Dialog als Herausforderung. Wie Politik Social Media missversteht.
Erreichen Parteien die Jugend noch? Schaffen Parteien eine Kommunikation auf Augenhöhe mit der jungen Generation? Die Europawahl hat gezeigt, dass die deutschen Parteien, allen voran die CDU/CSU, nicht in der Lage sind mit jungen und allgemein digitalaffinen Menschen angemessen im Netz zu kommunizieren. Die Reaktion der CDU/CSU auf das sogenannte “Rezo Video” war fatal. Aber auch die anderen Parteien hätten es wahrscheinlich nicht besser gemeistert. Vielleicht auch das ein Grund, warum sie so still geblieben sind (einzige Ausnahme, die Antwort von Tiemo Wölken MdEP (SPD), bei dem man merkt, dass er YouTube und die Art und Weise, wie man dort kommuniziert, versteht). Es geht gar nicht nur darum, angemessen auf so ein Video zu reagieren, zu zeigen, dass irgendwer in der Kommunikationsabteilung einer Partei mal die Art und Weise, wie YouTuber kommunizieren verstanden hat und diese einordnen kann, oder überhaupt nur begreift, was YouTube für ein wichtiger Kanal für Menschen unter 30 ist. Es geht darum, endlich zu verstehen, dass soziale Netzwerke jeder und jedem die Möglichkeit geben sich zu äußern und an einer öffentlichen Diskussion teilzunehmen (Rezo ist ein solcher Bürger mit einer Meinung — und eben auch Reichweite. Seine Äußerungen traf er als Bürger). Parteien und Politik müssen verstehen, dass Menschen auch auf Kanälen wie YouTube ihre Meinung kund tun und diese ebenso ernst nehmen müssen, wie Meinungsbeiträge in klassischen Medien. Und sie müssen endlich lernen, einen Diskurs im Netz zu führen. Denn noch immer ist für viele Social Media eine weitere Möglichkeit Informationen zu senden. Der Austausch, oder gar die Möglichkeit Meinungen abzufragen und Stimmungen aufzunehmen, wird noch immer zu wenig genutzt.
Dabei muss man natürlich bedenken, dass Twitter nicht “das Internet” ist und auch Social Media bzw. die dort getätigten Äußerungen nur einen Bruchteil der Meinung der Bevölkerung abbilden. Gerade in Deutschland. Doch das ist kein Grund sich wirklichem Dialog und Austausch auf den sozialen Netzwerken zu entziehen. Und natürlich braucht so ein Austausch viel Zeit und Personal. Das ist gerade in Organisationseinheiten, die hauptsächlich von Ehrenamtlichen gestaltet werden, durchaus schwierig. Aber insbesondere die Kommunikationsabteilungen von Parteien (und anderen Organisationen) müssen dringend mehr Budgets für Social-Media-Kommunikation und damit Social-Media-Dialog zur Verfügung stellen.
Gutes Communiy-Management hat enormes Bereicherungspotential
Gerade bei kleineren Einheiten von Parteien, seien es Ortsverbände, Kandidat:innen oder Abgeordnete, ist es wichtig, dass bei der Steigerung der Fan- und Follower-Anzahl nicht auf Quantität sondern auf Qualität geachtet wird. Zumindest wenn man wirklich guten Austausch auf den sozialen Netzwerken betreiben möchte und von der eigenen Community profitieren möchte. Werbeanzeigen zur Steigerung der Fan-Anzahl in Regionen, die überhaupt nichts mit der Organisation oder der Person zu tun haben, willkürliches Einladen von neuen Fans, trägt dazu bei, dass die Community verwässert, kaum sinnvollen Input liefern kann oder im schlimmsten Fall sogar Trolle anzieht, die Dialoge zerstören. Gerade solche Entitäten haben nichts von einer großen Follower- oder Like-Zahl, hätten aber sehr viele Vorteile von einer qualitativen Community.
Hat man solch eine Community, lohnen sich Formate wie Facebook-Live oder diverse Tools zum Dialog auf Instagram. Vom Zusammenschalten mit einer weiteren Person für eine Live Diskussion, bei der auch die Zuschauer Fragen stellen können, über Umfragen für Themenwünsche oder Meinungsbilder, bis hin zum “Ask me anything”-Sticker um Fragen aus der Community zu beantworten. Die Möglichkeiten sind vielzählig. Nicht zu vergessen auch die fachliche Diskussion, die gerade auf Twitter möglich ist — wenn man denn will.
Mehr Mut ist essentiell bei neuen Dialog-Formaten
Ob eine Video-Antwort der CDU die richtige Antwort auf das “Rezo Video” gewesen wäre, darf stark bezweifelt werden. Denn nicht zu vergessen: Es geht nicht nur um die Anerkennung der Art und Weise, wie junge Menschen kommunizieren. Botschaften, die junge Menschen kommunizieren, muss ernsthaft begegnet werden. Beides ist erst nicht und dann nur unzureichend passiert. Im Gedächtnis bleibt — vor allem bei den Jungen — die Verächtlichmachung des Videos, die der YouTuber:innen (es schlossen sich über 70 weitere an) und die ihrer Meinung. Auch eine Einladung zum Gespräch ins Konrad-Adenauer-Haus ist nicht die richtige kommunikative Antwort. Denn so ein Gespräch, vermutlich auch fernab von jeder Öffentlichkeit, ist eben genau nicht das, was sich junge Menschen kommunikativ vorstellen. Ein live gestreamtes Gespräch, bei einem der YouTuber im Studio, örtlich genau dort, wo junge Menschen sind, wäre vermutlich der bessere Weg gewesen. Die Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit. Doch dazu bedarf es Mut. Schließlich begibt man sich dann in die Gefilde der kritischen Jugend, die keine Phrasen mehr als Antwort zulässt.