutzer:innen sollen besser verstehen können, wie sich die Inhalte, die ihnen angezeigt werden, zusammensetzen. Dazu sollen sehr große Plattformen darlegen, was ihre Parameter für Empfehlungssysteme (z.B. der News Feed) sind und ermöglichen , dass alternative Einstellungen vorgenommen werden können. Dazu gehört auch die Möglichkeit einer neutralen Anordnung der Inhalte, die nicht anhand der von der Plattform antizipierten Vorlieben der Nutzer:in erstellt wird. Auch soll Nutzer:innen erkennen können, warum ihnen Werbeanzeigen angezeigt werden, also nach welchen Parametern das sogenannte Micro-Targeting erfolgte. Ebenso soll erkennbar sein, wer für die Anzeige zahlte.

Wie bereits im Anfang Dezember vorgestellten “European Democracy Action Plan” erwähnt wurde, finden sich im Digital Services Act Regelungen , die die Verbreitung von Desinformation einhegen sollen. Online-Plattformen sind angehalten, einen Code of Conduct zu erstellen, in dem sie darlegen, wie sie mit Inhalten, die zwar nicht illegal aber dennoch schädlich sind, umgehen wollen. Dazu gehört auch der Umgang mit Fake-Accounts und Bots, die häufig dazu beitragen, Desinformationen und andere schädliche, aber nicht illegale Inhalte zu verbreiten. Plattformen, die keinen Code of Conduct haben und dies nicht begründen können, kann vorgeworfen werden, dass sie sich nicht an die Vorgaben des DSA halten.  Die im Action Plan angekündigte Pflicht zur Bereitstellung von Daten zu Forschungszwecken findet sich im DSA wieder.

Ebenfalls zu begrüßen ist, dass sehr große Plattformen Pläne für Krisenfälle vorhalten sollen, zum Beispiel Pandemien, Erdbeben oder terroristische Anschläge. Zur Risikobewertung und -minderung wird diesen Plattformen außerdem nahegelegt, Nutzer:innen, besonders betroffene Personen, unabhängige Expertinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft in ihre Maßnahmen mit einzubeziehen. Dies ist insbesondere in Anbetracht des Genozids an den Rohingya in Myanmar, der durch Desinformation und Hate Speech auf Facebook befeuert wurde, auf den die Plattform lange keine Antwort fand, ein wichtiger Schritt.

Der Digital Services Act könnte auch für Kanäle (und ggf. auch Gruppen) auf Telegram greifen und damit umfassender sein, als das deutsche NetzDG, das bei Messengern wie Telegram, die auch eine öffentliche Kommunikation ermöglichen, eine Lücke aufweist. Die würde dazu führen, dass auch Telegram eine Ansprechperson in Europa benennen müsste. Keine Anwendung soll der DSA auf private Kommunikation über Messenger und  E-Mails finden, sondern nur auf  Gruppen , die für die Öffentlichkeit gedacht sind.

Mit dem Digital Services Act soll eine einheitliche Regulierung für den europäischen digitalen Binnenmarkt geschaffen werden, der auch eine Maßnahme gegen den Flickenteppich an nationaler Gesetzgebung sein soll, wie er zum Beispiel durch das deutsche NetzDG oder das französische “Avia Law” entstanden ist. Dabei löst er die nationalen Gesetze allerdings nicht ab, sondern ergänzt und vereinheitlicht sie. Der DSA erhebt den Anspruch, internationale Standards setzen zu wollen. Dass er dies mit der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung an die Plattformen anstrebt – wie schon beim NetzDG –, ist scharf zu kritisieren. Es bleibt zu wünschen, dass sich das Europäische Parlament im Rahmen der Verhandlungen über den finalen Text der Richtlinie für eine sinnvollere Lösung einsetzt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf freiheit.org.

Bild von Laurent Verdier auf Pixabay 

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