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Desinformation

Tag: Desinformation

Gastbeitrag: Plädoyer für eine wertebasierte Digitalisierung: Resilienz gegen Hatespeech und Trolle

Soll ein Milliardär wie Elon Musk Twitter alleine besitzen dürfen? Welche Macht hat Facebook über den öffentlichen Diskurs und welche Rolle spielt TikTok in Wahlkämpfen? Wir diskutieren in Politik und Gesellschaft häufig über den Einfluss privatwirtschaftlicher Unternehmen auf den öffentlichen Diskurs und die Demokratie im digitalen Raum. Dabei gerät es oft in den Hintergrund, dass wir als demokratische Staaten die Macht haben, diese Plattformen zu regulieren und uns damit für ein offenes, freies und menschenrechtsbasiertes Internet einzusetzen. 

Wie notwendig eine wertebasierte Digitalisierung ist, zeigen uns vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine sowie die Ereignisse in Belarus und Hongkong. Dort gehören staatliche Desinformationskampagnen, Internet-Shutdowns und Netzsperren sowie digitale Überwachung zu den staatlichen Repressionen, die die Bürgerinnen und Bürger dieser autoritären Regime in ihren eigenen Ländern erfahren. Die Einschränkungen von Bürgerrechten im digitalen Raum haben nicht nur Folgen für die eigene Bevölkerung, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus. Folglich bedarf es eine international koordinierte Digitalpolitik, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das Treffen der G7-Digitalminister:innen in Düsseldorf bietet eine hervorragende Plattform für die Abstimmung im Hinblick auf eine globale digitale Weltordnung.

Spätestens seit der Bundestagswahl 2017 diskutieren wir hierzulande die Gefahr, die von Desinformationen ausgeht. Obgleich wir uns bewusster werden, sind wir uns der Gefahren durch gezielte staatliche Desinformationskampagnen und strategische Informationskampagnen noch immer nicht genügend bewusst – geschweige denn dagegen gewappnet. Dennoch wirken wir als Politik und Zivilgesellschaft beständig daraufhin, dass Social-Media-Plattformen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir fordern, dass sie Maßnahmen gegen solche Kampagnen ergreifen und beispielsweise gezielt Netzwerke, die diese Desinformationen verbreiten, ausschalten oder dafür sorgen, dass ihre Algorithmen Desinformationen nicht weiter verbreiten. Wir sind mit den rechtlichen Vorgaben, zum Beispiel durch den Digital Services Act (DSA), noch ganz am Anfang. Doch der bisherige politische und gesellschaftliche Druck zeigte bereits Wirkung und Besuche der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen in europäischen Parlamenten taten ihr Übriges. 

Als Europäer:innen haben wir das Glück, dass wir aufgrund unserer wirtschaftlichen Relevanz und unseres politischen Gewichts bei diesen Plattformen Gehör finden und entsprechenden Druck ausüben können – nicht nur durch Gesetzgebungen. In Ländern wie Myanmar, Äthiopien oder ganz aktuell den Philippinen, sieht dies leider anders aus. Nicht nur, dass hier seit Jahren Desinformationen, Hate Speech und Trollnetzwerke einen demokratischen Diskurs im Digitalen vollkommen unmöglich machen und dies vor allem autoritären Herrschern und Regimen in die Hände spielt. Schlimmer noch: solche​​ Desinformationen und unkontrollierte Hasssprache schürt und verschärft bestehende Konflikte – bis hin zum Genozid, wie an den Rohingya in Myanmar. All dies passiert auch, weil Plattformen weder auf die dort gesprochenen Sprachen ausreichend trainierte algorithmische Systeme haben, die schädliche Inhalte erkennen und vorsortieren könnten – ein Thema, das auch bei uns in Europa mit unseren vielen kleinen Sprachen von höchster Relevanz ist. Noch beschäftigen sie ausreichend Content-Moderator:innen, die die betreffenden Inhalte entsprechend bewerten und nach den eigenen Community-Richtlinien entfernen könnten. Es sollte in unserem Interesse sein, dass Plattformen nicht nur ihre eigenen Standards weltweit durchsetzen, sondern sich auch für den Schutz von Menschenrechten in ihren Netzwerken einsetzen. Das kann durch legislativen Druck, wie den DSA gehen, der hoffentlich global wirken wird. Das muss aber auch durch gesellschaftlichen Druck passieren. Welche realen Auswirkungen Desinformationen und Hate Speech haben kann, können wir hierzulande nicht nur intensiv seit der Corona-Pandemie sehen. Wir sehen es auch ganz deutlich seit der russischen Besetzung der Krim bis hin zum immer noch andauernden Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine in unserer unmittelbaren Nachbarschaft.  

Russland fördert und verbreitet gezielte Desinformationen und Verunsicherung im Ausland und damit auch bei uns. Eine der größten Fehden im Informationskrieg wird allerdings gegen die eigene Bevölkerung geführt: nebst der Staatspropaganda aus der Duma soll die russische Bevölkerung möglichst keine faktenbasierten Informationen bekommen. Das Putin-Regime zensiert nicht nur die freie Presse, sondern auch ganz das Internet. Facebook und Instagram sind verboten, Twitter ist gesperrt, der Kurzvideodienst TikTok ist in Russland auf dem Vor-Kriegsstand eingefroren. Das russische Regime bereitet schon seit Jahren weitreichendere Maßnahmen vor:  Der Kreml versucht ein eigenes russisches Internet zu kreieren und das Land vom weltweiten offenen und freien Internet abzukapseln. Das gelingt Russland nicht so durchgreifend wie China, das mit seiner Great Firewall die eigene Bevölkerung seit Jahren erfolgreich vom Rest der Welt abschirmt und jegliche Kommunikation, insbesondere Kritik an der Kommunistischen Partei, zensiert. Kritiker:innen werden in Windeseile identifiziert, aufgespürt – und verschwinden. 

Beide Staaten treiben die Zersplitterung des Internets, das sogenannte “Splinternet” intensiv voran. Doch die staatliche Kontrolle des Internets und der digitalen Inhalte ist kein Alleinstellungsmerkmal von autoritären Regimen, die damit das Ziel verfolgen, ihre Bevölkerung komplett zu überwachen. Zu häufig lassen sich demokratische Staaten – auch die Europäische Union – dazu verleiten, Überwachungstechnologien zur Durchsetzung vermeintlich edler Motive zu adaptieren. Nicht umsonst wurden Digitalgesetze auch aus Europa vom früheren UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, scharf kritisiert, was hierzulande allerdings nur auf wenig Gehör stieß. Wenn unser Interesse eine wertebasierte Digitalisierung ist, müssen wir solche Kritik künftig ernster nehmen, um ein Vorbild sein zu können. Denn auch liberale Demokratien sind nicht davor gefeit, Freiheits- und Menschenrechte stückchenweise, und häufig unbemerkt, zu beschränken.

Die Bundesregierung hat sich in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie sich für eine aktive digitale Außenpolitik und ein offenes, globales Internet einsetzen will. Damit zeigt die Ampelkoalition, dass sie erkannt hat, dass wir nicht nur Interessen im digitalen Raum haben, sondern diese auch aktiv vertreten werden müssen. Das G7-Digitalminister:innentreffen in Düsseldorf unter der deutschen Präsidentschaft kann nur ein Auftakt sein, um hier als Politik und Gesellschaft entschlossener und strategischer vorzugehen. Der Krieg gegen die Ukraine und die Abstimmungen bei den UN zeigen deutlich, dass Abhängigkeiten gegenüber autoritären Regimen etwas entgegengesetzt werden muss – auch im Digitalen. Das Engagement der G7 oder jener demokratischen Staaten, die jüngst die Erklärung für die Freiheit des Internets unterschrieben haben, ist dafür unerlässlich. Doch schlussendlich braucht es eine Allianz gegen den “digitalen Autoritarismus”, die die Länder des Globalen Südens einschließt und deren Interessen berücksichtigt. Daher ist es sinnvoll – bei aller notwendigen Kritik an der Modi-Regierung – dass Bundeskanzler Olaf Scholz gerade Indien zum G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau eingeladen hat. 

Das Treffen der Digitalminister:innen der G7 muss deutlich machen, dass wir die Gefahr des “digitalen Autoritarismus” ernst nehmen und wir erkennen, dass es nicht nur unser Interesse, sondern auch unsere Verantwortung ist, in Zusammenarbeit mit Partnern des Globalen Südens einen vertrauenswürdigen, sicheren und gleichzeitig offenen und freien digitalen Raum zu kreieren, von dem alle wirtschaftlich und gesellschaftlich profitieren können. Daher ist es richtig, dass im Digital Track der G7 ein Fokus auf die Konnektivität und den fairen Wettbewerb gelegt wird, der Cyber-Kapazitätsaufbau vorangetrieben und Ungleichheiten wie dem “digital divide” entgegengewirkt werden soll. Damit einhergehend ist wichtig, dass der sichere grenzüberschreitende Austausch von Daten gerade mit den Ländern des Globalen Südens möglich gemacht wird. Der Stärkung eines verantwortlichen Verhaltens von Staaten im Cyberraum kommt dieser Tage nochmals eine besondere Bedeutung zu. 

Eine Zeitenwende verlangt, dass Deutschland eine neue Rolle in der Welt einnimmt. Dass wir stärker global Verantwortung übernehmen und uns sowohl dieser, als auch unserer eigenen Interessen bewusst sind. Wir mögen noch eine Weile über uns selber spotten, dass das Internet für uns “Neuland” wäre. Aber das ist es schon längst nicht mehr. Deutschland und die Europäische Union gelten als Vorreiter bei der digitalen Gesetzgebung – die Europäische Datenschutzgrundverordnung baute auf dem deutschen Bundesdatenschutzgesetz auf, der DSA lernte vom deutschen NetzDG (und wiederholt nicht dessen Fehler) und vom Medienstaatsvertrag. Wir müssen im Interesse aller dazu einladen, gemeinsam für einen besseren – das heißt freien, offenen, demokratischen und menschenrechtsbasierten – digitalen Raum einzutreten. Frei von Überwachung und Zensur. Denn all das ist die Grundlage für Demokratien heute und morgen. Dass die Menschen weltweit danach verlangen und streben, sehen wir an den bewundernswerten Menschen in Hongkong, Belarus und der Ukraine. Demokratie ist uns nicht gegeben, sie ist uns aufgegeben. 

Tobias B. Bacherle MdB ist Obmann für Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss für Digitales.

Armand Zorn MdB ist Mitglied für die SPD im Ausschuss für Digitales.

Ann Cathrin Riedel ist FDP-Mitglied und Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik. 

Dieser Gastbeitrag erschien zuerst bei watson.

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Die schleichende Gefahr – Zum Umgang mit Desinformationen

Desinformationskampagnen – teilweise aus dem Ausland lanciert – zielen darauf ab, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als solche zu zerrütten. Gerade in Wahlkampfzeiten wird das zum Problem. Ann Cathrin Riedel erklärt, wie der Staat und wir als Gesellschaft dem begegnen können – und wirft dabei auch einen Blick nach Asien.

„Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben” – ist da auf einem Plakat der SED zum XI. Parteitag zu lesen. Hat die CDU etwa ihren Wahlkampfslogan zur Bundestagswahl 2017 ausgerechnet von der SED kopiert? Zumindest suggerierte das ein zusammengeschnittenes Bild beider Plakate, die vor der letzten Bundestagswahl im Internet herumgereicht wurde. Vielleicht haben Sie dieses Bild auch gesehen, vielleicht sogar weitergeleitet. Dabei sind Sie allerdings auf eine Desinformation hereingefallen. Denn das Bild ist manipuliert und nicht echt.

Fake News vs. Desinformation – über unbewusste Fehler und bewusst falscher Information

Desinformationen sind kein neues Phänomen. Sie waren auch 2017 nicht neu. Vielmehr waren Desinformationen und Propaganda schon immer Mittel der politischen Auseinandersetzung. Oder wie Hannah Arendt es in ihrem lesenswerten Essay Die Lüge in der Politik schrieb: „Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik.” Lügen, das ist etwas das man bewusst tut; ebenso wie das in die Welt setzen einer Desinformation. Deswegen sollte auch dieser Begriff dringend dem inflationär gebrauchten, undifferenzierten und zur Diskreditierung der freien Presse verwendeten Begriff Fake News vorgezogen werden. Denn fake beziehungsweise falsch können Informationen oder Nachrichten auch einfach durch Nachlässigkeit oder neuere Erkenntnisse sein. Fehler passieren den Besten. Nur: Fehler werden von Journalistinnen oder Politikern bestenfalls korrigiert. Schließlich gab es hier nie die Intention bewusst falsch zu informieren. Anders ist dies eben bei Desinformationen. Entweder werden Informationen bewusst gefälscht oder sie werden in falsche Zusammenhänge gestellt. Beides zielt darauf ab, Schaden zuzufügen: Sei es, um eine gesellschaftliche Spaltung herbeizuführen oder  einzelne Personen zu degradieren. Wenn wir etwas gegen Desinformationen unternehmen wollen – und das müssen wir! – ist es unerlässlich, dass wir die richtigen Begrifflichkeiten für diese Phänomene verwenden.

Lange vor dem diesjährigen Wahlkampf hätten wir etwas gegen die massenhafte Verbreitung von und Manipulation durch Desinformationen unternehmen müssen. Aber weder war der Druck auf die Unternehmen – vornehmlich soziale Medien und Messengerdienste, auf denen sie verbreitet werden – noch der Druck auf die Politik groß genug. Desinformationen sind nicht nur für Wahlen ein Problem. Sie erschüttern – und genau das ist ihr Sinn und Zweck – das Vertrauen in Institutionen, Parteien, ja die Demokratie als solche; und das schleichend und langfristig.

Verbote und mehr Bildung sind zu kurz gegriffen

Wer aber denkt, man müsse Desinformationen mit Verboten begegnen, der tut der Demokratie ebenfalls keinen Gefallen. Dies würde das Handeln autoritärer Staaten legitimieren, die in gleicher Weise  angeblichen Desinformationen begegnen wollen. So gefährlich Desinformationen auch sind: In der Regel sind sie nicht illegal. Natürlich kann man auch wieder die – sicherlich nicht falsche – Plattitüde von es braucht mehr Bildung aufsagen. Nur ist dies zum einen viel zu kurz gegriffen: Bildungsangebote richten sich zumeist nur an junge Menschen, die noch zur Schule gehen. Jedoch sind gerade Ältere eher empfänglich für Desinformationen, da sie ein gefestigteres Weltbild haben und Desinformationen genau diese häufig ansprechen. Zum anderen fehlen auch grundsätzliche Erkenntnisse in der gesellschaftlichen Debatte, ohne die eine holistische und nachhaltige Lösungsfindung nicht möglich sein wird. Ausgehend von der Annahme, dass Desinformationen nur ein Problem zu Wahlkampfzeiten sind, möchte ich dies im Folgenden anhand von drei Beispielen illustrieren.

Messengerdienste: Vertraute Umgebungen, aber keine vertrauenswürdigen Informationen

Ja, die sozialen Netzwerke sind ein Problem. Diese sozialen Netzwerke, insbesondere Facebook, Twitter und YouTube bemühen sich aber zumindest auf Basis ihrer immer wieder angepassten Gemeinschaftsstandards Desinformationen aus ihren Netzwerken zu verbannen. Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat dazu beigetragen, dass sie die Bekämpfung von Desinformation endlich ernst nehmen. Hier ist bei weitem nichts perfekt. An dieser Stelle näher auf die Problematik der sozialen Netzwerke und deren notwendige Regulierung einzugehen würde jedoch zu weit führen. Ich möchte den Blick vielmehr auf andere, vollkommen unterschätzte Plattformen richten, die zur Verbreitung von Desinformation immer stärker genutzt werden: Messengerdienste wie WhatsApp und Telegram.

Das anfangs genannte Beispiel des manipulierten SED-Plakats haben vielleicht auch Sie von Freunden weitergeleitet bekommen oder in einer Gruppe mit Sport- oder Parteifreunden gesehen. Vielleicht haben Sie es daraufhin sogar selber weitergeleitet, weil es Sie aufgewühlt hat oder Sie es witzig fanden. Auf Messengern funktioniert die Weiterleitung nicht nur schnell und problemlos – wir kommunizieren dort auch hauptsächlich mit Menschen, die wir persönlich kennen. Oder denen wir zumindest vertrauen – schließlich sind sie beispielsweise in der gleichen Ortsgruppe der eigenen Partei. Das heißt, wir bekommen dort meist nicht von Fremden Inhalte zugespielt, bei denen wir vielleicht eher noch hinterfragen, ob der Inhalt wirklich echt ist. Wir setzen vielmehr unterbewusst voraus, dass die Person, den Inhalt, den sie weitergeleitetet, sicher geprüft oder mindestens aus einer vertrauenswürdigen Quelle erhalten hat. Da Messenger also eine Plattform sind, auf denen man mit vertrauten Personen umgeht, ist der Einfluss dort geteilter Inhalte umso größer. Daher ist es gerade in Messengern – und vor allem in Gruppen – umso wichtiger, dass Widerspruch eingelegt wird. Auch hier wird häufig gezögert aufgrund der sozialen Verbindungen, gegebenenfalls auch Hierarchien. Doch genau hier setzt Ihre Verantwortung als Demokrat ein: Weisen Sie darauf hin, wenn krude Inhalte geteilt werden. Widerspruch kann man freundlich und wertschätzend einlegen – er ist notwendig!

Frauen im Visier von bewusst falschen Informationen

Nicht so intim und vertraut sind Gruppen oder Kanäle, wie wir sie auf Telegram finden. Der Messenger ist besonders durch die „Querdenken“-Bewegung bekannt geworden. Gerade dort werden zunehmend volksverhetzende und andere strafbare Inhalte geteilt. Denken Sie bitte daran, dass Sie solche Inhalte anzeigen können und sollten. Nutzen Sie dazu auch die Unterstützung der Organisation HateAid.

Mit Desinformationen, die auch häufig strafbar sind, weil sie den Ruf einer Person schädigen, hat vor allem eine gesellschaftliche Gruppe zu kämpfen: Frauen. Dass es bei digitaler Gewalt und Desinformationen, die Personen betreffen, einen Unterschied macht, welches Geschlecht man hat, ist eindeutig. Nicht nur Aktivistinnen und Journalistinnen werden hier Opfer, sondern auch Politikerinnen. Studien zeigen dies: von der Kommunalpolitikerin, die sich aufgrund der zunehmenden Angriffe nicht mehr engagieren und äußern kann (!) bis hin zur Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Man muss wahrlich kein Fan von den Grünen oder der Kanzlerkandidatin selbst sein, um hier für einen fairen Umgang miteinander und einen fairen Wahlkampf einzutreten. Wenn man dies nämlich nicht tut, haben die Absender der Desinformation gewonnen. Sie führen die Spaltung der Gesellschaft herbei; einer Gesellschaft, die nicht mehr bereit ist, für demokratische Grundüberzeugungen einzutreten und auf dem Demokratie-Spielfeld zu bleiben.

„Frau Baerbock stellt sich aber auch an, eine Kanzlerkandidatin muss so etwas aushalten können”, hört man regelmäßig landauf, landab. Und selbstverständlich: Wer für das zweithöchste Amt dieses Landes antritt, muss einiges aushalten, doch auch das hat Grenzen. Eben, wenn es sich um Desinformation handelt. Vieles bekommen die meisten Menschen nicht mit, weil es sich in Netzwerken verbreitet, die von außen nicht einsehbar sind – ich erwähnte nicht umsonst zuerst die Messengerdienste. Doch nur weil die meisten es nicht mitbekommen, heißt es nicht, dass solche geschlechtsbezogenen Desinformationen nicht existieren und Schaden anrichten.

Dass manipulierte Nacktfotos von Olaf Scholz oder Armin Laschet aufgetaucht sind, davon haben Sie sicher noch nie gehört. Sie existieren auch nicht. Wohl aber von Annalena Baerbock. Ebenso hat eine Untersuchung des Spiegels gezeigt, dass Annalena Baerbock im Gegensatz zu ihren beiden männlichen Kontrahenten im Netz deutlich stärker mit Hass überschüttet wird. Unter den ausgewerteten Beiträgen von Inhalten auf Facebook entfallen 63.000 auf die Kandidatin der Grünen, 21.000 auf Armin Laschet und gerade mal 4.000 auf Olaf Scholz. Hass gegen Frauen ist dabei kein Problem, dass nur Frauen des linken Spektrums erfahren. Politikerinnen der Unionsparteien sind davon ebenso heftig und regelmäßig betroffen. Staatsministerin Dorothee Bär und das CDU-Bundesvorstandsmitglied Wiebke Winter sprechen regelmäßig öffentlich über das, was ihnen widerfährt. Dabei ist auch ganz klar zu benennen: Die Täter kommen hauptsächlich von rechts.

Emotionale Erregung als Zündstoff für Verbreitung

Warum verbreiten sich diese Desinformationen so gut – vor allem über Messengerdienste? Weil sie, wie schon erwähnt, gefestigte Weltbilder adressieren und unsere Emotionen ansprechen. Warum haben Sie, falls Sie es getan haben, den CDU-SED-Wahlplakat-Vergleich weitergeleitet? Entsetzen? Verwunderung? Wut? Häme? Dass Sie sich von Emotionen haben verleiteten lassen, soll gar kein Vorwurf sein. Vielmehr ist es ein mehr als natürliches und menschliches Verhalten. Nur müssen wir vielmehr auf unsere Emotionen achten, wenn wir Inhalte zugesendet bekommen. Vor allem bei überwältigenden Emotionen müssen wir noch einmal extra überlegen, ob so etwas denn wirklich sein kann, bevor wir Inhalte weiterleiten.

Doch wer starke Emotionen fühlt, dem ist schwer mit Fakten zu begegnen. Oder haben Sie schon einmal versucht, einem Freund mit Liebeskummer mit Fakten beizukommen? Emotionen brauchen eine Antwort, die die angesprochenen Emotionen ernst nimmt und diese berücksichtigt. Wenn wir also regelmäßig nach mehr Bildung und weiteren Faktenchecks verlangen, dann ist dies nur eine ungenügende Antwort auf Desinformation gleichermaßen. Zugleich ist beides nicht verkehrt. Gerade Faktenchecks können Menschen ein argumentatives Rüstzeug geben, wenn sie sich am Abendbrottisch oder in der Familien-WhatsApp-Gruppe mit Menschen auseinandersetzen müssen, die Desinformationen anheimgefallen sind.

Doch wie sieht eine Antwort aus, die die Emotionen adressiert, die durch Desinformationen angesprochen wurden? Ich sage es ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich sagte am Anfang, dass wir dringend bestimmte Erkenntnisse zugrunde legen müssen, um darauf aufbauend, eine gute und produktive Debatte zum Umgang und zur Bekämpfung von Desinformation führen zu können. Dies ist eine davon – nebst den zwei weiteren von mir genannten. Natürlich snd auch diese drei nicht abschließend. Aber wir müssen unsere Debatte und unsere Forschung besser machen, beziehungsweise ausstatten, um mit einem Problem, das größer und dauerhafter werden wird, umzugehen.

Auch hilft ein Blick ins Ausland: Taiwan hat sehr mit Desinformationen aus China zu kämpfen. In den einzelnen Ministerien sitzen daher Comedians, um humoristische Inhalte zum Kontern zu entwickeln. „Wer lacht, hat keine Angst”, pflegt die taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang zu sagen. Für Humor sind wir Deutschen zwar nicht unbedingt bekannt, und auch wenn Demokratie sicherlich kein Witz ist: Wir sollten Desinformationen ernst genug nehmen, um unsere Demokratie auch durch guten Humor zu schützen.

Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik. Als Themenmanagerin bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beschäftigt sie sich auf globaler Ebene mit den Themen Digitalisierung und Innovation. Sie wurde vom Capital Magazin als Top 40 unter 40 in der Kategorie „Wissenschaft und Gesellschaft“ ausgezeichnet. Für die Bundestagswahl 2021 tritt sie für die Freien Demokraten in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg an.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei CIVIS mit Sonde, Ausgabe 2/2021

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Warum Sie ab jetzt besser „Desinformation“ sagen sollten

Sprechen Sie noch von “Fake News”? Lassen Sie das ab jetzt besser sein. Nicht nur, weil dieser Begriff vorrangig dadurch geprägt wurde, dass man mit ihm die freie Presse diskreditiert hat. Er unterschlägt auch die Bedeutung des Problems, das man eigentlich adressieren möchte: Desinformation. Desinformationen haben einen gravierenden Unterschied zu “falschen Nachrichten”, wie man “Fake News” übersetzen würde. Sie wollen Gesellschaften spalten und destabilisieren. “Falsche Nachrichten” oder “Falschinformationen” hingegen nicht. Ihnen begegnen wir sowohl im politischen Diskurs, als auch in den Medien. Allerdings werden sie nicht mit der Intention platziert, Schaden zu verursachen. Sie werden außerdem regelmäßig korrigiert – und das macht den entscheidenden Unterschied. 

Dass politische Diskurse oder gar Wahlen mithilfe von Desinformationen manipuliert werden bzw. werden sollen ist kein neues Phänomen, das erst mit den sozialen Medien aufkam. Informationskriege und Propaganda gibt es seit Menschengedenken. Und doch ist die Intensität dieser, gerade auch durch die weltumspannende Vernetzung, die fehlenden Gatekeeper und die rasante Geschwindigkeit eine ganz neue Herausforderung – auch für liberale Demokratien. Die Gefahr von Desinformation droht leider nicht nur von außerhalb, sondern auch von innen. Alleine die vergangenen Wahlkämpfe in Brasilien und den Vereinigten Staaten haben uns dies vor Augen geführt. Eine Herausforderung, vor der auch wir in Deutschland im Superwahljahr stehen. 

In den USA konnten wir sehen, wie der damalige US-Präsident Donald Trump diverse Desinformationen kreierte, oder mindestens befeuerte. Eine Herauszuhebende ist die, dass die Briefwahl manipuliert werden würde bzw. im Nachgang der Wahlen wurde. Trump sorgte mit seinen gezielt eingesetzten Desinformationen, dass das Vertrauen in das Wahlsystem, insbesondere der Briefwahl, zersetzt wurde. Ein massiver Angriff auf die Demokratie und ihre Grundfesten! Auch hier in Deutschland müssen wir aufgrund der Pandemiesituation und der damit einhergehenden erhöhten Briefwahl damit rechnen, dass Akteure das Vertrauen in die Wahl und ihre Durchführung durch gezieltes Streuen von Desinformationen delegitimieren wollen. Etwas, auf das sich sowohl der Staat, aber auch Parteien und alle Bürgerinnen und Bürger vorbereiten müssen. 

Doch nicht nur aus dem Inland droht Gefahr. Eine Untersuchung der “EU vs Disinformation” Kampagne des Europäischen Auswärtigen Dienst hat gezeigt, dass Deutschland in Europa vorrangiges Ziel von Desinformationskampagnen aus Russland ist. Auch darauf müssen wir reagieren. Doch der Kampf gegen Desinformation ist nicht leicht. Rufen nach der Strafbarkeit von Desinformation müssen wir nicht nur als Liberale dringend entgegentreten. Und doch braucht es einen Umgang mit Desinformationen und Maßnahmen gegen sie. Diese können aber nur holistisch sein – ein Wundermittel gibt es nicht. Aufklärung darüber, dass es sie gibt und woher sie kommen können ist ein Anfang. Wahlen absichern und unsere Wahlcomputer zu Auszählung vor Cyberangriffen besser schützen ein anderer. Außerdem braucht es Bildungsangebote für jedes Alter, Cyber-Außenpolitik, transparente politische Kommunikation und Sicherheitsbehörden, die im Falle von rechtswidrigen Inhalten auch im digitalen Ermitteln können. Und es braucht ein Verständnis der Bedeutung des Problems. Dieses beginnt mit der korrekten Verwendung von Begriffen. Fangen wir also an, von “Desinformation” zu sprechen. 

Dieser Text erschien zuerst in der FDPlus Ausgabe 02/2021.

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G7-Konferenz der Außenminister –Desinformationen endlich ernst nehmen

Internationale Desinformationskampagnen stehen ganz oben auf dem Themen-Tableau der Außen- und Entwicklungsminister, die heute in London zum Treffen der G7-Staaten zusammenkommen. Im Fokus stehen russische Propaganda und Desinformationen, die unter anderem durch sogenannte Troll-Fabriken wie die Internet Research Agency in St. Petersburg, verbreitet werden. Diese hatte nicht nur versucht, Einfluss auf die US-Wahl 2016 zu nehmen – auch auf europäische Wahlen und gesellschaftliche Diskussionen zielen russische Kampagnen ab. Vorrangiges Ziel hierbei: Deutschland. Das ergab jüngst eine Studie des „EU vs Disinformation Projekts“ des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Eine Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung zeigt, wie Russlands Informationspolitik versucht, die Meinung in Deutschland zu beeinflussen.

Es ist überfällig, dass das Thema Desinformationen in der Runde der G7-Staaten diskutiert wird. Zwar waren Desinformationskampagnen bereits beim Gipfeltreffen 2018 Thema als die Einrichtung eines sogenannten Rapid Response Mechanismuses beschlossen wurde. Doch bei den aktuellen Ankündigungen fällt den Außenministerinnen und -ministern nicht mehr ein, als dass gemeinsame Antworten auf Desinformationen gesucht und kommuniziert werden müssten. Man solle gemeinsam mit „Wahrheit” und „Widerlegung” reagieren, so der britische Außenminister Dominic Raab. Doch das greift zu kurz.

Der Kampf gegen Desinformationen benötigt internationale Zusammenarbeit, insbesondere zwischen demokratischen Staaten. Dass das Thema stärker in der Außenpolitik und in den diplomatischen Beziehungen adressiert werden muss, ist eine der zehn Forderungen gegen Desinformation, die die Friedrich-Naumann-Stiftung jüngst veröffentlicht hat. Diese Forderungen betrachten Maßnahmen gegen Desinformation holistisch. Es genügt bei Weitem nicht, lediglich Forderungen an Social-Media-Plattformen zu stellen, über die gezielte Desinformationen verbreitet werden oder Gesetze gegen “Fake News” zu fordern. Letzteres ist strikt abzulehnen, wird aber immer wieder gefordert – auch aus dem Kreise der G7.

Desinformationen werden nicht nur gegen andere Länder eingesetzt. Gerade autoritäre Regime und populistische Präsidenten verwenden sie auch gegen die eigene Bevölkerung. Neben der Wählerbeeinflussung hat insbesondere die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Desinformationen über Gefahren und Auswirkung des Virus die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger beeinträchtigen können. Durch die vernetzte Weltgemeinschaft haben Desinformationen zudem Einfluss auf Menschen, die in der Diaspora leben. Gesundheitliche Desinformationen, die zum Beispiel in Indien massiv über Messenger verbreitet werden, haben so auch Einfluss auf die indischstämmige Bevölkerung unter anderem in Großbritannien und den USA.

Die Idee, mit “Wahrheit” auf Desinformationen zu reagieren, verkennt, dass Desinformationen vor allem auf die Emotionen und nicht die Ratio der Menschen abzielen. Die meistens über (audio-)visuelle Medien verbreiteten Desinformationen – wie Videos, Bilder, Grafiken oder Memes – lassen Menschen vor allem Wut, Trauer oder Freude empfinden. Emotionen lassen sich eher selten mit „Faktenchecks” begegnen. Hier braucht es andere Gegenstrategien. Taiwan und Südkorea begegnen Desinformationen beispielsweise mit Humor.

Desinformationskampagnen, Propaganda und Cyberangriffe sind längst Alltag geworden. Sie treten nicht nur während Wahlen auf, sondern kontinuierlich. Sie sind darauf ausgelegt, langsam und schleichend Gesellschaften zu destabilisieren, das Image von Staaten zu ändern (insbesondere im Falle Chinas) und sogar militärische Operationen vorzubereiten, wie im Vorfeld der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Gesellschaften müssen durch geeignete Bildungsmaßnahmen über der Existenz von Desinformationskampagnen informiert werden – hier ist Finnland ein gutes Vorbild. Medienkompetenz ist dafür unerlässlich. Es braucht dahingehend Bildungsangebote für jedes Alter. Aber auch Journalistinnen und Journalisten brauchen ein besseres Verständnis für den Umgang mit Desinformationen. Denn häufig verhelfen klassische Medien durch ihre Berichterstattung Desinformationen zu größerer Reichweite. Vor allem aber kann die Wiederholung der Botschaften – auch in einer Kontextualisierung – dafür sorgen, dass bei den Lesenden Zweifel gesät werden. Eine Untersuchung des Tübinger Leibniz-Instituts zeigte Ähnliches für Verschwörungserzählungen: Schon die Konfrontation mit diesen zöge negative gesellschaftliche Auswirkungen nach sich. Es muss also genau abgewogen werden, über was wie zu berichten ist. Vor allem aber brauchen Journalistinnen und Journalisten Schutz vor denjenigen, die sie – regelmäßig angestachelt durch Desinformationen und Verschwörungserzählungen – und damit die Pressefreiheit angreifen.

Dass das Thema auf der G7-Konferenz adressiert wird, ist äußerst wichtig. Die Maßnahmen, die gegen Desinformationen ergriffen werden, müssen umfassend sein. Illiberalen Forderungen wie einem Verbot von Desinformationen muss widerstanden werden. Es gibt keine einfache Lösung. Doch gerade weil das demokratische Fundament – nicht nur der G7-Staaten – von Staaten wie Russland und China durch Desinformationskampagnen angegriffen wird, braucht es eine gemeinschaftliche, umfassende und nachhaltige Antwort. Es braucht Lösungen, auf die sich demokratische Staaten einigen und die anschlussfähig für andere Staaten sind. Die Zeit drängt.

Dieser Text erschien zuerst auf freiheit.org.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

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Forderungskatalog: Was tun gegen Desinformation?

Im Rahmen meiner Tätigkeit für die Friedrich-Naumann-Stiftung habe ich für diese einen Katalog mit zehn Forderungen gegen Desinformationen veröffentlicht. Dieser ist sowohl Abschluss der Stiftungsarbeit zum Jahresthema 2020 „Desinformation und Medienfreiheit“, als auch Grundlage für die weiterführende Arbeit der Stiftung im In- und Ausland zu diesem Thema.

Der Forderungskatalog kann hier abgerufen werden.

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Angriff auf das Kapitol: Eine Folge von Radikalisierung im Netz

Der gestrige Angriff auf das US-amerikanische Kapitol kann rückblickend nicht überraschen. Donald Trump hat seine Anhänger:innen mehrmals dazu aufgerufen, sich „bereitzumachen”. In den sozialen Medien wurde seit Tagen der 6. Januar 2021 genannt, um Gewalt auszuüben, falls der Kongress nicht die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl von 2020 revidiere.

Auf Plattformen wie Parler, einem Twitter-Ersatz für viele Rechtsextremist:innen, dem Messenger Telegram und dem Online-Forum ‘TheDonald’ wurden seit Tagen Pläne geschmiedet, das Kapitol zu stürmen. Doch es sind nicht nur diese Nischennetzwerke, in denen öffentlich die Pläne geschmiedet werden, die gestern in die Tat umgesetzt wurden. Dies findet auch auf Twitter, TikTok und Facebook statt. Auf der letztgenannten Plattform in zahlreichen Gruppen mit tausenden von Mitgliedern, die – angestachelt von Donald Trump – die Wahl anzweifeln, Desinformationen und Verschwörungserzählungen verbreiten und eben auch zu Gewalt aufrufen.

Wie gefährlich es ist, dass diese Gruppen, Seiten und Accounts von Plattformen wie Facebook, TikTok, Twitter und Co nicht gelöscht werden, zeigt sich nun. Aber auch, wie drastisch die Auswirkungen sind, wenn ein Präsident kontinuierlich selber Desinformationen verbreitet und die freie Presse diffamiert. Zahlreiche Journalist:innen wurden gestern angegriffen, darunter auch deutsche Fernsehteams. Das Team der ARD musste die Live-Berichterstattung während der Tagesthemen abbrechen, die Ausrüstung mehrerer Fernsehteams wurde zerstört.

Diese Gewalt kommt nicht überraschend. Und sie kommt nicht aus dunklen Ecken des Internets, in die niemand Einsicht hat. Die Pläne werden nicht in verschlüsselten Messenger geschmiedet und die Aufrufe zur Gewalt nicht im ‘Dark Web’ verbreitet. Diverse Forscher und Expertinnen warnen seit langer Zeit vor der Radikalisierung im Netz, beobachten diese Seiten, weisen auf diese Foren und Plattformen hin und drängen darauf, dass Facebook und Co endlich aktiv werden müssen. Doch auch die Sicherheitsbehörden müssen endlich diese Ecken des Internets im Blick haben. Es darf nicht sein, dass wie im Falle des antisemitischen Terroranschlags von Halle, Beamt:innen des Bundeskriminalamts vor Gericht aussagen, dass sie weder die Plattformen, noch die Sprachcodes von Terroristen kennen, geschweige denn verstehen. Es braucht mehr Fortbildung und eine deutlich stärkere Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Denn Plattformen wie ‘TheDonald’ werden sich sicher nicht an deutsche Gesetze halten. Wir müssen wissen, welche Radikalisierungen stattfinden und welche Pläne dort geschmiedet werden. Denn auch schon beim Angriff auf den Reichstag von Verschwörungsgläubigen, Reichsbürgerinnen und Rechtsextremisten haben wir mitlesen können, wie sie sich zu diesem Angriff verabredet haben. Nur wurde nichts dagegen unternommen.

Gestern hat Twitter mal wieder Warnlabels an ein Video von Donald Trump gesetzt, die davor warnen, dass dieser Inhalt zu Gewalt führen könnte. Das Liken und einfache Retweeten nicht aber das Zitieren, wurden verhindert. Es dauerte Stunden, bis Twitter den Account von Trump sperrte. Bis dahin hatte das Video mehr als 13 Millionen Aufrufe. Facebook hat sich relativ schnell dazu entschlossen, das Video zu löschen. Es dauerte aber auch hier Stunden, bis Facebook bekannt gab, aktiv gegen gewaltverherrlichende Inhalte auf der eigenen Plattform zu suchen.

Der Druck auf die Plattformen ihrer Verantwortung nachzukommen, wird nach den gestrigen Ereignissen zunehmen. Das ist richtig und überfällig. Es sollte uns aber zu denken geben, dass es Bilder aus Washington sind, die zum Umdenken führen. Während Gewalt und Morde, zu denen auf den bekannten Plattformen in Myanmar, in Indien oder in anderen Ländern aufgerufen wurde, zu keiner Reaktion führten.  Wer global agiert, muss auch sicherstellen, dass sein Geschäftsmodell nirgends Schäden verursacht.

Dass sogenanntes Deplatforming ein Aspekt bei der Lösung dieses gewaltigen und umfassenden Problems sein kann, hat jüngst eine Studie des IDZ Jena gezeigt. Die gern aufgestellte Forderung nach mehr Befugnissen, wie zum Beispiel Hintertüren in Messenger, wirkt wie eine Farce. Ist doch all dieser Hass, all diese Aufrufe zu Gewalt frei einsehbar im Netz. Sicherheitsbehörden müssen nur endlich lernen, das Netz zu verstehen.

Dieser Text wurde zuerst auf freiheit.org veröffentlicht.

Photo by Harun Tan on Pexels.com
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Digitale Bildung: Probleme lassen sich nicht lösen, wenn wir nur auf die Schulen schauen. Brauchen wir eine Bundeszentrale für digitale Bildung?

Verbreitung von Desinformation, fehlendes Bewusstsein für Cybersicherheit – bei Problemen im Digitalen fordern wir fast immer eine Sache: mehr Bildung. So weit so richtig. Der Umgang mit (digitalen) Medien, der sichere Umgang im Netz, die Gefahren von Identitätsdiebstahl, Doxing, Social Engineering, usw. müssen dringend Bestandteil schulischer Bildung sein. Vergessen dürfen wir hier auch nicht die beruflichen Schulen und Universitäten. Doch wir machen es uns zu leicht, wenn wir die teils enormen Probleme mit der Verbreitung von Desinformation und menschlichem Fehlverhalten vorm Computer auf “die jungen Leute” abschieben.

Die Generation Y lernte das Netz beim Aufwachsen kennen, die Generation Z wuchs und wächst digital auf. Für die Generation X, die Babyboomer und alle noch älteren hingegen, ist das Netz wirklich Neuland. Das soll gar nicht abwertend gemeint sein, aber sie sind diejenigen, die erst in späteren Lebensjahren gelernt haben, dass Gefahren im Netz lauern können, dass Menschen online deutliche einfacher und im hohem Maße Identitäten stehlen und sie missbrauchen können. Dass nun jeder Informationen erstellen und sie verbreiten kann und es keine Gatekeeper mehr gibt, die alleinig Informationen verbreiten können. Wenn wir also davon sprechen, dass wir uns mit Bildung vor Gefahren im Netz schützen müssen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie wir die breite Masse der Bevölkerung – eben alle, die schon im Arbeitsleben sind, oder bereits wieder aus ihm ausgeschieden sind – erreichen können. Schließlich ist die Altersgruppe von 45 bis 55 Jahre mit 86,8 Prozent die zahlenmäßig stärkste Alterskohorte unter den Erwerbstätigen und die von 55 bis 65 Jahre mit 71,5 Prozent die drittstärkste (Stand 2018). Legt man darüber die Zahlen des Bitkom, die zeigen, dass mittlerweile jeder zweite Arbeitnehmer einen Computer am Arbeitsplatz hat und jeder dritte ein mobiles Gerät mit Internetzugang, verdeutlicht sich nochmal das Problem.

Eine Studie der Universitäten Princeton und New York unter Amerikanern zeigte, dass Nutzerinnen und Nutzer soziale Medien über 65 sieben Mal so häufig Falschmeldungen teilen, als 18- bis  29-Jährige. Die Studie begründet dies mit mangelnder digitaler Medienkompetenz  und einem schlechteren Erinnerungsvermögen. Wenn man nun bedenkt, dass das größte soziale Netzwerk Facebook im Jahr 2017 einen Nutzerzuwachs von 23 Prozentpunkten bei über 60-Jährigen verzeichnen konnte (weltweit) und immer mehr Menschen über 60 WhatsApp nutzen (in Deutschland 52% der über 60-Jährigen, Stand 2017) und Falschnachrichten nicht nur über soziale Netzwerke, sondern insbesondere über Messenger eine zunehmende Verbreitung finden, dann stehen wir vor einer enormen gesellschaftlichen Herausforderung, die eben nicht lediglich mit Konzepten für schulische Bildung in der Zukunft gelöst werden kann.

Und Falschnachrichten in Form von Text sind schon heute nicht mehr das größte Problem. Manipulierte Bilder oder in falschen Kontext gesetzte Bilder grassieren bereits jetzt zu Hauf. Ebenso darf das Manipulationspotential durch Memes, Trolle und dergleichen nicht unterschätzt werden. Doch die viel größere Bedrohung steht mit sogenannten DeepFakes ins Haus: Manipulierte Videos, die Nacktaufnahmen bzw. pornografisches Material vornehmlich von Frauen darstellen, oder Aufnahmen, die mit neuem Ton und damit auch Inhalt unterlegt werden, wobei auch die Mimik des Sprechers verändert wird und so ganz neue, nie getätigte Aussagen entstehen können. Das Missbrauchspotential dieser Technologie ist riesig und der Fall eines verbreiteten manipulierten Video der amerikanischen Kongressabgeordneten Nancy Pelosi und dessen Weiterverbreitung von diversen Politikern unter anderem auf Twitter zeigt, dass Gesellschaften noch nicht bereit sind, für einen Umgang mit dieser Art der Desinformation. Für Ältere, die sich nicht tagtäglich mit digitalen Tools – sei es auch nur zum Spaß – beschäftigen, die demonstrieren, wie Bilder und Videos manipuliert werden können, ist dies ein erhebliches Problem. Jüngere Nutzer kennen dies häufig, und sei es nur durch Filter oder Ähnliches auf Instagram, Snapchat oder TikTok.

Wie also umgehen mit dieser Problematik? Wie so oft: es gibt kein Patentrezept. Es ist aber dringend angebracht, dass sich Politik, Zivilgesellschaft und auch Unternehmen mit dieser Problematik auseinandersetzen. Unternehmen sollten ein eigenes Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter lernen, Desinformation und DeepFakes von echten Informationen zu unterscheiden. Verbreiten Mitarbeiter solche, kann das nicht nur dem Ansehen des Unternehmens schaden, es schadet auch der Sicherheit des Unternehmens, wenn Mitarbeiter dubiosen Informationen trauen und sich womöglich Schadsoftware einfangen. Die Politik könnte hier mit der finanziellen Förderung entsprechender Fortbildungen unterstützen.

Bildung ist aber auch ein staatlicher Auftrag. Warum also nicht über eine Bundeszentrale für digitale Bildung, analog zur Bundeszentrale für politische Bildung nachdenken? Thematisch gäbe es hier weitaus mehr, als die Themen Desinformation und Cybersicherheit. Datenschutz bzw. der Umgang mit Daten wird immer essentieller. Von den Datenspuren durch surfen im Netz bis hin zum Umgang mit den eigenen, hochsensiblen Gesundheitsdaten. Vom Verständnis über Algorithmen bis hin zu Künstlicher Intelligenz. Themen gäbe es genug und ihre Bedeutung nimmt rasant zu.

Finnland hat dies schon erkannt und führt umfassende Bildungsmaßnahmen durch. Das Land hat durch die Grenze zu Russland schon seit Jahrzehnten mit Desinformationskampagnen zu kämpfen und daher eine ganzheitliche, nachhaltige Strategien entwickelt, um Finnlands Bürgerinnen und Bürger dagegen zu immunisieren. Manipulation durch Desinformation wird hier als ein gesamtgesellschaftliches Problem gesehen, gegen das man bereits im Kindergarten, aber auch und vor allem in späteren Lebensjahren vorgehen muss. “It’s not just a government problem, the whole society has been targeted. We are doing our part, but it’s everyone’s task to protect the Finnish democracy,” sagt zum Beispiel Jussi Toivanen, der Erwachsene in Finnland unterrichtet. Doch auch bei der breiten Aufklärung über Künstliche Intelligenz ist Finnland Vorreiter. Ein Pilotprojekt sollte ein Prozent der Finnen Grundlagen über Künstliche Intelligenz vermitteln.Die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zufällig ausgewählt. Das Thema wurde digital und niedrigschwellig vermittelt, sodass es jede und jeder verstehen kann. Der Ansatz dahinter: wenn Menschen die Prinzipien von Künstlicher  Intelligenz verstehen, haben sie weniger Angst vor ihr und mehr Interesse an dessen Nutzung und damit auch der Ausgestaltung. Das Vorhaben ging auf. Heute ist der Kurs für jeden zugänglich und kostenlos nutzbar. Unternehmen und der Staat nutzen ihn, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fortzubilden, aber auch das Interesse unter den Bürgerinnen und Bürgern, die bisher keinen beruflichen Bezug zum Thema hatten, ist enorm. Ein wichtiger Schritt für Finnlands Ziel, Europas Nummer eins in der KI-Forschung zu werden.

Eine ähnliche Bildungsstrategie braucht es auch für Deutschland, denn die Probleme werden nicht weniger. Bei unserem EU-Partner können wir dafür genügend Inspiration und Lösungsansätze finden. Wichtig ist nur, dass sowohl Politik, als auch Zivilgesellschaft und Unternehmen anerkennen, dass fehlende digitale Bildung kein Problem von jungen Menschen ist, sondern von uns allen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Photo by Nicole De Khors from Burst

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