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Tag: KI

Gastbeitrag: Von Estland lernen? Vielleicht lieber von uns selbst

Waren Sie schon einmal bei einem Coach oder einer Therapeutin? Herzlichen Glückwunsch! Sich mit den eigenen Verhaltensmustern zu beschäftigen, gehört zu den besten Dingen, die man für sich tun kann. Manchmal frage ich mich, ob die deutsche Verwaltungsdigitalisierung nicht auch einen Coach bräuchte – sofern sie ein Subjekt wäre, das dies könnte.

Stellen Sie sich vor, wie das wäre: Die Verwaltungsdigitalisierung säße auf einem gemütlichen Sessel – einem grünen, samtenen – während nebendran ein kleiner, dunkel gebeizter Holztisch mit einer Box Taschentücher steht, bereit, die sich anbahnenden Tränen aufzufangen. Die Verwaltungsdigitalisierung würde schluchzend klagen: „Ich habe so spät angefangen, so viel falsch gemacht. Ich bin eine Enttäuschung für alle.“ Und der Coach? Der würde sicher antworten: „Nein, das bist du nicht. Lass uns die Dinge genauer anschauen.“ Gemeinsam würden sie herausarbeiten, dass zwar vieles schieflief, aber auch vieles möglich ist und war – gerade dann, wenn man die existierenden Stärken nutzt: Fachkompetenz, Technologien, Ideen.

Leider hat die deutsche Verwaltungsdigitalisierung keinen Coach. Stattdessen gibt es eine öffentliche Debatte, die ihr regelmäßig signalisiert: „Du bist wirklich eine allumfassende Versagerin!“ – und alle scheinen es zu glauben. Was, wenn wir nicht nur die Verwaltungsdigitalisierung, sondern auch uns selbst davon lösen würden und stärker darauf schauen, was bereits funktioniert? Nicht, um Fehler zu ignorieren, sondern um Motivation zu schaffen.

Daher möchte ich vorschlagen, dass wir mal eine Reise durch die Bundesrepublik machen, statt nach Estland, Österreich oder Singapur zu fahren. Denn so hilfreich solche Inspirationsreisen sind – bei Reisen durch die Bundesrepublik finde ich Ideen, die ich vom selben System her kopieren kann. Ich brauche weder sprachliche Anpassungen, noch muss ich es an ein föderales System oder deutsche Gesetzgebung anpassen (die Unterschiede bei Anwohnerparkscheinen et cetera lassen wir nun mal außer acht). Eine Reise durch Deutschland lohnt nicht nur, weil Wattenmeer, Moselregion und die sächsische Schweiz auch schön anzusehen sind – sondern auch, weil man durch die Reise erfahren kann, dass wir das hier wirklich können mit der Verwaltungsdigitalisierung. Aber kommen wir erstmal an in Deutschland.

„Hallo, Deutschland“ – ein nutzerzentrierter Einstieg in dieses Land

Welches Bild hat das Ausland eigentlich von Deutschland? Neuerdings ein richtig hübsches und nutzerzentriertes! Denn das Auslandsportal vom Auswärtigen Amt ist nicht nur in Rekordzeit fertiggestellt worden, es hat sogar fristgerecht alle Botschaften angeschlossen, sodass jetzt von überall aus in der Welt ein Visum für Fachkräfte oder ein Antrag auf die Chancenkarte digital gestellt werden kann. Nichts davon mitbekommen? So ist das leider, wenn Projekte reibungslos laufen.

Wir durften uns beim Beirat zur Umsetzung der Digitalstrategie beim BMDV dieses Leuchtturmprojekt aus der Nähe ansehen und da zeigte sich, wie wichtig besonders zwei Dinge sind: zum einen Projekt- und Prozessmanagementkenntnisse, die im Team vorhanden sind und zum anderen Umsetzungsexpert:innen aus den Auslandsvertretungen, die einfach wissen, wie der Hase bei Visa-Verfahren und in den Auslandsvertretungen läuft. Klingt simpel – ist es auch. 

Obgleich ich nicht sagen will, dass das Projekt ein Selbstläufer war. Ganz und gar nicht! Was ich aber betonen will: Wir haben unfassbar viel Fachkompetenz in unseren Verwaltungen. Wir müssen sie nutzen und sie mit den Digitalisierungsexpert:innen zusammenbringen. Die Ideen für eine Verbesserung und/oder Transformation eines Prozesses, wie das der Visa-Beantragung sitzt schon in den Köpfen der Mitarbeiter:innen – nutzen wir es und geben wir ihnen auch die entsprechende Arbeitszeit, sie im Digitalisierungsprojekt einzubringen.

Neue Wege? Gehen wir!

Wissen Sie noch? Corona? Und die Energiekostenpauschale für Studierende? Was war das für ein öffentliches Drama – vornehmlich die politische Diskussion in der ziemlich viel ausgehandelt werden musste. Das hätte besser laufen können, aber vergessen wir nicht, dass wir in einer Situation der Unsicherheit waren. Als das dann aber geklärt war, konnte es losgehen mit der Digitalisierung der Energiekostenpauschale. Knappe eineinhalb Monate nach dem Auftrag vom Bundesbildungsministerium an das Land Sachsen-Anhalt, das für Bildungsthemen im Rahmen der OZG-Umsetzung zuständig ist, war das Portal auch schon online. Und ja, die Server machten erstmal nicht mit. Hätte besser laufen müssen – aber dann! Na, auch nicht so viel über das Gute der Pauschale gehört? Schade, dass wir so wenig drüber reden, oder?

Als eingeschriebene Studentin durfte ich die Pauschale beantragen. Ich habe es mit meinem Elsterzertifikat getan. Klick, klick, klick – alle meine Daten waren da, noch meine IBAN-Nummer und fertig war der Antrag. Abgeschickt, Eingangsbestätigung per Mail und nur wenige Minuten später eine Bewilligung im Postfach. „Was ist da los?“, fragte ich mich und war begeistert von dieser Verwaltungserfahrung. Zwei Tage später hatte ich das Geld auf dem Konto. Warum wir das nicht direkt für das Klimageld übernommen haben? Das ist wohl eine andere Geschichte.

Probleme? Ändern wir!

Reisen wir aber von Sachsen-Anhalt weiter nach Cottbus. Dort sitzt nämlich die Tierseuchenkasse Brandenburg. Wenn man sich mit Verwaltungsdigitalisierung beschäftigt, dann erfährt man plötzlich von Dingen, von denen man nie im Leben dachte, dass sie existieren. So ging es mir mit dieser Kasse. Und wenn man sich mit Verwaltungsdigitalisierung beschäftigt, dann sprechen Freund:innen einen abends in der Bar auch gerne auf ihre Erfahrungen mit der Verwaltung an – gerne auch mal die guten. Und dazu zählt diese Tierseuchenkasse. Die Story in Kürze: Früher hat ein Pferdestall alle dort ansässigen Pferde gesamt gemeldet, dann gabs eine Änderung, dass jede:r Besitzer:in das selber machen muss – Chaos, Papierberge, Verwirrung. Also Prozess digitalisiert und nun: glückliche Pferdebesitzer:innen. Alles easy, alles smooth – ich hoffe auch für die Mitarbeiter:innen am anderen Ende des Prozesses. Aber nehmen Sie sich das doch mal zum Vorbild: von guten Erfahrungen mit der Verwaltung erzählen. Ich wette, es gibt sie!

Führungskräfte! Reden wir!

Ich schreibe diese Reiseempfehlung ja auch, weil ich es leider zu häufig erlebe, dass Spitzenpolitiker:innen öffentlich sagen, dass wir mal KI in der Verwaltung bräuchten. „Was man da alles bei der Bundesagentur für Arbeit und der Rente machen könnte!“, wurde wirklich so auf einem Panel, das ich moderierte, gesagt. Natürlich gab ich sofort den Hinweis, dass man sich wirklich dringend mal die beiden Verwaltungen von innen anschauen müsse, denn bei beiden passiert in diesem Bereich schon sehr viel. Wir sind auf unserer Reise jetzt aber erstmal in Nürnberg bei der Bundesagentur für Arbeit – die, weil sie ja ein bisschen Ahnung vom Thema Arbeit hat – auch so stark auf Automatisierung und KI setzt, weil sie weiß, dass der jetzt schon existierende Fachkräftemangel nur noch stärker werden wird. Es ist hinlänglich bekannt, dass der demografische Wandel die Verwaltung mit voller Wucht treffen wird und KI und Automatisierung ganz viel auffangen müssen.

Und so großartig die Anwendungen für interne Abläufe, Wissensmanagement und Kundeberatung sind, so möchte ich bei diesem Beispiel doch auf einen anderen Punkt hinaus: die Rolle der Behördenleiterin Andrea Nahles. Es mag trivial klingen, was ich jetzt sage, aber unter anderem meine Arbeit im Beirat zur Digitalstrategie Deutschlands zeigte mir, dass es das nicht ist: Es ist von unfassbar wichtiger Bedeutung, dass sich oberste Führungskräfte mit dem Thema KI befassen, das Thema treiben und nach außen und innen klar machen, wie KI eingesetzt werden soll. Das nimmt nämlich viele Ängste, die gerade bei neuen Technologien in Deutschland sowohl in der Verwaltung selbst als auch in der Gesellschaft allgemein, bekanntlich herrschen. Also: nicht nur Prozesse und Software abschauen, sondern auch, mit welchen Themen sich andere Führungskräfte befassen und wie sie darüber kommunizieren kopieren!

Digitale Verwaltung erleben: Mit Schaf oder neuer Wohnung

Mit digitalen Verwaltungsdienstleistungen ist es ja so eine Sache. Die Erfahrung mit der Tierseuchenkasse werde ich wahrscheinlich nie machen, es sei denn, ich lege mir doch mal ein Schaf zu. Ein Visum für Deutschland werde ich auch nie beantragen müssen. Dass ich nochmal in der Uni eingeschrieben war, war Zufall und von dem KI-Einsatz der Bundesagentur erfuhr ich erstmals durch Interviews von Andrea Nahles. Auch umziehen werde ich dank des Berliner Wohnungsmarktes erstmal nicht – aber würde ich das tun, ich würde was erleben!

So las ich gerade erst von einem guten Bekannten, dass ein Familienmitglied sich digital ummeldenkonnte – inklusive postalisch zugeschicktem Sticker mit neuer Adresse zum selbst überkleben für den Personalausweis. Ja sapperlot, dachte ich da, in welche futuristische Stadt ist denn da jemand gezogen? Um das Angebot zu verifizieren – man glaubt es ja sonst nicht – stieß ich auf eine lange Liste an deutschen Kommunen, bei denen das auch möglich ist. Proudly provided by Hansestadt Hamburg. „Einer für alle“ funktioniert also – nahezu deutschlandweit und selbst in Berlin.

Look at the bright side of Verwaltungsdigitalisierung

Nun, da ich mir weder ein Schaf zulegen werde noch plane, eine neue Wohnung zu suchen, wird es bei mir erstmal seltener passieren, dass ich persönlich die Verwaltung digital erlebe. Aber mir hilft es, dass andere von ihren Erfahrungen erzählen. Denn das bestätigt mich darin, dass – auch wenn nicht alles perfekt ist – aber wir das gesamte Rüstzeug für den Weg zu einer digitalen Verwaltung haben.

Ich weiß, ich habe echt vielen unrecht damit getan, dass ich sie hier nicht erwähnt habe. Sollte dieses Gefühl bei meinen Leser:innen aufkommen, dass ich diese oder jene super digitalisierte Verwaltungsleistung vergessen habe, habe ich genau das erreicht, was ich wollte: Die Erinnerung daran, wie viel schon gut funktioniert. Sich das anzuschauen, heißt keineswegs zu ignorieren, was alles noch nicht geht. Aber es bestärkt einen und eine ganze Gesellschaft, dass wir das, was noch nicht geht, auch noch funktionstüchtig bekommen können. Und es tut uns allen gut, wenn wir ein bisschen mehr darauf schauen, zu was wir bisher schon fähig waren und was wir mit diesen Fähigkeiten noch erreichen werden. Zumindest würde der Coach der Verwaltungsdigitalisierung uns das raten. Und nun freue ich mich auf ganz viele öffentliche Hinweise auf bereits hervorragend laufende Lösungen der Verwaltungsdigitalisierung!

Dieser Text erschien am 22. Januar 2025 zuerst im Tagesspiegel Background Smart City.

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Sachverständige beim IuK-Ausschuss des Bundestags

Am 18. Oktober 2023 fand eine Sondersitzung des IuK-Ausschusses beim Ältestenrat des Deutschen Bundestags zum Thema Einsatz von Künstlicher Intelligenz im parlamentarischen Umfeld und der Bundestagsverwaltung statt, zu der ich als Geschäftsführerin von NExT e. V. als Sachverständige geladen wurde. Neben ihr wurden noch weitere Expert:innen aus den Bereichen Beratung, Wissenschaft und Wirtschaft zur nicht-öffentlichen Sitzung eingeladen. Schriftliche Stellungnahmen wurden nicht abgegeben, viel mehr fand ein Gespräch zwischen den anwesenden Abgeordneten und Expert:innen statt. 

Dabei habe ich u.a. die Expertise der NExT-Mitglieder und Expert:innen aus unserer entsprechenden Community of Practice (CoP) eingebracht. Dabei waren mir vor allem folgende Punkte wichtig:

  • Der Einsatz von KI muss transparent erfolgen (das zeigt auch die Sondererhebung des neuen eGovernment MONITOR der Initiative D21)
  • KI ist nicht immer die Lösung. Um Dinge leichter verständlicher und nutzerfreundlicher zu machen, hilft oftmals schon auf Nutzerzentriertheit zu setzen (auch dazu gibt es eine CoP bei NExT!)
  • Austauschen und kopieren. Eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg zeigte bereits, wo in der Bundesverwaltung KI-Anwendungen eingesetzt werden. Für Übersetzungsdienste lässt sich hier z. B. bereits eine Anwendung finden. Der Blick sollte aber auch geweitet werden: Häufig setzen Kommunen oder Landesministerien bereits KI für spannende Zwecke ein oder erproben sie. Auch hier sollte der Bund kopieren und von Erfahrungen anderer lernen. 
  • KI ist Führungsaufgabe! Es liegt an Führungskräften, sich mit dem Thema KI zu beschäftigen und die Transformation zu gestalten. Die Bertelsmann Stiftung hat mit dem KI-Kompetenzraster für die Verwaltung einen guten Aufschlag gemacht, um Teams für diese Aufgaben ideal zu besetzen. KI-Einsatz braucht nicht nur Tech-Kompetenzen.
  • Zum KI-Einsatz gehört auch Aus- und Weiterbildung. Auch hier ist es Führungsaufgabe die Mitarbeiter:innen entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zu eröffnen und ihnen auch so Ängste vor dem KI-Einsatz zu nehmen. 
  • KI wird die Arbeit anders machen. Dabei geht es aber vor allem um unliebsame Aufgaben und keine Abschaffung der eigenen Stelle. Ob der enormen Pensionierungswelle, die bis 2030 auf den öffentlichen Dienst zurollt, ist es umso wichtiger, heute schon damit zu beginnen, die Transformation zu gestalten, um die Verwaltung leistungsfähig zu halten. 
  • Die Expertise und Kreativität sitzt bereits in der Verwaltung. Die Mitarbeiter:innen wissen häufig selbst, wo Prozesse optimiert werden können und sollten. Diese sollte unbedingt genutzt und durch Kreativworkshops herausgearbeitet werden. 

Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Köhler / photothek 

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Atlantik Brücke Young Leader 2023

Im Sommer 2023 durfte ich bei der 50. Kohorte des renommierten Young Leader Programms der Atlantik Brücke teilnehmen. Jeweils 25 Männer und Frauen aus Deutschland und den USA haben sich eine Woche lang in Neuhardenberg, Brandenburg, zu den verschiedensten Herausforderungen der transatlantischen Beziehungen ausgetauscht. Ich durfte an der Arbeitsgruppe zu KI fachlichen Input geben und an ihr mitwirken.

Den Nachbericht zu unserer Kohorte, sowie die veröffentlichten Ergebnispapiere, gibt es hier.

Foto: Atlantik Brücke

Herzlichen Dank an die Atlantik Brücke, für die wirklich ausgezeichnete Organisation und Gestaltung des Programms.

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Digitale Bildung: Probleme lassen sich nicht lösen, wenn wir nur auf die Schulen schauen. Brauchen wir eine Bundeszentrale für digitale Bildung?

Verbreitung von Desinformation, fehlendes Bewusstsein für Cybersicherheit – bei Problemen im Digitalen fordern wir fast immer eine Sache: mehr Bildung. So weit so richtig. Der Umgang mit (digitalen) Medien, der sichere Umgang im Netz, die Gefahren von Identitätsdiebstahl, Doxing, Social Engineering, usw. müssen dringend Bestandteil schulischer Bildung sein. Vergessen dürfen wir hier auch nicht die beruflichen Schulen und Universitäten. Doch wir machen es uns zu leicht, wenn wir die teils enormen Probleme mit der Verbreitung von Desinformation und menschlichem Fehlverhalten vorm Computer auf “die jungen Leute” abschieben.

Die Generation Y lernte das Netz beim Aufwachsen kennen, die Generation Z wuchs und wächst digital auf. Für die Generation X, die Babyboomer und alle noch älteren hingegen, ist das Netz wirklich Neuland. Das soll gar nicht abwertend gemeint sein, aber sie sind diejenigen, die erst in späteren Lebensjahren gelernt haben, dass Gefahren im Netz lauern können, dass Menschen online deutliche einfacher und im hohem Maße Identitäten stehlen und sie missbrauchen können. Dass nun jeder Informationen erstellen und sie verbreiten kann und es keine Gatekeeper mehr gibt, die alleinig Informationen verbreiten können. Wenn wir also davon sprechen, dass wir uns mit Bildung vor Gefahren im Netz schützen müssen, dann müssen wir auch darüber sprechen, wie wir die breite Masse der Bevölkerung – eben alle, die schon im Arbeitsleben sind, oder bereits wieder aus ihm ausgeschieden sind – erreichen können. Schließlich ist die Altersgruppe von 45 bis 55 Jahre mit 86,8 Prozent die zahlenmäßig stärkste Alterskohorte unter den Erwerbstätigen und die von 55 bis 65 Jahre mit 71,5 Prozent die drittstärkste (Stand 2018). Legt man darüber die Zahlen des Bitkom, die zeigen, dass mittlerweile jeder zweite Arbeitnehmer einen Computer am Arbeitsplatz hat und jeder dritte ein mobiles Gerät mit Internetzugang, verdeutlicht sich nochmal das Problem.

Eine Studie der Universitäten Princeton und New York unter Amerikanern zeigte, dass Nutzerinnen und Nutzer soziale Medien über 65 sieben Mal so häufig Falschmeldungen teilen, als 18- bis  29-Jährige. Die Studie begründet dies mit mangelnder digitaler Medienkompetenz  und einem schlechteren Erinnerungsvermögen. Wenn man nun bedenkt, dass das größte soziale Netzwerk Facebook im Jahr 2017 einen Nutzerzuwachs von 23 Prozentpunkten bei über 60-Jährigen verzeichnen konnte (weltweit) und immer mehr Menschen über 60 WhatsApp nutzen (in Deutschland 52% der über 60-Jährigen, Stand 2017) und Falschnachrichten nicht nur über soziale Netzwerke, sondern insbesondere über Messenger eine zunehmende Verbreitung finden, dann stehen wir vor einer enormen gesellschaftlichen Herausforderung, die eben nicht lediglich mit Konzepten für schulische Bildung in der Zukunft gelöst werden kann.

Und Falschnachrichten in Form von Text sind schon heute nicht mehr das größte Problem. Manipulierte Bilder oder in falschen Kontext gesetzte Bilder grassieren bereits jetzt zu Hauf. Ebenso darf das Manipulationspotential durch Memes, Trolle und dergleichen nicht unterschätzt werden. Doch die viel größere Bedrohung steht mit sogenannten DeepFakes ins Haus: Manipulierte Videos, die Nacktaufnahmen bzw. pornografisches Material vornehmlich von Frauen darstellen, oder Aufnahmen, die mit neuem Ton und damit auch Inhalt unterlegt werden, wobei auch die Mimik des Sprechers verändert wird und so ganz neue, nie getätigte Aussagen entstehen können. Das Missbrauchspotential dieser Technologie ist riesig und der Fall eines verbreiteten manipulierten Video der amerikanischen Kongressabgeordneten Nancy Pelosi und dessen Weiterverbreitung von diversen Politikern unter anderem auf Twitter zeigt, dass Gesellschaften noch nicht bereit sind, für einen Umgang mit dieser Art der Desinformation. Für Ältere, die sich nicht tagtäglich mit digitalen Tools – sei es auch nur zum Spaß – beschäftigen, die demonstrieren, wie Bilder und Videos manipuliert werden können, ist dies ein erhebliches Problem. Jüngere Nutzer kennen dies häufig, und sei es nur durch Filter oder Ähnliches auf Instagram, Snapchat oder TikTok.

Wie also umgehen mit dieser Problematik? Wie so oft: es gibt kein Patentrezept. Es ist aber dringend angebracht, dass sich Politik, Zivilgesellschaft und auch Unternehmen mit dieser Problematik auseinandersetzen. Unternehmen sollten ein eigenes Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter lernen, Desinformation und DeepFakes von echten Informationen zu unterscheiden. Verbreiten Mitarbeiter solche, kann das nicht nur dem Ansehen des Unternehmens schaden, es schadet auch der Sicherheit des Unternehmens, wenn Mitarbeiter dubiosen Informationen trauen und sich womöglich Schadsoftware einfangen. Die Politik könnte hier mit der finanziellen Förderung entsprechender Fortbildungen unterstützen.

Bildung ist aber auch ein staatlicher Auftrag. Warum also nicht über eine Bundeszentrale für digitale Bildung, analog zur Bundeszentrale für politische Bildung nachdenken? Thematisch gäbe es hier weitaus mehr, als die Themen Desinformation und Cybersicherheit. Datenschutz bzw. der Umgang mit Daten wird immer essentieller. Von den Datenspuren durch surfen im Netz bis hin zum Umgang mit den eigenen, hochsensiblen Gesundheitsdaten. Vom Verständnis über Algorithmen bis hin zu Künstlicher Intelligenz. Themen gäbe es genug und ihre Bedeutung nimmt rasant zu.

Finnland hat dies schon erkannt und führt umfassende Bildungsmaßnahmen durch. Das Land hat durch die Grenze zu Russland schon seit Jahrzehnten mit Desinformationskampagnen zu kämpfen und daher eine ganzheitliche, nachhaltige Strategien entwickelt, um Finnlands Bürgerinnen und Bürger dagegen zu immunisieren. Manipulation durch Desinformation wird hier als ein gesamtgesellschaftliches Problem gesehen, gegen das man bereits im Kindergarten, aber auch und vor allem in späteren Lebensjahren vorgehen muss. “It’s not just a government problem, the whole society has been targeted. We are doing our part, but it’s everyone’s task to protect the Finnish democracy,” sagt zum Beispiel Jussi Toivanen, der Erwachsene in Finnland unterrichtet. Doch auch bei der breiten Aufklärung über Künstliche Intelligenz ist Finnland Vorreiter. Ein Pilotprojekt sollte ein Prozent der Finnen Grundlagen über Künstliche Intelligenz vermitteln.Die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zufällig ausgewählt. Das Thema wurde digital und niedrigschwellig vermittelt, sodass es jede und jeder verstehen kann. Der Ansatz dahinter: wenn Menschen die Prinzipien von Künstlicher  Intelligenz verstehen, haben sie weniger Angst vor ihr und mehr Interesse an dessen Nutzung und damit auch der Ausgestaltung. Das Vorhaben ging auf. Heute ist der Kurs für jeden zugänglich und kostenlos nutzbar. Unternehmen und der Staat nutzen ihn, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fortzubilden, aber auch das Interesse unter den Bürgerinnen und Bürgern, die bisher keinen beruflichen Bezug zum Thema hatten, ist enorm. Ein wichtiger Schritt für Finnlands Ziel, Europas Nummer eins in der KI-Forschung zu werden.

Eine ähnliche Bildungsstrategie braucht es auch für Deutschland, denn die Probleme werden nicht weniger. Bei unserem EU-Partner können wir dafür genügend Inspiration und Lösungsansätze finden. Wichtig ist nur, dass sowohl Politik, als auch Zivilgesellschaft und Unternehmen anerkennen, dass fehlende digitale Bildung kein Problem von jungen Menschen ist, sondern von uns allen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Photo by Nicole De Khors from Burst

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