Desinformationskampagnen – teilweise aus dem Ausland lanciert – zielen darauf ab, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als solche zu zerrütten. Gerade in Wahlkampfzeiten wird das zum Problem. Ann Cathrin Riedel erklärt, wie der Staat und wir als Gesellschaft dem begegnen können – und wirft dabei auch einen Blick nach Asien.
„Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben” – ist da auf einem Plakat der SED zum XI. Parteitag zu lesen. Hat die CDU etwa ihren Wahlkampfslogan zur Bundestagswahl 2017 ausgerechnet von der SED kopiert? Zumindest suggerierte das ein zusammengeschnittenes Bild beider Plakate, die vor der letzten Bundestagswahl im Internet herumgereicht wurde. Vielleicht haben Sie dieses Bild auch gesehen, vielleicht sogar weitergeleitet. Dabei sind Sie allerdings auf eine Desinformation hereingefallen. Denn das Bild ist manipuliert und nicht echt.
Fake News vs. Desinformation – über unbewusste Fehler und bewusst falscher Information
Desinformationen sind kein neues Phänomen. Sie waren auch 2017 nicht neu. Vielmehr waren Desinformationen und Propaganda schon immer Mittel der politischen Auseinandersetzung. Oder wie Hannah Arendt es in ihrem lesenswerten Essay Die Lüge in der Politik schrieb: „Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik.” Lügen, das ist etwas das man bewusst tut; ebenso wie das in die Welt setzen einer Desinformation. Deswegen sollte auch dieser Begriff dringend dem inflationär gebrauchten, undifferenzierten und zur Diskreditierung der freien Presse verwendeten Begriff Fake News vorgezogen werden. Denn fake beziehungsweise falsch können Informationen oder Nachrichten auch einfach durch Nachlässigkeit oder neuere Erkenntnisse sein. Fehler passieren den Besten. Nur: Fehler werden von Journalistinnen oder Politikern bestenfalls korrigiert. Schließlich gab es hier nie die Intention bewusst falsch zu informieren. Anders ist dies eben bei Desinformationen. Entweder werden Informationen bewusst gefälscht oder sie werden in falsche Zusammenhänge gestellt. Beides zielt darauf ab, Schaden zuzufügen: Sei es, um eine gesellschaftliche Spaltung herbeizuführen oder einzelne Personen zu degradieren. Wenn wir etwas gegen Desinformationen unternehmen wollen – und das müssen wir! – ist es unerlässlich, dass wir die richtigen Begrifflichkeiten für diese Phänomene verwenden.
Lange vor dem diesjährigen Wahlkampf hätten wir etwas gegen die massenhafte Verbreitung von und Manipulation durch Desinformationen unternehmen müssen. Aber weder war der Druck auf die Unternehmen – vornehmlich soziale Medien und Messengerdienste, auf denen sie verbreitet werden – noch der Druck auf die Politik groß genug. Desinformationen sind nicht nur für Wahlen ein Problem. Sie erschüttern – und genau das ist ihr Sinn und Zweck – das Vertrauen in Institutionen, Parteien, ja die Demokratie als solche; und das schleichend und langfristig.
Verbote und mehr Bildung sind zu kurz gegriffen
Wer aber denkt, man müsse Desinformationen mit Verboten begegnen, der tut der Demokratie ebenfalls keinen Gefallen. Dies würde das Handeln autoritärer Staaten legitimieren, die in gleicher Weise angeblichen Desinformationen begegnen wollen. So gefährlich Desinformationen auch sind: In der Regel sind sie nicht illegal. Natürlich kann man auch wieder die – sicherlich nicht falsche – Plattitüde von es braucht mehr Bildung aufsagen. Nur ist dies zum einen viel zu kurz gegriffen: Bildungsangebote richten sich zumeist nur an junge Menschen, die noch zur Schule gehen. Jedoch sind gerade Ältere eher empfänglich für Desinformationen, da sie ein gefestigteres Weltbild haben und Desinformationen genau diese häufig ansprechen. Zum anderen fehlen auch grundsätzliche Erkenntnisse in der gesellschaftlichen Debatte, ohne die eine holistische und nachhaltige Lösungsfindung nicht möglich sein wird. Ausgehend von der Annahme, dass Desinformationen nur ein Problem zu Wahlkampfzeiten sind, möchte ich dies im Folgenden anhand von drei Beispielen illustrieren.
Messengerdienste: Vertraute Umgebungen, aber keine vertrauenswürdigen Informationen
Ja, die sozialen Netzwerke sind ein Problem. Diese sozialen Netzwerke, insbesondere Facebook, Twitter und YouTube bemühen sich aber zumindest auf Basis ihrer immer wieder angepassten Gemeinschaftsstandards Desinformationen aus ihren Netzwerken zu verbannen. Insbesondere die Covid-19-Pandemie hat dazu beigetragen, dass sie die Bekämpfung von Desinformation endlich ernst nehmen. Hier ist bei weitem nichts perfekt. An dieser Stelle näher auf die Problematik der sozialen Netzwerke und deren notwendige Regulierung einzugehen würde jedoch zu weit führen. Ich möchte den Blick vielmehr auf andere, vollkommen unterschätzte Plattformen richten, die zur Verbreitung von Desinformation immer stärker genutzt werden: Messengerdienste wie WhatsApp und Telegram.
Das anfangs genannte Beispiel des manipulierten SED-Plakats haben vielleicht auch Sie von Freunden weitergeleitet bekommen oder in einer Gruppe mit Sport- oder Parteifreunden gesehen. Vielleicht haben Sie es daraufhin sogar selber weitergeleitet, weil es Sie aufgewühlt hat oder Sie es witzig fanden. Auf Messengern funktioniert die Weiterleitung nicht nur schnell und problemlos – wir kommunizieren dort auch hauptsächlich mit Menschen, die wir persönlich kennen. Oder denen wir zumindest vertrauen – schließlich sind sie beispielsweise in der gleichen Ortsgruppe der eigenen Partei. Das heißt, wir bekommen dort meist nicht von Fremden Inhalte zugespielt, bei denen wir vielleicht eher noch hinterfragen, ob der Inhalt wirklich echt ist. Wir setzen vielmehr unterbewusst voraus, dass die Person, den Inhalt, den sie weitergeleitetet, sicher geprüft oder mindestens aus einer vertrauenswürdigen Quelle erhalten hat. Da Messenger also eine Plattform sind, auf denen man mit vertrauten Personen umgeht, ist der Einfluss dort geteilter Inhalte umso größer. Daher ist es gerade in Messengern – und vor allem in Gruppen – umso wichtiger, dass Widerspruch eingelegt wird. Auch hier wird häufig gezögert aufgrund der sozialen Verbindungen, gegebenenfalls auch Hierarchien. Doch genau hier setzt Ihre Verantwortung als Demokrat ein: Weisen Sie darauf hin, wenn krude Inhalte geteilt werden. Widerspruch kann man freundlich und wertschätzend einlegen – er ist notwendig!
Frauen im Visier von bewusst falschen Informationen
Nicht so intim und vertraut sind Gruppen oder Kanäle, wie wir sie auf Telegram finden. Der Messenger ist besonders durch die „Querdenken“-Bewegung bekannt geworden. Gerade dort werden zunehmend volksverhetzende und andere strafbare Inhalte geteilt. Denken Sie bitte daran, dass Sie solche Inhalte anzeigen können und sollten. Nutzen Sie dazu auch die Unterstützung der Organisation HateAid.
Mit Desinformationen, die auch häufig strafbar sind, weil sie den Ruf einer Person schädigen, hat vor allem eine gesellschaftliche Gruppe zu kämpfen: Frauen. Dass es bei digitaler Gewalt und Desinformationen, die Personen betreffen, einen Unterschied macht, welches Geschlecht man hat, ist eindeutig. Nicht nur Aktivistinnen und Journalistinnen werden hier Opfer, sondern auch Politikerinnen. Studien zeigen dies: von der Kommunalpolitikerin, die sich aufgrund der zunehmenden Angriffe nicht mehr engagieren und äußern kann (!) bis hin zur Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Man muss wahrlich kein Fan von den Grünen oder der Kanzlerkandidatin selbst sein, um hier für einen fairen Umgang miteinander und einen fairen Wahlkampf einzutreten. Wenn man dies nämlich nicht tut, haben die Absender der Desinformation gewonnen. Sie führen die Spaltung der Gesellschaft herbei; einer Gesellschaft, die nicht mehr bereit ist, für demokratische Grundüberzeugungen einzutreten und auf dem Demokratie-Spielfeld zu bleiben.
„Frau Baerbock stellt sich aber auch an, eine Kanzlerkandidatin muss so etwas aushalten können”, hört man regelmäßig landauf, landab. Und selbstverständlich: Wer für das zweithöchste Amt dieses Landes antritt, muss einiges aushalten, doch auch das hat Grenzen. Eben, wenn es sich um Desinformation handelt. Vieles bekommen die meisten Menschen nicht mit, weil es sich in Netzwerken verbreitet, die von außen nicht einsehbar sind – ich erwähnte nicht umsonst zuerst die Messengerdienste. Doch nur weil die meisten es nicht mitbekommen, heißt es nicht, dass solche geschlechtsbezogenen Desinformationen nicht existieren und Schaden anrichten.
Dass manipulierte Nacktfotos von Olaf Scholz oder Armin Laschet aufgetaucht sind, davon haben Sie sicher noch nie gehört. Sie existieren auch nicht. Wohl aber von Annalena Baerbock. Ebenso hat eine Untersuchung des Spiegels gezeigt, dass Annalena Baerbock im Gegensatz zu ihren beiden männlichen Kontrahenten im Netz deutlich stärker mit Hass überschüttet wird. Unter den ausgewerteten Beiträgen von Inhalten auf Facebook entfallen 63.000 auf die Kandidatin der Grünen, 21.000 auf Armin Laschet und gerade mal 4.000 auf Olaf Scholz. Hass gegen Frauen ist dabei kein Problem, dass nur Frauen des linken Spektrums erfahren. Politikerinnen der Unionsparteien sind davon ebenso heftig und regelmäßig betroffen. Staatsministerin Dorothee Bär und das CDU-Bundesvorstandsmitglied Wiebke Winter sprechen regelmäßig öffentlich über das, was ihnen widerfährt. Dabei ist auch ganz klar zu benennen: Die Täter kommen hauptsächlich von rechts.
Emotionale Erregung als Zündstoff für Verbreitung
Warum verbreiten sich diese Desinformationen so gut – vor allem über Messengerdienste? Weil sie, wie schon erwähnt, gefestigte Weltbilder adressieren und unsere Emotionen ansprechen. Warum haben Sie, falls Sie es getan haben, den CDU-SED-Wahlplakat-Vergleich weitergeleitet? Entsetzen? Verwunderung? Wut? Häme? Dass Sie sich von Emotionen haben verleiteten lassen, soll gar kein Vorwurf sein. Vielmehr ist es ein mehr als natürliches und menschliches Verhalten. Nur müssen wir vielmehr auf unsere Emotionen achten, wenn wir Inhalte zugesendet bekommen. Vor allem bei überwältigenden Emotionen müssen wir noch einmal extra überlegen, ob so etwas denn wirklich sein kann, bevor wir Inhalte weiterleiten.
Doch wer starke Emotionen fühlt, dem ist schwer mit Fakten zu begegnen. Oder haben Sie schon einmal versucht, einem Freund mit Liebeskummer mit Fakten beizukommen? Emotionen brauchen eine Antwort, die die angesprochenen Emotionen ernst nimmt und diese berücksichtigt. Wenn wir also regelmäßig nach mehr Bildung und weiteren Faktenchecks verlangen, dann ist dies nur eine ungenügende Antwort auf Desinformation gleichermaßen. Zugleich ist beides nicht verkehrt. Gerade Faktenchecks können Menschen ein argumentatives Rüstzeug geben, wenn sie sich am Abendbrottisch oder in der Familien-WhatsApp-Gruppe mit Menschen auseinandersetzen müssen, die Desinformationen anheimgefallen sind.
Doch wie sieht eine Antwort aus, die die Emotionen adressiert, die durch Desinformationen angesprochen wurden? Ich sage es ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich sagte am Anfang, dass wir dringend bestimmte Erkenntnisse zugrunde legen müssen, um darauf aufbauend, eine gute und produktive Debatte zum Umgang und zur Bekämpfung von Desinformation führen zu können. Dies ist eine davon – nebst den zwei weiteren von mir genannten. Natürlich snd auch diese drei nicht abschließend. Aber wir müssen unsere Debatte und unsere Forschung besser machen, beziehungsweise ausstatten, um mit einem Problem, das größer und dauerhafter werden wird, umzugehen.
Auch hilft ein Blick ins Ausland: Taiwan hat sehr mit Desinformationen aus China zu kämpfen. In den einzelnen Ministerien sitzen daher Comedians, um humoristische Inhalte zum Kontern zu entwickeln. „Wer lacht, hat keine Angst”, pflegt die taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang zu sagen. Für Humor sind wir Deutschen zwar nicht unbedingt bekannt, und auch wenn Demokratie sicherlich kein Witz ist: Wir sollten Desinformationen ernst genug nehmen, um unsere Demokratie auch durch guten Humor zu schützen.
Ann Cathrin Riedel ist Vorsitzende von LOAD e.V. – Verein für liberale Netzpolitik. Als Themenmanagerin bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit beschäftigt sie sich auf globaler Ebene mit den Themen Digitalisierung und Innovation. Sie wurde vom Capital Magazin als Top 40 unter 40 in der Kategorie „Wissenschaft und Gesellschaft“ ausgezeichnet. Für die Bundestagswahl 2021 tritt sie für die Freien Demokraten in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg an.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei CIVIS mit Sonde, Ausgabe 2/2021