Policy Paper: Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb Herausforderungen für liberale Demokratien Policy Paper: Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb Herausforderungen für liberale Demokratien
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Policy Paper: Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb Herausforderungen für liberale Demokratien

Anfang April erschien mein Policy Paper: „Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb
Herausforderungen für liberale Demokratien“ bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Es kann hier

kostenlos heruntergeladen werden.

Geopolitik wird zunehmend wieder Thema in der deutschen und europäischen Politik. Der digitale Raum spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Souveränität Europas und anderer liberaler Demokratien hängt im digitalen Zeitalter von einem freien, offenen und globalen Internet ebenso ab, wie dem Zugang zu Technologien und sicheren, diversifizierten Lieferketten. Anhand von jeweils drei Beispielen soll exemplarisch illustriert werden, wo gefährliche Abhängigkeiten bestehen (Unterseekabel, Normen und Standards, Chips) und welche Rolle private Akteure in der internationalen Digitalpolitik einnehmen (Internet aus dem Weltall durch Elon Musks Starlink, Chinas Huawei und die digitale Seidenstraße, Google und Apple als Gatekeeper für Apps auf Smartphones). Das Papier schließt mit Policy Empfehlungen für die deutsche und europäische Politik.

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Freiheit braucht führungsstarke Digitalpolitik

Als Xi Jinping und Wladimir Putin im Februar 2022 zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking ein gemeinsames Statement veröffentlichten, ging eine Passage in der deutschen Berichterstattung vollkommen unter: Die beiden autoritären Herrscher wollten nicht nur eine bessere Kooperation und strategische Partnerschaft in der Bewältigung von globalen Problemen und in Sicherheitsfragen. Sie bekundeten auch ihre Absicht, künftig ihre Zusammenarbeit bei Fragen der Digitalpolitik zu intensivieren. Sie forderten eine neue “Internationalisierung” der Internet Governance. Hinter dieser Aussage verstecken sich Vorhaben zur Stärkung von staatlichen Kompetenzen in Gremien wie der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), die darauf abzielen, das Internet und seine Strukturen stärker zu kontrollieren. 

Geopolitik findet auch im digitalen Raum statt. Die politische Dimension des globalen Internets wird in Deutschland auch noch im zehnten Jahr nach Angela Merkels “Neuland”-Äußerung deutlich unterschätzt. Die deutsche Politik muss den Systemwettbewerb im digitalen Raum ernst nehmen und in ihren Entscheidungen und Strategien berücksichtigen. Die Souveränität Europas und liberaler Demokratien im Allgemeinen hängt im digitalen Zeitalter von einem freien, offenen und globalen Internet ab. Daher ist es wichtig, dass in Politik und Öffentlichkeit stärker über die geopolitische Dimension des Digitalen gesprochen wird und Bestrebungen wie die von Xi und Putin ebenso ernst genommen werden wie ihre strategischen Vorhaben im Bereich der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. 

Ein offenes und freies Internet ist für eine liberale Weltordnung unerlässlich. Die Grundsätze der Demokratie, des freien Handels und der Rechtsstaatlichkeit, die sich darauf stützen, können nur aufrechterhalten werden, wenn die freie Meinungsäußerung, der Austausch von Ideen und der Zugang zu Informationen auch in der digitalen Welt gewährleistet sind. Internationale Institutionen und Normen sind ebenfalls fundamental für eine liberale Weltordnung und spielen eine große Rolle bei der Wahrung der Internetfreiheit. Autokratische Staaten verwehren diese Prinzipien definitionsgemäß. Chinas „Große Firewall“ ist zu einem Modell für Autokratien geworden – und für Staaten auf dem Weg dorthin. Freiheit braucht daher eine führungsstarke Digitalpolitik.

Es mag widersprüchlich klingen, doch Deutschland ist bereits ein wichtiger und angesehener Akteur in Institutionen der Vereinten Nationen (VN) wie der ITU oder dem von den VN mandatierten Internet-Governance-Forum (IGF). Beides sind Institutionen, in denen Standards und Normen für das Internet festgelegt werden. In der ITU stimmen Staaten über vorgelegte Vorschläge ab, im IGF, einem Multi-Stakeholder-Forum, bei dem neben staatlichen Vertretern auch die Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft vertreten sind, legt man sich im Konsens auf Standards fest. Beide Institutionen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Aspekten der Internet Governance. Seit Jahren versuchen China und Russland Zuständigkeiten zur ITU zu verlagern, da sie hierüber stärker staatlichen Einfluss ausüben können.

Deutschland engagiert sich – still und leise, aber erfolgreich. 2019 richtete die Bundesregierung sogar das IGF in Berlin aus und durch das Engagement von deutschen Parlamentariern wie dem verstorbenen Abgeordneten Jimmy Schulz (FDP) wurde erstmalig das Engagement von Parlamenten in der Internet Governance verstärkt. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung und auch die Digitalstrategie des Bundes zeigen außerdem einen zarten Bedeutungszuwachs der internationalen Digitalpolitik. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen muss das Engagement in diesem Politikfeld deutlich größer werden.

Internet als liberales Freiheitsversprechen

Das Internet, das wir seit den 1990er-Jahren kennen, wurde bewusst offen und dezentral angelegt. Es war das liberale Freiheitsversprechen, das es Menschen ermöglichen sollte, sich frei miteinander zu vernetzen und auszutauschen. Jeder soll partizipieren und ein Teil des Netzes der Netze werden können. Offene Protokolle und Standards, auf denen das Internet bis heute basiert, machen es möglich. Die ersten Internet-Aktivsten traten schon früh gegen staatlichen Einfluss, das heißt, die Regulierung des Netzes, ein. Es sollte ein von staatlicher Macht unabhängiger Ort der Freiheit sein. 

Das Internet funktioniert allerdings nicht ohne physische Infrastruktur. Diese unterliegt allein durch ihr Vorhandensein auf dem Gebiet eines Staates, dessen Hoheit und regulatorischem Zugriff. Auch der Ort, an dem früher das Domain-Name-System (DNS) verwaltet wurde – das Telefonbuch des Internets – befindet sich an einem physischen Ort: Die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) war ursprünglich eine dem US-Verteidigungsministerium zugeordnete Behörde und zuständig für die Zuordnung von IP-Adresse zu für Menschen einfacher zu handhabbaren URLs wie www.zeitung.de. Später wurde diese Aufgabe der ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers übertragen, um der Aufgabe, dieses Telefonbuch zu verwalten, einen unabhängigeren institutionellen Rahmen zu geben. Sie hat ihren Sitz seit jeher in den USA und unterliegt daher der amerikanischen Jurisdiktion. 

Mit der Gründung der ICANN setzten die USA Ende der 1990er-Jahre eine nicht-staatliche Institution durch, die Teile des Internets verwalten sollte. Auch damals gab es Bestrebungen, diese Aufgabe der ITU zuzuweisen und damit staatlicher Kontrolle zu unterstellen. Die USA manifestierten so ihre Vorstellung einer liberalen Ordnung, die bis heute Grundlage der internationalen Internet Governance ist. Auch wenn sich die USA immer zu einem freiheitlichen und offenen Welthandel bekannten, nutzen sie die privatwirtschaftliche Öffnung des Internets, um eigene Unternehmen zu fördern. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass die heute existierenden großen Plattformen, die das Internet prägen und teils bestimmen, vor allem amerikanische sind. 

Das Ideal eines globalen, offenen und freien Internets ist auch heute noch der normative Rahmen, nach dem viele streben. Allen voran eine engagierte Zivilgesellschaft. Jegliche Fragmentierung des Internets wird als Verlust von Freiheitsräumen verstanden. Wer einen Blick nach China und hinter die “Große Firewall” wirft, versteht, was diese befürchtete Einschränkung bedeutet. Die chinesische Regierung kontrolliert, auf welche Webseiten die Chinesinnen und Chinesen zugreifen und was sie im Internet oder auf Messenger Plattformen wie WeChat äußern dürfen. Auch Russland strebt solch ein abgeschottetes, “souveränes” Internet an und will den Datenverkehr an physischen Knotenpunkten kontrollieren. Dass es Putin nicht so gelingt wie seinem Partner Xi liegt daran, dass China sich bereits kurz nach der Jahrtausendwende aufmachte, das Internet abzuschotten. Etwas, das der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton noch im Jahr 2000 für so unmöglich hielt, “wie Pudding an eine Wand zu nageln”. 

Im europäischen Internet gelten mit dem Digital Services Act (DSA) bald andere Regeln als im Rest der Welt

Mit einem Winke-Emoji sprach EU-Kommissar Thierry Breton im Oktober 2022 Elon Musk auf Twitter an, kurz nachdem dieser die Plattform gekauft hatte. In Europa wird der Vogel (gemeint ist Twitter) nach unseren europäischen Regeln fliegen, sagte der Kommissar. Im europäischen Internet gelten mit dem Digital Services Act (DSA) bald also andere Regeln als im Rest der Welt. Deutschland war mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Inspiration und Vorbild für den europäischen DSA, der zum Glück nicht die Probleme des NetzDG übernahm. Beides sind Gesetze, mit denen versucht wurde durchzusetzen, dass in “unserem” Internet auch unsere Regeln gelten. Ist das nicht eine Fragmentierung des Internets und eine Entfernung vom Ideal eines globalen, offenen und freien Internets? 

Das Freiheitsideal des Internets ist nicht einzuhalten. Für Anhänger der liberalen Demokratie und des Rechtsstaats kann dies auch nie das Ideal gewesen sein. Noch heute wird vielen Internet-Aktivisten unterstellt, dass sie genau dieses Ideal weiterhin anstreben und jegliche Regulierung des Internets verhindern wollen. Dabei ist dies für den allergrößten Teil nicht der Fall. Doch was ist dann dieses globale, offene und freie Ideal des Internets, das angestrebt wird, wenn doch eine Fragmentierung durch Regulierung des Internets für ein Rechtsgebiet dem Ideal eigentlich widersprechen müsste?

Die Debatte um die globale digitale Ordnung und damit eine etwaige Fragmentierung ist für die beiden Wissenschaftler Julia Pohle und Daniel Voelsen vielstimmig und in einem gewissen Maße auch widersprüchlich. Man müsse, um der Komplexität der Fragmentierungs-Debatte gerecht zu werden, den Begriff detaillierter betrachten und zwischen drei Formen unterscheiden. Dazu gebe es einen konzeptionellen Vorschlag zur Unterscheidung auf drei Ebenen: die Fragmentierung auf technischer Ebene, also der Infrastruktur, die staatlich getriebene Fragmentierung durch gesetzliche Vorgaben sowie die kommerzielle Fragmentierung durch Unternehmen zum Beispiel durch geschlossene Plattformen. 

Die Freiheit des Internets hängt also noch von einem weiteren Akteur ab: den multinationalen Big Tech-Unternehmen. 

Unternehmen spielen in internationaler Politik eine erhebliche Rolle

Es ist nicht neu, dass Unternehmen so viel Macht haben, dass sie in der internationalen Politik eine erhebliche Rolle spielen. Die East India Company war beispielsweise im 18. Jahrhundert nicht nur ein monopolistisches Handelsunternehmen, sondern vertrat auch die politischen Belange für das britische Empire. Ihm wurde zudem die Militärmacht übertragen, die sie mittels Privatarmeen auf dem indischen Subkontinent ausübte. Ebenso ist es seit jeher nicht unüblich, dass Unternehmen eine Rolle in der Bereitstellung von elementaren Gütern für die Gesellschaft spielten. Im Bereich der nationalen Sicherheit sind Regierungen häufig von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie Rüstungskonzernen abhängig. 

Neu ist, dass es heute zum Beispiel lediglich vier Konzerne gibt – Alibaba, Amazon, Google und Microsoft –, die den Großteil der weltweit benötigen Cloud-Kapazitäten zur Verfügung stellen. Die Datenverarbeitungen, die auf diesen Hyperscalern erfolgen, sind die Grundlage für elementare Leistungen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Die Macht, die oligopolartige Unternehmen wie diese heute haben, ist also weitaus umfassender, fundamentaler und weniger regional begrenzt. Hieran zeigt sich, was digitale Souveränität für liberale Demokratien bedeuten muss: Es muss die Möglichkeit des Wechsels eines Anbieters bestehen, eine Vielfalt von Anbietern vorhanden sein und die entsprechende Fähigkeit und Macht besessen werden, Einfluss gegenüber einem Anbieter auszuüben.

Aufgrund zahlreicher Abhängigkeiten gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen ist die digitale Souveränität vieler Staaten heute stark gefährdet. Häufig in Bereichen, die nicht nur kritisch sind, sondern auch noch zu wenig Beachtung in der öffentlichen und politischen Diskussion finden. 

Mit SpaceX betreibt Elon Musk eine von wenigen erdnahen Satellitenkonstellationen – Starlink –, die einen Zugang zum Internet bereitstellen können. Auch Amazon hat ein vielversprechendes Unternehmen gegründet, das Internet aus dem Weltall anbietet. Dazu kommen Anbieter aus Kanada, Großbritannien und natürlich China. 

Anbieten können wir Europäer das Internet aus dem Weltall über eigene Satelliten noch nicht. Die Europäische Kommission plant allerdings eine eigene Konstellation aufzubauen. Es war daher Elon Musk, den der ukrainische Digitalminister Mykhailo Fedorov öffentlich auf Twitter anschrieb, um ihn um Zugang zum Internet im Kriegsgebiet zu bitten. Ebenso war es Musks Starlink, das das Katastrophengebiet im Ahrtal nach der Überschwemmung mit einem Netzzugang versorgte. Mit einer eigenen europäischen Satellitenkonstellation könnte der revolutionäre Prozess in Iran durch freien Internetzugang unterstützt werden – das wäre ein handfester Beitrag für eine wertegeleitete und feministische Außenpolitik. 

Private dürfen – und müssen sogar – elementare Güter für eine Gesellschaft bereitstellen, denn Staaten selbst sind alleine dazu nicht in der Lage. Wichtig für die Souveränität eines Landes und Europas ist aber die Wechselmöglichkeit und die Frage, welche Macht dieser Anbieter ausüben kann. Aktuell bestimmt Musk darüber, ob Starlinks Internetverbindung für die Steuerung ukrainischer Drohnen eingesetzt werden darf. Er hat sich dagegen entschieden. 

Internet ist und bleibt ein Versprechen von Freiheit

Liberale Demokratien müssen Antworten auf illiberale und autoritäre Bestrebungen finden, die sich auf allen drei Ebenen der beschriebenen Fragmentierung abspielen, um das globale, offene und freie Internet in einem liberalen – das heißt rechtsstaatlichen und demokratischen Sinne – zu erhalten und zu stärken. Das ist notwendig, da es das Fundament für die liberale Weltordnung im 21. Jahrhundert darstellt.

Deutschland muss sein bisher eher stilles Engagement in den Gremien der internationalen Digitalpolitik ausbauen und verstärken. Die seit Jahrzehnten andauernden Bemühungen, die Regulierung des Internets auf staatlicher Ebene bei der ITU zu organisieren, sind immer noch aktuell, wie das Statement von Xi und Putin zu den Olympischen Spielen zeigt. Sie sind zwar bisher nicht erfolgreich und die infrastrukturellen Fragen werden weiterhin im Konsens zwischen Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelöst. Aber in der ITU werden Standards für Technologien gesetzt, die Gesellschaften ebenso wie das Internet selbst prägen. 5G ist nur eine davon. 

Da das Mandat der VN für das IGF 2025 ausläuft, sollte sich die Bundesregierung nicht nur für eine Verlängerung des Mandats einsetzen, sondern auch für eine Weiterentwicklung des IGFs, um die Effektivität des Multi-Stakeholder-Forums zu erhöhen. Das ICANN-Meeting, das im Herbst 2023 in Hamburg stattfinden wird und bei dem wichtige Entscheidungen zu den Kernfunktionen des Internets getroffen werden, sollte ein Auftakt für eine verstärkte und öffentlichere Rolle Deutschlands in der internationalen Digitalpolitik sein. Von ihm sollte außerdem das Signal ausgehen, dass man sich illiberalen Bestrebungen in der Internet Governance entgegenstellt.

Schließlich braucht es effektive Maßnahmen gegen die starke Machtkonzentration bei privaten Akteuren. Ein freier Markt und ein fairer Wettbewerb sind Grundlage der liberalen Wirtschaftsordnung. Mit dem Digital Markets Act (DMA) hat die Europäische Union bereits ein Gesetz verabschiedet, das den Wettbewerb stärken soll und besondere Anforderungen an Unternehmen stellt, die eine Gatekeeper-Funktion einnehmen. Auch menschenrechtliche Sorgfaltspflichten müssen im Digitalbereich stärker durchgesetzt werden, um Missbrauch zu reduzieren. Regulierung allein wird aber nicht ausreichen. Es braucht auch marktreifen digitale Produkte und Technologien.

Eine Strategie für internationale Digitalpolitik, die in diesem Jahr erarbeitet werden soll, muss ehrgeizig sein und die oben skizzierten Herausforderungen bewältigen. Wer glaubt, dass Deutschland erstmal seine Hausaufgaben in der nationalen Digitalpolitik machen sollte, verfehlt, welches Ansehen Deutschland in der Welt im Bereich der Internet Governance hat und welche Erwartungen hier von unseren Partnern an uns gestellt werden. Ebenso wird damit übersehen, dass in dieser digital vernetzten Welt alles mit allem zusammenhängt. Ein Einsatz für offene Standards – wie es die nationale Digitalstrategie vorsieht – hat nicht nur Auswirkungen auf der globalen Ebene, sondern auch ganz praktische bei der Digitalisierung der Verwaltung in den deutschen Kommunen. ­

Das Internet ist und bleibt ein Versprechen von Freiheit. Doch Freiheit gelingt nicht ohne Verantwortung. Es ist die Verantwortung liberaler Demokratien, sich im globalen digitalen Raum zu engagieren und eine Antwort auf den Systemwettbewerb zu liefern.

Dieser Essay erschien zu erst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Mit dem Essay erschien außerdem mein Policy Paper „Digitalpolitik im globalen Systemwettbewerb. Herausforderungen für liberale Demokratien“.

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Internet Governance – Grundlage unserer Demokratien im digitalen Zeitalter

Bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben meine Kolleg:innen und ich ein Impulspapier unter dem Titel „Allianzen für Demokratie – Liberale Ansätze für den neuen Systemwettbewerb“ herausgebracht. Bereichert wurde das Papier mit Beiträgen von Johannes Vogel MdB, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Michael Link MdB dem Koordinator der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, sowie dem Demokratieexperten Dr. Christopher Gohl.

Mein Beitrag handelt über die Bedeutung der Internet Governance als Grundlage von Demokratien im digitalen Zeitalter. Ich argumentiere hier, dass dieses Thema leider zu häufig vergessen wird, bzw. keine Attraktivität hat, um die Stimmen von Wähler:innen für sich zu gewinnen. Dabei wird durch die digitale Infrastruktur im weitesten Sinne (also inkl. Regulierung) das Fundament für unsere Zukunft gelegt; die Straßen und Regeln für unser Zusammenleben auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg. Daher ist es umso wichtiger, dass hier demokratische und menschenrechtliche Werte verankert werden, denn nur so können wir auch in Zukunft auf Basis dieser und damit in Freiheit leben.

Die Publikation kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

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ICANN lehnt Antrag der Ukraine auf Sperrung russischer Internet-Domains ab

Forderungen nach dem Abschalten des Internets oder einzelner Plattformen klingen regelmäßig verlockend. Doch ebenso regelmäßig muss ihnen dringend Einhalt geboten werden. Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) hat mit der Zurückweisung des Wunsches nach dem Ausschluss Russlands aus dem Internet richtig reagiert. Die Internet Governance muss liberale Demokratien künftig stärker interessieren.

Russland muss aus dem Internet ausgeschlossen werden, damit Propaganda und Desinformation aus Russland Einhalt geboten werden kann. Diese Forderung stellte der ukrainische Minister für digitale Transformation und stellvertretender Premierminister, Mykhailo Fedorov, an die ICANN, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers. Eine Forderung, die auf den ersten Blick logisch und nachvollziehbar klingt, schließlich nutzt der Kreml das Internet, um Cyberangriffe zu lancieren und seine Propaganda zu verbreiten. Diese gezielten Maßnahmen der russischen Regierung sind nicht erst seit dem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine bekannt. Doch die Auswirkungen sind seit dem 24. Februar spürbarer. Auf den zweiten Blick wäre es dennoch falsch, der Forderung des ukrainischen Ministers nachzukommen. Göran Marby, der Präsident der ICANN, hat das Anliegen aus der Ukraine aus nachvollziehbaren Gründen abgelehnt. 

Marby wies in einem Antwortschreiben auf die Neutralität der ICANN hin und beteuerte zugleich, dass sowohl er als auch die ICANN an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer stehen. Neutralität wahren in einem brutalen Angriffskrieg – das klingt zynisch. Doch schaut man genauer hin, verhält sich die ICANN mit ihrer Entscheidung nicht neutral im Sinne einer egalitären Haltung. Vielmehr setzt sie sich mit ihrer Neutralität für ein offenes und freies Internet ein. Nur ein solches kann die Grundlage für ein Internet sein, das Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte achten und gewährleisten kann. Hätte sich die ICANN nicht neutral verhalten, hätte sie den Bestrebungen autoritärer Regime – allen voran China und Russland – Vorschub geboten, eigene, überwachte „Internets“ weiter zu befördern und zu legitimieren. Das darf nicht passieren. Vielmehr müssen liberale Demokratien den geopolitischen Machtkampf im Digitalen stärker im Blick haben. Sie müssen sich endlich deutlich engagierter für die Freiheit des Internets einsetzen.

Die ICANN, die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, vergibt – wie ihr Name schon sagt – Namen und Nummern. Das heißt, sie kümmert sich um das Domainnamen System (DNS) und die IP-Adressen. Das DNS ist quasi das Telefonbuch des Internets und ermöglicht, dass der Mensch sich nur www.freiheit.org merken muss. Das DNS schlüsselt die dahinterliegende IP-Adresse, die „Telefonnummer” auf und leitet die Nutzerin auf die angewählte Webseite. Die ICANN ist auch für die Vergabe der Top-Level-Domains zuständig. Das heißt, die Vergabe der Ländercodes wie .de oder .fr, sowie die Vergabe der generischen Endungen wie .com, .org oder .gov. 

Die ICANN selbst ist eine unabhängige Nicht-Regierungsorganisation mit Sitz in den Vereinigten Staaten und nicht die „Weltregierung” des Internets. Sie ist weder rechtlich noch technisch in der Lage, das Internet einfach abzuschalten. Das liegt an dem dezentralen Aufbau des Internets in technischer Hinsicht, aber auch an der dezentralen Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen. So vergeben gesonderte Organisationen in den einzelnen Staaten – in Deutschland die DENIC – nach den jeweiligen Gesetzen des Staates die Domains zur jeweiligen Länderkennung. So wenig die ICANN also bestimmen kann, wer eine .de-Domain nutzt, so wenig kann sie es bei denjenigen tun, die die russischen – .ru und .su – nutzen. Die ICANN sorgt lediglich dafür, dass eine dafür autorisierte Organisation – wie die DENIC – in einem Staat die Domains betreibt und verwaltet. Es handelt sich dabei um eine Dezentralisierung von Macht, damit die ICANN eben nicht eine etwaige „Weltregierung” des Internets ist. 

Selbstredend ist die Darstellung der Aufgaben der ICANN und der Funktionsweise des Internets hier sehr verkürzt und vereinfacht dargestellt worden. Sie sollte aber ausreichen, um den Antwortbrief des Präsidenten der ICANN besser verstehen und einordnen zu können. Ein Entziehen der .ru bzw. .su Kennungen würde nur dazu führen, dass die Webseiten hinter der Kennung nicht mehr ohne Weiteres aufrufbar wären. Alle Webseiten – auch die mit russischsprachigen Inhalten – die hinter einer generischen Kennung wie beispielsweise .com oder .org hinterlegt sind, hingegen schon. Auch bei deutschen Organisationen ist es üblich, solche Top-Level-Domains (zusätzlich) zu verwenden. Desinformation und Propaganda aus Russland bzw. russischsprachige Desinformation würde somit nicht Einhalt geboten werden. Vielmehr würde es dazu führen, dass Menschen noch früher von Informationsangeboten jeglicher Art abgeschnitten werden. 

In dem Brief weist ICANN-Präsident Marby abschließend darauf hin, dass die ICANN keinen Zugang zum Internet überwacht und auch keine Inhalte kontrolliert. Der Wunsch des ukrainischen Ministers, dass so Nutzerinnen und Nutzer vertrauenswürdige Informationen auf Webseiten anderer Top-Level-Domains, das heißt lediglich internationalen Domains finden würden, kann daher nicht erfüllt werden, da er auf falschen Annahmen beruht. 

Leider offenbart sich hier auch, welche nachhaltige katastrophale Wirkung die Erfüllung des durchaus verständlichen Wunsches aus der Ukraine hätte: Damit die russischen Internetnutzerinnen und -nutzer vertrauenswürdige Informationen bekommen können, muss die ICANN neutral bleiben. ICANN-Präsident Marby konstatiert zu Recht, dass jegliche andere Handlungen dazu führen würden, dass das Vertrauen in das Multistakeholder-Modell verloren ginge und damit die Maßnahmen, die für die Aufrechterhaltung des globalen Internets notwendig sind, keinen Rückhalt mehr haben würden. Dramatischer noch: Eine Umsetzung der Forderung des ukrainischen Ministers Fedorovs würde sogar dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielen und ihn in seinen Warnungen bestätigen, dass der Westen Russland aus dem Internet verbannen möchte. 

Dafür muss man einige Jahre zurückblicken: Diese kreierte Bedrohung, der Westen würde Russland aus dem Internet abschneiden wollen, ist schon mehrere Jahre alt. Sie war Grundlage für Putins Pläne, ein eigenes russisches Internet aufzubauen – gemeinhin auch RuNet genannt. Unter dem Vorwand, man müsse sich vor Cyberangriffen des Westens schützen, sorgte der Kreml für eine immense Überwachungsinfrastruktur innerhalb des russischen Staatsgebiets. Menschenrechtsexperten und Netzaktivistinnen warnten nicht erst 2019 lautstark vor diesen Plänen.

Dabei gab es diese Drohung nicht – schon gar nicht die Forderung, Russland oder irgendein anderes Staatsgebiet aus dem Internet auszuschließen (zumal das aufgrund der dezentralen Konstruktion des Internets auch nicht einfach so möglich wäre). Putin nutzte sie als Vorwand, um damit zu begründen, dass fortan jeder Datenverkehr über Knotenpunkte in Russland geleitet werden muss. Erst dieses Vorgehen ermöglicht es, den Datenverkehr zu filtern und zu überwachen. China macht es mit seiner „Great Firewall” vor – ist aber bis heute deutlich erfolgreicher in der Abschirmung und damit Filterung und Überwachung des Datenverkehrs seiner Bürgerinnen und Bürger. 

Zur Kontrolle der Russinnen und Russen gehörte auch die gesetzliche Vorgabe, dass Konzerne die Daten aller Staatsbürger in Russland zu speichern hätten. Konzerne wie Microsoft, zu dem die Business-Netzwerk-Plattform LinkedIn gehört, widersetzten sich der Vorgabe, weswegen LinkedIn bereits seit Jahren in Russland nicht mehr verfügbar ist. Auch die anderen großen Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter hätten dieser Vorgabe folgen müssen, taten es aber nicht. Sie erhielten Ordnungsstrafen, die Zugänge wurden aber auf Basis dieses Gesetzes bisher nicht gesperrt. Aktuell ist der Zugang zu Twitter gedrosselt, so dauert es lange, die Seite zu laden. Facebook ist wie Instagram mittlerweile blockiert. 

Rückblickend muss festgestellt werden, dass die Maßnahmen des Kremls für ein eigenes russisches Internet und die damit einhergehenden Überwachungsmaßnahmen die Weltgemeinschaft hätte mehr interessieren und beunruhigen müssen. Die lang angelegten und umgesetzten Maßnahmen mit ihren heutigen Auswirkungen zeigen insbesondere zwei Dinge, die liberale Demokratien – allen voran Deutschland und die Europäische Union – jetzt deutlich ernster nehmen müssen:

  • Maßnahmen zur Internetzensur und -überwachung müssen konsequent adressiert und geächtet werden. Sie müssen viel stärker in den internationalen Beziehungen adressiert werden – ebenso wie Internetsperren. Deutschland und die Europäische Union müssen ein gutes Vorbild sein. Daher sind Vorschläge wie das Sperren des Messengerdienstes Telegram sowie jegliche gesetzlich vorgegebenen Filter abzulehnen.
  • Deutschland und die Europäische Union müssen sich für eine Stärkung des Multi-Stakeholder-Ansatzes bei der Internet Governance einsetzen und damit auch die Förderung des Internet Governance Forums der UNO bzw. die Verlängerung dessen Mandats, das 2025 ausläuft. Die aktuelle Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass sie sich für ein offenes, globales Internet einsetzen will und zudem die globale Zivilgesellschaft stärken möchte, die sich für digitale Bürgerrechte einsetzt. Diese Vorhaben sollte sie insbesondere ob der aktuellen Ereignisse zügig angehen. 

Die Internet Governance fristet ein Nischendasein, aus dem sie unbedingt heraus muss. Die vernetzte Gesellschaft und das Informationszeitalter erfordern dies dringend. Gerade weil Menschenrechte wie das Recht auf Informationsfreiheit gesichert werden können. Wie dringend notwendig dies ist, sehen wir in der aktuellen Situation. Die ICANN verhielt sich mit ihrem Bekenntnis zur Neutralität daher nicht gleichgültig, sondern manifestierte ihr Bekenntnis zu grundlegenden Prinzipien, die die Grundlage für ein freies und offenes Internet sind. Allein solch ein Internet ist in der Lage, Demokratie und Menschenrechte zu gewährleisten, allen voran das Recht auf Informationsfreiheit. 

Zersplittert das Internet, werden dessen Grundideale – die Freiheit von Information – beerdigt. Die Kontrolle des Internets würde zum Gegenteil führen: zu einer Informationshoheit und damit Zensur. Abspaltungen und Kontrolle über das Internet oder auch nur einzelne Bereiche, wie der Kreml sie noch deutlich stärker anstrebt und China sie bereits hat, um zu eben dieser Informationshoheit zu kommen, führen dazu, dass nicht mehr universelle Werte zur Grundlage des Internets und damit Grundlage für Transport und Bewertung von Informationen gemacht werden, sondern nationale, partikulare Interessen. Diese richten sich, wie wir aktuell und in zahlreichen anderen Beispielen sehen können, nicht zwingend an Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit aus.

Dieser Text wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.

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Die schleichende Gefahr – Zum Umgang mit Desinformationen

Desinformationskampagnen – teilweise aus dem Ausland lanciert – zielen darauf ab, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als solche zu zerrütten. Gerade in Wahlkampfzeiten wird das zum Problem. Ann Cathrin Riedel erklärt, wie der Staat und wir als Gesellschaft dem begegnen können – und wirft dabei auch einen Blick nach Asien.

„Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben” – ist da auf einem Plakat der SED zum XI. Parteitag zu lesen. Hat die CDU etwa ihren Wahlkampfslogan zur Bundestagswahl 2017 ausgerechnet von der SED kopiert? Zumindest suggerierte das ein zusammengeschnittenes Bild beider Plakate, die vor der letzten Bundestagswahl im Internet herumgereicht wurde. Vielleicht haben Sie dieses Bild auch gesehen, vielleicht sogar weitergeleitet. Dabei sind Sie allerdings auf eine Desinformation hereingefallen. Denn das Bild ist manipuliert und nicht echt.

Fake News vs. Desinformation – über unbewusste Fehler und bewusst falscher Information

Desinformationen sind kein neues Phänomen. Sie waren auch 2017 nicht neu. Vielmehr waren Desinformationen und Propaganda schon immer Mittel der politischen Auseinandersetzung. Oder wie Hannah Arendt es in ihrem lesenswerten Essay Die Lüge in der Politik schrieb: „Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik.” Lügen, das ist etwas das man bewusst tut; ebenso wie das in die Welt setzen einer Desinformation. Deswegen sollte auch dieser Begriff dringend dem inflationär gebrauchten, undifferenzierten und zur Diskreditierung der freien Presse verwendeten Begriff Fake News vorgezogen werden. Denn fake beziehungsweise falsch können Informationen oder Nachrichten auch einfach durch Nachlässigkeit oder neuere Erkenntnisse sein. Fehler passieren den Besten. Nur: Fehler werden von Journalistinnen oder Politikern bestenfalls korrigiert. Schließlich gab es hier nie die Intention bewusst falsch zu informieren. Anders ist dies eben bei Desinformationen. Entweder werden Informationen bewusst gefälscht oder sie werden in falsche Zusammenhänge gestellt. Beides zielt darauf ab, Schaden zuzufügen: Sei es, um eine gesellschaftliche Spaltung herbeizuführen oder  einzelne Personen zu degradieren. Wenn wir etwas gegen Desinformationen unternehmen wollen – und das müssen wir! – ist es unerlässlich, dass wir die richtigen Begrifflichkeiten für diese Phänomene verwenden.

Lange vor dem diesjährigen Wahlkampf hätten wir etwas gegen die massenhafte Verbreitung von und Manipulation durch Desinformationen unternehmen müssen. Aber weder war der Druck auf die Unternehmen – vornehmlich soziale Medien und Messengerdienste, auf denen sie verbreitet werden – noch der Druck auf die Politik groß genug. Desinformationen sind nicht nur für Wahlen ein Problem. Sie erschüttern – und genau das ist ihr Sinn und Zweck – das Vertrauen in Institutionen, Parteien, ja die Demokratie als solche; und das schleichend und langfristig.

Verbote und mehr Bildung sind zu kurz gegriffen

Wer aber denkt, man müsse Desinformationen mit Verboten begegnen, der tut der Demokratie ebenfalls keinen Gefallen. Dies würde das Handeln autoritärer Staaten legitimieren, die in gleicher Weise  angeblichen Desinformationen begegnen wollen. So gefährlich Desinformationen auch sind: In der Regel sind sie nicht illegal. Natürlich kann man auch wieder die – sicherlich nicht falsche – Plattitüde von es braucht mehr Bildung aufsagen. Nur ist dies zum einen viel zu kurz gegriffen: Bildungsangebote richten sich zumeist nur an junge Menschen, die noch zur Schule gehen. Jedoch sind gerade Ältere eher empfänglich für Desinformationen, da sie ein gefestigteres Weltbild haben und Desinformationen genau diese häufig ansprechen. Zum anderen fehlen auch grundsätzliche Erkenntnisse in der gesellschaftlichen Debatte, ohne die eine holistische und nachhaltige Lösungsfindung nicht möglich sein wird. Ausgehend von der Annahme, dass Desinformationen nur ein Problem zu Wahlkampfzeiten sind, möchte ich dies im Folgenden anhand von drei Beispielen illustrieren.

Messengerdienste: Vertraute Umgebungen, aber keine vertrauenswürdigen Informationen

Ja, die sozialen Netzwerke sind ein Problem. Diese sozialen Netzwerke, insbesondere Facebook, Twitter und YouTube bemühen sich aber zumindest auf Basis ihrer immer wieder angepassten Gemeinschaftsstandards Desinformationen aus ihren Netzwerken zu verbannen. Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat dazu beigetragen, dass sie die Bekämpfung von Desinformation endlich ernst nehmen. Hier ist bei weitem nichts perfekt. An dieser Stelle näher auf die Problematik der sozialen Netzwerke und deren notwendige Regulierung einzugehen würde jedoch zu weit führen. Ich möchte den Blick vielmehr auf andere, vollkommen unterschätzte Plattformen richten, die zur Verbreitung von Desinformation immer stärker genutzt werden: Messengerdienste wie WhatsApp und Telegram.

Das anfangs genannte Beispiel des manipulierten SED-Plakats haben vielleicht auch Sie von Freunden weitergeleitet bekommen oder in einer Gruppe mit Sport- oder Parteifreunden gesehen. Vielleicht haben Sie es daraufhin sogar selber weitergeleitet, weil es Sie aufgewühlt hat oder Sie es witzig fanden. Auf Messengern funktioniert die Weiterleitung nicht nur schnell und problemlos – wir kommunizieren dort auch hauptsächlich mit Menschen, die wir persönlich kennen. Oder denen wir zumindest vertrauen – schließlich sind sie beispielsweise in der gleichen Ortsgruppe der eigenen Partei. Das heißt, wir bekommen dort meist nicht von Fremden Inhalte zugespielt, bei denen wir vielleicht eher noch hinterfragen, ob der Inhalt wirklich echt ist. Wir setzen vielmehr unterbewusst voraus, dass die Person, den Inhalt, den sie weitergeleitetet, sicher geprüft oder mindestens aus einer vertrauenswürdigen Quelle erhalten hat. Da Messenger also eine Plattform sind, auf denen man mit vertrauten Personen umgeht, ist der Einfluss dort geteilter Inhalte umso größer. Daher ist es gerade in Messengern – und vor allem in Gruppen – umso wichtiger, dass Widerspruch eingelegt wird. Auch hier wird häufig gezögert aufgrund der sozialen Verbindungen, gegebenenfalls auch Hierarchien. Doch genau hier setzt Ihre Verantwortung als Demokrat ein: Weisen Sie darauf hin, wenn krude Inhalte geteilt werden. Widerspruch kann man freundlich und wertschätzend einlegen – er ist notwendig!

Frauen im Visier von bewusst falschen Informationen

Nicht so intim und vertraut sind Gruppen oder Kanäle, wie wir sie auf Telegram finden. Der Messenger ist besonders durch die „Querdenken“-Bewegung bekannt geworden. Gerade dort werden zunehmend volksverhetzende und andere strafbare Inhalte geteilt. Denken Sie bitte daran, dass Sie solche Inhalte anzeigen können und sollten. Nutzen Sie dazu auch die Unterstützung der Organisation HateAid.

Mit Desinformationen, die auch häufig strafbar sind, weil sie den Ruf einer Person schädigen, hat vor allem eine gesellschaftliche Gruppe zu kämpfen: Frauen. Dass es bei digitaler Gewalt und Desinformationen, die Personen betreffen, einen Unterschied macht, welches Geschlecht man hat, ist eindeutig. Nicht nur Aktivistinnen und Journalistinnen werden hier Opfer, sondern auch Politikerinnen. Studien zeigen dies: von der Kommunalpolitikerin, die sich aufgrund der zunehmenden Angriffe nicht mehr engagieren und äußern kann (!) bis hin zur Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Man muss wahrlich kein Fan von den Grünen oder der Kanzlerkandidatin selbst sein, um hier für einen fairen Umgang miteinander und einen fairen Wahlkampf einzutreten. Wenn man dies nämlich nicht tut, haben die Absender der Desinformation gewonnen. Sie führen die Spaltung der Gesellschaft herbei; einer Gesellschaft, die nicht mehr bereit ist, für demokratische Grundüberzeugungen einzutreten und auf dem Demokratie-Spielfeld zu bleiben.

„Frau Baerbock stellt sich aber auch an, eine Kanzlerkandidatin muss so etwas aushalten können”, hört man regelmäßig landauf, landab. Und selbstverständlich: Wer für das zweithöchste Amt dieses Landes antritt, muss einiges aushalten, doch auch das hat Grenzen. Eben, wenn es sich um Desinformation handelt. Vieles bekommen die meisten Menschen nicht mit, weil es sich in Netzwerken verbreitet, die von außen nicht einsehbar sind – ich erwähnte nicht umsonst zuerst die Messengerdienste. Doch nur weil die meisten es nicht mitbekommen, heißt es nicht, dass solche geschlechtsbezogenen Desinformationen nicht existieren und Schaden anrichten.

Dass manipulierte Nacktfotos von Olaf Scholz oder Armin Laschet aufgetaucht sind, davon haben Sie sicher noch nie gehört. Sie existieren auch nicht. Wohl aber von Annalena Baerbock. Ebenso hat eine Untersuchung des Spiegels gezeigt, dass Annalena Baerbock im Gegensatz zu ihren beiden männlichen Kontrahenten im Netz deutlich stärker mit Hass überschüttet wird. Unter den ausgewerteten Beiträgen von Inhalten auf Facebook entfallen 63.000 auf die Kandidatin der Grünen, 21.000 auf Armin Laschet und gerade mal 4.000 auf Olaf Scholz. Hass gegen Frauen ist dabei kein Problem, dass nur Frauen des linken Spektrums erfahren. Politikerinnen der Unionsparteien sind davon ebenso heftig und regelmäßig betroffen. Staatsministerin Dorothee Bär und das CDU-Bundesvorstandsmitglied Wiebke Winter sprechen regelmäßig öffentlich über das, was ihnen widerfährt. Dabei ist auch ganz klar zu benennen: Die Täter kommen hauptsächlich von rechts.

Emotionale Erregung als Zündstoff für Verbreitung

Warum verbreiten sich diese Desinformationen so gut – vor allem über Messengerdienste? Weil sie, wie schon erwähnt, gefestigte Weltbilder adressieren und unsere Emotionen ansprechen. Warum haben Sie, falls Sie es getan haben, den CDU-SED-Wahlplakat-Vergleich weitergeleitet? Entsetzen? Verwunderung? Wut? Häme? Dass Sie sich von Emotionen haben verleiteten lassen, soll gar kein Vorwurf sein. Vielmehr ist es ein mehr als natürliches und menschliches Verhalten. Nur müssen wir vielmehr auf unsere Emotionen achten, wenn wir Inhalte zugesendet bekommen. Vor allem bei überwältigenden Emotionen müssen wir noch einmal extra überlegen, ob so etwas denn wirklich sein kann, bevor wir Inhalte weiterleiten.

Doch wer starke Emotionen fühlt, dem ist schwer mit Fakten zu begegnen. Oder haben Sie schon einmal versucht, einem Freund mit Liebeskummer mit Fakten beizukommen? Emotionen brauchen eine Antwort, die die angesprochenen Emotionen ernst nimmt und diese berücksichtigt. Wenn wir also regelmäßig nach mehr Bildung und weiteren Faktenchecks verlangen, dann ist dies nur eine ungenügende Antwort auf Desinformation gleichermaßen. Zugleich ist beides nicht verkehrt. Gerade Faktenchecks können Menschen ein argumentatives Rüstzeug geben, wenn sie sich am Abendbrottisch oder in der Familien-WhatsApp-Gruppe mit Menschen auseinandersetzen müssen, die Desinformationen anheimgefallen sind.

Doch wie sieht eine Antwort aus, die die Emotionen adressiert, die durch Desinformationen angesprochen wurden? Ich sage es ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich sagte am Anfang, dass wir dringend bestimmte Erkenntnisse zugrunde legen müssen, um darauf aufbauend, eine gute und produktive Debatte zum Umgang und zur Bekämpfung von Desinformation führen zu können. Dies ist eine davon – nebst den zwei weiteren von mir genannten. Natürlich snd auch diese drei nicht abschließend. Aber wir müssen unsere Debatte und unsere Forschung besser machen, beziehungsweise ausstatten, um mit einem Problem, das größer und dauerhafter werden wird, umzugehen.

Auch hilft ein Blick ins Ausland: Taiwan hat sehr mit Desinformationen aus China zu kämpfen. In den einzelnen Ministerien sitzen daher Comedians, um humoristische Inhalte zum Kontern zu entwickeln. „Wer lacht, hat keine Angst”, pflegt die taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang zu sagen. Für Humor sind wir Deutschen zwar nicht unbedingt bekannt, und auch wenn Demokratie sicherlich kein Witz ist: Wir sollten Desinformationen ernst genug nehmen, um unsere Demokratie auch durch guten Humor zu schützen.

Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik. Als Themenmanagerin bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beschäftigt sie sich auf globaler Ebene mit den Themen Digitalisierung und Innovation. Sie wurde vom Capital Magazin als Top 40 unter 40 in der Kategorie „Wissenschaft und Gesellschaft“ ausgezeichnet. Für die Bundestagswahl 2021 tritt sie für die Freien Demokraten in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg an.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei CIVIS mit Sonde, Ausgabe 2/2021

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G7-Konferenz der Außenminister –Desinformationen endlich ernst nehmen

Internationale Desinformationskampagnen stehen ganz oben auf dem Themen-Tableau der Außen- und Entwicklungsminister, die heute in London zum Treffen der G7-Staaten zusammenkommen. Im Fokus stehen russische Propaganda und Desinformationen, die unter anderem durch sogenannte Troll-Fabriken wie die Internet Research Agency in St. Petersburg, verbreitet werden. Diese hatte nicht nur versucht, Einfluss auf die US-Wahl 2016 zu nehmen – auch auf europäische Wahlen und gesellschaftliche Diskussionen zielen russische Kampagnen ab. Vorrangiges Ziel hierbei: Deutschland. Das ergab jüngst eine Studie des „EU vs Disinformation Projekts“ des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt, wie Russlands Informationspolitik versucht, die Meinung in Deutschland zu beeinflussen.

Es ist überfällig, dass das Thema Desinformationen in der Runde der G7-Staaten diskutiert wird. Zwar waren Desinformationskampagnen bereits beim Gipfeltreffen 2018 Thema als die Einrichtung eines sogenannten Rapid Response Mechanismuses beschlossen wurde. Doch bei den aktuellen Ankündigungen fällt den Außenministerinnen und -ministern nicht mehr ein, als dass gemeinsame Antworten auf Desinformationen gesucht und kommuniziert werden müssten. Man solle gemeinsam mit „Wahrheit” und „Widerlegung” reagieren, so der britische Außenminister Dominic Raab. Doch das greift zu kurz.

Der Kampf gegen Desinformationen benötigt internationale Zusammenarbeit, insbesondere zwischen demokratischen Staaten. Dass das Thema stärker in der Außenpolitik und in den diplomatischen Beziehungen adressiert werden muss, ist eine der zehn Forderungen gegen Desinformation, die die Friedrich-Naumann-Stiftung jüngst veröffentlicht hat. Diese Forderungen betrachten Maßnahmen gegen Desinformation holistisch. Es genügt bei Weitem nicht, lediglich Forderungen an Social-Media-Plattformen zu stellen, über die gezielte Desinformationen verbreitet werden oder Gesetze gegen “Fake News” zu fordern. Letzteres ist strikt abzulehnen, wird aber immer wieder gefordert – auch aus dem Kreise der G7.

Desinformationen werden nicht nur gegen andere Länder eingesetzt. Gerade autoritäre Regime und populistische Präsidenten verwenden sie auch gegen die eigene Bevölkerung. Neben der Wählerbeeinflussung hat insbesondere die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Desinformationen über Gefahren und Auswirkung des Virus die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen können. Durch die vernetzte Weltgemeinschaft haben Desinformationen zudem Einfluss auf Menschen, die in der Diaspora leben. Gesundheitliche Desinformationen, die zum Beispiel in Indien massiv über Messenger verbreitet werden, haben so auch Einfluss auf die indischstämmige Bevölkerung unter anderem in Großbritannien und den USA.

Die Idee, mit “Wahrheit” auf Desinformationen zu reagieren, verkennt, dass Desinformationen vor allem auf die Emotionen und nicht die Ratio der Menschen abzielen. Die meistens über (audio-)visuelle Medien verbreiteten Desinformationen – wie Videos, Bilder, Grafiken oder Memes – lassen Menschen vor allem Wut, Trauer oder Freude empfinden. Emotionen lassen sich eher selten mit „Faktenchecks” begegnen. Hier braucht es andere Gegenstrategien. Taiwan und Südkorea begegnen Desinformationen beispielsweise mit Humor.

Desinformationskampagnen, Propaganda und Cyberangriffe sind längst Alltag geworden. Sie treten nicht nur während Wahlen auf, sondern kontinuierlich. Sie sind darauf ausgelegt, langsam und schleichend Gesellschaften zu destabilisieren, das Image von Staaten zu ändern (insbesondere im Falle Chinas) und sogar militärische Operationen vorzubereiten, wie im Vorfeld der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Gesellschaften müssen durch geeignete Bildungsmaßnahmen über der Existenz von Desinformationskampagnen informiert werden – hier ist Finnland ein gutes Vorbild. Medienkompetenz ist dafür unerlässlich. Es braucht dahingehend Bildungsangebote für jedes Alter. Aber auch Journalistinnen und Journalisten brauchen ein besseres Verständnis für den Umgang mit Desinformationen. Denn häufig verhelfen klassische Medien durch ihre Berichterstattung Desinformationen zu größerer Reichweite. Vor allem aber kann die Wiederholung der Botschaften – auch in einer Kontextualisierung – dafür sorgen, dass bei den Lesenden Zweifel gesät werden. Eine Untersuchung des Tübinger Leibniz-Instituts zeigte Ähnliches für Verschwörungserzählungen: Schon die Konfrontation mit diesen zöge negative gesellschaftliche Auswirkungen nach sich. Es muss also genau abgewogen werden, über was wie zu berichten ist. Vor allem aber brauchen Journalistinnen und Journalisten Schutz vor denjenigen, die sie – regelmäßig angestachelt durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen – und damit die Pressefreiheit angreifen.

Dass das Thema auf der G7-Konferenz adressiert wird, ist äußerst wichtig. Die Maßnahmen, die gegen Desinformationen ergriffen werden, müssen umfassend sein. Illiberalen Forderungen wie einem Verbot von Desinformationen muss widerstanden werden. Es gibt keine einfache Lösung. Doch gerade weil das demokratische Fundament – nicht nur der G7-Staaten – von Staaten wie Russland und China durch Desinformationskampagnen angegriffen wird, braucht es eine gemeinschaftliche, umfassende und nachhaltige Antwort. Es braucht Lösungen, auf die sich demokratische Staaten einigen und die anschlussfähig für andere Staaten sind. Die Zeit drängt.

Dieser Text erschien zuerst auf freiheit.org.

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Forderungskatalog: Was tun gegen Desinformation?

Im Rahmen meiner Tätigkeit für die Friedrich-Naumann-Stiftung habe ich für diese einen Katalog mit zehn Forderungen gegen Desinformationen veröffentlicht. Dieser ist sowohl Abschluss der Stiftungsarbeit zum Jahresthema 2020 „Desinformation und Medienfreiheit“, als auch Grundlage für die weiterführende Arbeit der Stiftung im In- und Ausland zu diesem Thema.

Der Forderungskatalog kann hier abgerufen werden.

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Datenschutz: Den ritualisierten Debatten entkommen

In Deutschland zeigt sich eine immer größere Ambivalenz: “Die Deutschen”, das sind die, die den Datenschutz immer so hoch und gerne über alles stellen, sagt man. Genauso sind “die Deutschen” diejenigen, die spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie genauso davon überzeugt sind, dass der Datenschutz deutlich abgeschwächt werden müsse, damit man die Pandemie effektiv bekämpfen könne.  Und so führen wir sie wieder, die ritualisierten Debatten, bei denen meist nicht mehr gesagt wird, als dass Datenschutz wichtig ist, oder dass er der Faktor ist, der für unseren digitalen Rückstand verantwortlich ist. Wir drehen uns im Kreis und ich möchte behaupten, es ist nicht der Datenschutz, der uns aufhält, sondern diese ritualisierten Debatten.

Vor genau 40 Jahren wurde die Europäische Datenschutzkonvention verabschiedet. Seit 2018 ist die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in der gesamten Europäischen Union anzuwenden. Der heutige Europäische Datenschutztag soll die Europäerinnen und Europäer für den Datenschutz sensibilisieren. Das ist gut und wichtig, denn wir müssen dringend zu dem Punkt kommen, in dem wir alle aufgeklärt über Daten reden können, um diesem Hamsterrad entfliehen zu können. Schließlich müssen wir weiterdenken: wie wollen und können wir Daten nutzen, wie wollen und können wir sie für das Gemeinwohl und Geschäftsmodelle einsetzen und wie können wir eine liberale Datenpolitik zu einem weiteren Exportschlager machen. Die DSGVO ­ manch einer mag es kaum glauben – ist es nämlich schon. Dazu braucht es erstmal nur drei kleine Schritte.

Der erste Schritt, um den ritualisierten Debatten zu entkommen, besteht darin, sich darüber klar zu werden, dass der Datenschutz nicht wirklich Daten schützt. Er schützt vieles – und ja, das ist je nach Betrachtungsweise unterschiedlich und nicht immer eindeutig. Er schützt die Privatsphäre, und damit auch Persönlichkeitsrechte. Der Datenschutz umfasst das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Die DSGVO regelt auch die Datensicherheit – es ist nicht „einfach“. Und doch ist eine Sache recht klar: Der Datenschutz schützt personenbezogene Daten. Er bezieht sich nicht auf Geodaten, Wetterdaten, Verkehrsdaten oder sonstige Maschinendaten. Der erste Schritt ist also: Benennen wir die Daten, die wir meinen. Vielleicht erübrigt sich die Diskussion über den Datenschutz ja direkt.

Schritt zwei und drei sind dann die Folgenden: Sich zu überlegen – und bestenfalls zu benennen! – woher die Daten kommen, welche wir wirklich brauchen und wie sie generiert werden sollen. Und dann, wie sie verarbeitet werden können und wer dies tun kann. Die Frage stellt sich übrigens auch für nicht-personenbezogene Daten. Schließlich liegt es manchmal auch einfach am nicht-Vorhandensein von Geräten, die Daten generieren, oder an Geschäftsideen, um mit den Daten etwas anzufangen. Einen antizipierten Mangel am digitalen Fortschritt am Datenschutz festzumachen, greift viel zu kurz.

In Deutschland – übrigens auch gerade während der Pandemie – stellt sich viel zu häufig die Frage, warum wir Daten gar nicht erst generieren, beziehungsweise so zur Verfügung stellen, dass wir sie auch vielfältig nutzen können. Wir wissen kaum etwas über das Infektionsgeschehen. Nicht wegen des Datenschutzes, sondern weil wir die Daten nicht von Beginn an erfassten. Wir wissen auch so generell viel zu wenig über Bedarfe in unserer Stadt oder der Verwaltung, weil wir zu wenig Daten so aufbereiten, dass wir sie in Dashboards darstellen können und Prognosen zum Beispiel über benötigte Kita- oder Schulplätze für in drei oder sechs Jahren ablesen können. Weil wir zu wenige Daten erfassen, die wenigen in Silos lassen und auch zu wenige austauschen, zum Beispiel zwischen Universitäten – und das auch innerhalb der Europäischen Union -, haben wir erst viel später Erkenntnisse, vielleicht sogar gar keine, und somit viel weniger Möglichkeiten, innovative Geschäftsmodelle aufzubauen, künstliche Intelligenz zu trainieren und zu skalieren. All das geht bei offenen Daten, oder nicht-personenbezogenen Daten ganz ohne den Datenschutz und auch die DSGVO und Innovation sind wunderbar miteinander in Einklang zu bringen, wenn man denn will.

Wir Europäerinnen und Europäer müssen das noch stärker wollen. Datenschutz hat bei uns eine lange Tradition, weil uns Bürger- und Menschenrechte wichtig sind. Weil uns bewusst ist, dass eine freiheitliche Gesellschaft nur auf einem Fundament prosperieren kann, das die Rechte eines jeden Einzelnen schützt. Es ist nicht der Datenschutz, der uns im Weg steht, sondern wir selber. Wir haben Schatztruhen voller Daten – öffnen wir sie! Insbesondere in der Verwaltung und im Mittelstand. Wir haben die klügsten Köpfe – nutzen wir sie! Für innovative, datenschutzfreundliche digitale Produkte. Wir vergessen zu häufig, dass unsere Datenschutzgrundverordnung ein Exportschlager ist. Argentinien, Brasilien, Chile, Japan, Kenia, Südkorea oder Kalifornien sind Staaten, die sich an der DSGVO orientiert haben. Wir Europäerinnen und Europäer können und müssen stolz sein, den politischen Mut zu haben, den weltpolitischen Dynamiken zu trotzen und unseren Bürgerinnen und Bürgern in einer digitalisierten Welt ihre Freiheit und ihre Selbstbestimmung zu garantieren.  Gleichzeitig müssen wir die nächsten Schritte gehen ­ übrigens auch in anderen digitalpolitischen Feldern. Unser erster, nächster Schritt muss zu produktiveren Debatten über Daten und ihren möglichen Einsatz in der Öffentlichkeit führen.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.

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Digitale Transformation: Deutschland und Europa müssen globale Standards setzen

Wer es nicht schon längst wusste, dem ist hoffentlich im Pandemiejahr 2020 bewusst geworden, wie wichtig die digitale Transformation ist. 2021 muss endlich das Jahr sein, in dem wir nicht nur mit großen Schritten bei der Digitalisierung vorankommen, sondern auch Grundlagen für ein Deutschland und Europa legen, das Bürger- und Menschenrechte im Digitalen schützt und globale digitale Standards setzt. Und damit auch ein „level playing field“ für fairen Wettbewerb schafft. Im Jahr 2021 werden aus liberaler Sicht folgende Themen wichtig.

Regeln für Tech-Konzerne

Mit dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act will die Europäische Kommission ein neues Grundgesetz für den digitalen Raum festlegen. Dabei soll es nicht nur um Spielregeln für Plattformen und die Inhalte auf diesen gehen. Auch das Wettbewerbs- und Kartellrecht soll angepasst werden, um der Marktmacht einiger Internetplattformen Herr zu werden. Die Diskussionen um die Rolle von Social-Media-Plattformen bei der Erstürmung des Kapitols in Washington werden den Druck auf eine Umsetzung des Digital Services Acts erhöhen, auch wenn dieser dieses Jahr voraussichtlich noch nicht verabschiedet wird. Es ist notwendig, dass Plattformbetreiber und der Gesetzgeber sich damit beschäftigen, was diese in Bezug auf das Löschen und Sperren von Funktionsträger:innen dürfen oder müssen. Zudem wurde abermals – und vor allem in der westlichen Welt – deutlich, welche analogen Auswirkungen Hass und Hetze, Desinformation und Verschwörungserzählungen, die im Netz verbreitet werden, haben können. Bislang ist keine vehemente Kritik am Vorschlag des Digital Services Acts zu vernehmen. Vielmehr sehen sowohl Akteure der Zivilgesellschaft als auch Unternehmen den ersten Vorschlag als gute Grundlage. Mit der Verabschiedung der Richtlinie ist zwar nicht in diesem Jahr zu rechnen, wichtige Weichenstellungen im Hinblick auf die Inhalte werden aber 2021 erfolgen.

Der Digital Markets Act greift hingegen stärker die aktuellen Geschäftsmodelle der Tech-Konzerne an, die als “Gatekeeper” gelten. So sollen bestimmte Praktiken verboten werden und Daten nicht mehr exklusiv von diesen Anbietern genutzt werden können. Zudem sollen bestimmte Praktiken, die als “unfair” definiert werden, stärker überwacht werden sowie digitale Dienste, wie zum Beispiel Messenger, zur Interoperabilität verpflichtet werden.

Abseits vom Digital Services und Digital Markets Act wird auch das Thema Steuern für Tech-Konzerne weiter diskutiert werden. Dies wird bereits auf OECD-Ebene diskutiert. Hier geht es darum, ein Steuermodell zu finden, bei dem die Körperschaftssteuer künftig nicht mehr nur am Firmensitz oder an Orten mit Betriebsstätte gezahlt wird, sondern zum Teil auch dort, wo Menschen die Produkte kaufen, also in den Marktstaaten. Dabei geht es insbesondere um die Besteuerung von allen multinationalen Konzernen, die mit immateriellen Wirtschaftsgütern Gewinne erzielen. Aus liberaler Sicht ist eine Doppelbesteuerung durch eine Digitalsteuer, die eine Art zweite Umsatzsteuer fungiert, abzulehnen. Ergebnisse zu diesem Thema sollen Mitte des Jahres vorgelegt werden.

Uploadfilter gegen Terror und beim Urheberrecht

Parallel zum Digital Services Act wird die neue Verordnung gegen terroristischen Online-Content (TERREG) verhandelt, die auf deutliche Kritik bei Digitalexpert:innen und Bürgerrechtler:innen stößt. Durch die Verordnung werden sogenannte Uploadfilter, also automatisierte algorithmische Systeme, überprüfen, ob ein Inhalt, der auf eine Plattform hochgeladen werden soll, zu beanstanden ist oder nicht. Die Vorgabe für große Plattformen, innerhalb einer Stunde terroristische Inhalte zu löschen, wird diese de facto dazu zwingen, diese Technologie einzusetzen. Zusätzlich zu der Problematik, dass solche automatisierten Systeme technisch nicht in der Lage sind, Inhalte präzise zu erkennen und einzuordnen, kommt im Falle der TERREG noch hinzu, dass es in der Europäischen Union keine einheitlichen Definitionen für Terror bzw. terroristische Organisationen gibt. Die Problematik wird in Ländern wie Ungarn deutlich, das Umweltaktivist:innen als “Öko-Terrorist:innen” verunglimpft und so die Verordnung dazu missbrauchen könnte, unliebsame Inhalte aus dem Netz verschwinden zu lassen. Ebenfalls werden uns die Uploadfilter aus der EU-Urheberrechtsreform weiter beschäftigen, die bis zum Sommer in nationales Recht umgesetzt werden müssen und in Deutschland zu heftigen Diskussionen zwischen Kreativen und Bürgerrechtler:innen, den einzelnen Ministerien, aber auch in den Regierungsparteien führt. Eine Klage Polens ist vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig. Dort soll entschieden werden, ob Artikel 17 der EU-Urheberrechtsreform, der dazu führt, dass Webseitenbetreiber Upload-Filter einsetzen müssten, eine illegale „allgemeine Überwachungspflicht“ darstellt. Eine erste Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft des Europäischen Gerichtshofs ist für den 22. April 2021 vorgesehen.

Künstliche Intelligenz und biometrische Überwachung

Zum Thema künstliche Intelligenz wurde vergangenes Jahr von der Europäischen Kommission ein Weißbuch veröffentlicht, das sich mit den „technologischen, ethischen, rechtlichen und sozioökonomischen Aspekten“ von künstlicher Intelligenz beschäftigt. Aus diesem sollen Folgemaßnahmen entwickelt werden. Die Entwicklung von Standards für künstliche Intelligenz ist wichtig, damit Europa eine ethische und rechtliche Grundlage für die Entwicklung und den Einsatz dieser Technologie bieten kann. Eine solche Regelung wäre nicht nur für Europäer:innen wichtig, sondern könnte auch weltweite Signalwirkung entfalten, um der Verbreitung chinesischer Überwachungstechnologien ein Gegengewicht bieten zu können. Dass dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zum Beispiel bei Gesichtserkennungssoftware Grenzen aufgezeigt werden müssen, zeigen US-Städte wie San Francisco, die den Einsatz dieser Technologie im öffentlichen Raum bereits untersagt haben. Konzerne wie Amazon wollen entsprechende Software zukünftig nicht mehr Polizeibehörden verfügbar machen und IBM will die Erforschung dieser Technologie einstellen.

Cybersicherheit und Verschlüsselung

Hackerangriffe auf die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), Tech-Unternehmen, Verlage und Krankenhäuser haben im vergangenen Jahr massiv zugenommen. Sie führen uns nicht nur vor Augen, wie vulnerabel unsere Unternehmen und Infrastruktur mittlerweile sind, sondern auch, dass an der IT-Sicherheit Menschenleben hängen. Ein Hacker-Angriff auf das Universitätsklinikum Düsseldorf hatte den Tod einer Patientin zur Folge. Die IT-Sicherheit muss durch politische Vorgaben gestärkt werden. Das Vorhaben der Innenminister:innen der EU-Mitgliedsstaaten, Hintertüren in die Verschlüsselung von Messengerdiensten einführen zu wollen, bedarf daher einer äußerst kritischen Begleitung. Schließlich geht es hier nicht nur um die Privatsphäre eines jeden, sondern auch um den Schutz der Pressefreiheit. Zudem sind Unternehmen gefährdet, denn Sicherheitslücken machen Angriffe auf die Unternehmens-IT wahrscheinlicher. Mit ihnen gehen teils enorme wirtschaftliche Schäden einher. Die EU-Kommission verwehrt sich zwar diesem Vorhaben, doch werden uns Forderungen nach Hintertüren in Verschlüsselungen auch dieses Jahr begleiten. 2021 muss das Jahr werden, in dem die Politik klarstellt, dass nur eine Verschlüsselung ohne Hintertüren Sicherheit bietet und Bürgerinnen und Bürgern ein Recht auf Verschlüsselung haben sollten. 

Digitale Identitäten

Digitale Identitäten werden eines der wichtigsten und prägendsten Themen des Jahres. Neben der Überarbeitung der europäischen eIDAS-Verordnung, die die Standards der digitalen Identitäten regelt, möchte die Europäische Kommission auch eine Europäische-ID (EU-ID) einführen, die parallel zu nationalen eID-Systemen ausgerollt werden soll. Die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag der Kommission ab. Stattdessen werden Standards für ein Identitätsökosystem gefordert, also ein Wettbewerb der ID-Angebote. Durch die Errichtung eines Identitäten-Ökosystems, in das bestehende Lösungen integriert werden können, soll die Möglichkeit geschaffen werden, die bestmögliche Lösung zu finden. Wie der Vorschlag Deutschlands aufgenommen wird, wird sich im Laufe des Jahres zeigen. Er könnte insbesondere für diejenigen Mitgliedsstaaten attraktiv sein, die bereits eigene Lösungen für eIDs haben, da sich diese in das Ökosystem integrieren lassen. In Deutschland erwarten wir den digitalen Personalausweis auf dem Smartphone. Durch ihn sollen zum Beispiel Behördendienstleistungen einfacher digital in Anspruch genommen werden können. Aber auch das digitale Ausweisen bei der Eröffnung eines Bankkontos kann so leichter möglich sein.

Digitale Bildung und der Digital Divide

Versäumnisse im Bildungswesen werden auch 2021 nicht aufgeholt werden können, nur die Brisanz des Themas Digitalisierung des Bildungswesens wird noch größer. Hier werden wir erkennen müssen, dass in der Not geborene Maßnahmen zur Bereitstellung digitaler Lernräume und Plattformen nicht ausreichen. Zudem wird deutlicher werden, wie dringend sich die Ausbildung für Lehrkräfte anpassen und Themen wie Didaktik im Digitalen behandeln muss. Themen wie Lehr- und Lernkonzepte im Digitalen werden uns begleiten und der Druck auf Bildungs- und Kultusminister:innen wird steigen, hier notwendige Mittel und Lösungen bereitzustellen. Auch das Thema Hardware in der Schule wird 2021 diskutiert werden. Denn bereitgestellte Hardware für Lehrkräfte und Schüler:innen will administriert und gewartet werden. Dafür braucht es zusätzliches Personal an den Schulen. Der Mangel an IT-Fachkräften wird auch hier zum Problem werden. Die Ad hoc-Lösungen im Bildungswesen während der Pandemie werden nachhaltigen und langfristigen Ersatz benötigen, um ein zeitgemäßes Lehren und Lernen gewährleisten zu können. Und auch der sogenannte Digital Divide wird uns umtreiben. Wenn Schüler:innen kein Endgerät von der Schule bereitgestellt werden kann, sind sie darauf angewiesen, dass die Familie sich genügend Endgeräte leisten kann, damit die Kinder Home Schooling machen können oder auch nach der Pandemie mit mobilen Geräten zu Hause arbeiten können. Das Recht auf Bildung darf insbesondere beim Home Schooling in der Pandemie weder durch fehlende digitale Lernplattformen noch durch fehlende Endgeräte verwehrt werden.

(Re:start21:) Krise als Chance: Zusammenschluss demokratischer Staaten

Das Pandemiejahr 2020 und die ersten Tage in 2021 haben uns erneut aufgezeigt, wie drängend das Thema Digitalisierung ist und dass Digitalpolitik längst kein Nischenthema mehr ist. Die Entwicklungen verdeutlichen zudem, wie wichtig es ist, dass demokratische Staaten diejenigen sein müssen, die Standards und Regulierung für den digitalen Raum festlegen. Dies darf weder Konzernen und damit der normativen Kraft des Faktischen überlassen werden, noch autoritären Staaten. Die beginnende Präsidentschaft Joe Bidens und die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Pandemie sollten daher der Aufruf für die größten demokratischen Staaten sein, sich zusammenzutun. Ähnlich wie das Bündnis der G7-Staaten müssen sie gemeinsam Lösungen für die digitalen Herausforderungen finden. Dazu gehören nicht nur die oben genannten – die keine abschließende Liste darstellen -, sondern auch Fragen des Umgangs mit Meinungsfreiheit und dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Wirtschaftsräumen, insbesondere seitdem das Privacy Shield zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union für ungültig erklärt wurde. Solch ein Zusammenschluss würde nicht nur die transatlantischen Beziehungen wieder auffrischen, sondern auch Chancen für eine lebenswerte, digital-nachhaltige Welt bieten, die auf offene Märkte und Multilateralismus setzt.

Dieser Text wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.
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Angriff auf das Kapitol: Eine Folge von Radikalisierung im Netz

Der gestrige Angriff auf das US-amerikanische Kapitol kann rückblickend nicht überraschen. Donald Trump hat seine Anhänger:innen mehrmals dazu aufgerufen, sich „bereitzumachen”. In den sozialen Medien wurde seit Tagen der 6. Januar 2021 genannt, um Gewalt auszuüben, falls der Kongress nicht die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl von 2020 revidiere.

Auf Plattformen wie Parler, einem Twitter-Ersatz für viele Rechtsextremist:innen, dem Messenger Telegram und dem Online-Forum ‘TheDonald’ wurden seit Tagen Pläne geschmiedet, das Kapitol zu stürmen. Doch es sind nicht nur diese Nischennetzwerke, in denen öffentlich die Pläne geschmiedet werden, die gestern in die Tat umgesetzt wurden. Dies findet auch auf Twitter, TikTok und Facebook statt. Auf der letztgenannten Plattform in zahlreichen Gruppen mit tausenden von Mitgliedern, die – angestachelt von Donald Trump – die Wahl anzweifeln, Desinformationen und Verschwörungserzählungen verbreiten und eben auch zu Gewalt aufrufen.

Wie gefährlich es ist, dass diese Gruppen, Seiten und Accounts von Plattformen wie Facebook, TikTok, Twitter und Co nicht gelöscht werden, zeigt sich nun. Aber auch, wie drastisch die Auswirkungen sind, wenn ein Präsident kontinuierlich selber Desinformationen verbreitet und die freie Presse diffamiert. Zahlreiche Journalist:innen wurden gestern angegriffen, darunter auch deutsche Fernsehteams. Das Team der ARD musste die Live-Berichterstattung während der Tagesthemen abbrechen, die Ausrüstung mehrerer Fernsehteams wurde zerstört.

Diese Gewalt kommt nicht überraschend. Und sie kommt nicht aus dunklen Ecken des Internets, in die niemand Einsicht hat. Die Pläne werden nicht in verschlüsselten Messenger geschmiedet und die Aufrufe zur Gewalt nicht im ‘Dark Web’ verbreitet. Diverse Forscher und Expertinnen warnen seit langer Zeit vor der Radikalisierung im Netz, beobachten diese Seiten, weisen auf diese Foren und Plattformen hin und drängen darauf, dass Facebook und Co endlich aktiv werden müssen. Doch auch die Sicherheitsbehörden müssen endlich diese Ecken des Internets im Blick haben. Es darf nicht sein, dass wie im Falle des antisemitischen Terroranschlags von Halle, Beamt:innen des Bundeskriminalamts vor Gericht aussagen, dass sie weder die Plattformen, noch die Sprachcodes von Terroristen kennen, geschweige denn verstehen. Es braucht mehr Fortbildung und eine deutlich stärkere Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Denn Plattformen wie ‘TheDonald’ werden sich sicher nicht an deutsche Gesetze halten. Wir müssen wissen, welche Radikalisierungen stattfinden und welche Pläne dort geschmiedet werden. Denn auch schon beim Angriff auf den Reichstag von Verschwörungsgläubigen, Reichsbürgerinnen und Rechtsextremisten haben wir mitlesen können, wie sie sich zu diesem Angriff verabredet haben. Nur wurde nichts dagegen unternommen.

Gestern hat Twitter mal wieder Warnlabels an ein Video von Donald Trump gesetzt, die davor warnen, dass dieser Inhalt zu Gewalt führen könnte. Das Liken und einfache Retweeten nicht aber das Zitieren, wurden verhindert. Es dauerte Stunden, bis Twitter den Account von Trump sperrte. Bis dahin hatte das Video mehr als 13 Millionen Aufrufe. Facebook hat sich relativ schnell dazu entschlossen, das Video zu löschen. Es dauerte aber auch hier Stunden, bis Facebook bekannt gab, aktiv gegen gewaltverherrlichende Inhalte auf der eigenen Plattform zu suchen.

Der Druck auf die Plattformen ihrer Verantwortung nachzukommen, wird nach den gestrigen Ereignissen zunehmen. Das ist richtig und überfällig. Es sollte uns aber zu denken geben, dass es Bilder aus Washington sind, die zum Umdenken führen. Während Gewalt und Morde, zu denen auf den bekannten Plattformen in Myanmar, in Indien oder in anderen Ländern aufgerufen wurde, zu keiner Reaktion führten.  Wer global agiert, muss auch sicherstellen, dass sein Geschäftsmodell nirgends Schäden verursacht.

Dass sogenanntes Deplatforming ein Aspekt bei der Lösung dieses gewaltigen und umfassenden Problems sein kann, hat jüngst eine Studie des IDZ Jena gezeigt. Die gern aufgestellte Forderung nach mehr Befugnissen, wie zum Beispiel Hintertüren in Messenger, wirkt wie eine Farce. Ist doch all dieser Hass, all diese Aufrufe zu Gewalt frei einsehbar im Netz. Sicherheitsbehörden müssen nur endlich lernen, das Netz zu verstehen.

Dieser Text wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.

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